Kapitel 7.0

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Ich nähere mich der spiegelnden Fläche, male mir aus, auf welche Welt ich will und an welchen Ort in ihr. Meine Fingerspitzen berühren das Material, es ist kalt und glatt. Reglos und undurchdringlich sehe ich darin nur mich und einen Ausschnitt meines Wohnzimmers.

„Hey, Tir ...", beginne ich meinen jährlichen Monolog. „Heute sind genau fünf Jahre vergangen, weißt du das? Lon hat mir diesen Spiegel hergestellt, weil die anderen beiden zerstört wurden und der dritte einem reichen Arsch gehört, der ihn mir für so viel Geld überlassen würde, wie ich in meinem kompletten Leben nicht verdienen kann. Lon ist der Beste ..." Ich räuspere mich. „Mir geht es ganz gut ... Ich arbeite mehr und seitdem ich mich nicht mehr für 'zu gut für diesen Planeten' halte, wie Lon es einmal so schön ausgedrückt hat, habe ich auch mehr Freunde gefunden. Ja, bei mir ist alles ... super." Ich wische mir über die nassen Augen. „Ich hoffe, dir geht es gut, wo auch immer du bist." Jetzt fahre ich mir über die Stirn und dann durch die Haare. Scheiße, ich rede jährlich mit einem Spiegel. Als wäre er ein Grabstein und heute Tirs Todestag. „Das ist albern", murmele ich. Schließlich: „Ich vermisse dich. Ich vermisse die anderen Planeten. Ich fühle mich so leer, ich ... es ist, als hätte man mir ein Körperteil genommen." Ich lehne meine Stirn an das kühle Glas. „Vielleicht mein Herz. Vielleicht ist mein Herz in hunderte Teile zersplittert und auf den hunderten Planeten verstreut, die ich – wir – besucht haben. Scheiße. Wahrscheinlich ist es besser, dass du diesen Scheiß nicht hörst." Beim Schrillen meines Weckers macht das schwarze Loch, an der Stelle, an der mein Herz sitzen sollte, einen Satz. Ich verlasse die kleine Kammer und drücke jeweils eine Fliese auf Kopf-, Schulter- und Brusthöhe ein. Mit einem schabenden Geräusch fährt die Steinwand an ihren Platz und versteckt meinen größten Schatz.

Des Weltenwandlers SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt