Kapitel 7.5

65 11 25
                                    

Ich weiß nicht, wie lange ich schon an der Haustür lehne, Gefangene der brummenden Stilledefinition von Tursakrit und meiner Erinnerungen. Ein erneuter Seufzer entweicht mir und ich stoße mich vom Metall ab.

„Wünschst du dir manchmal, es wäre so verlaufen, wie du es den Kindern erzählt hast?"

Die tiefe, raue Stimme aus der Schwärze zu meiner Linken lässt mich zusammenfahren. Ich spüre mein Herz in meinen Fingerspitzen pochen.

„Dass du 'Lon' geheiratet und mit ihm Kinder bekommen hättest?"

Meine Finger streifen den Lichtschalter.

Für eine Sekunde ergibt sich ein Bild: Groß und schlank steht er da. Steif und elegant. In seidig glänzende, schwarzgrüne Roben gehüllt. Nicht zu sehende Hände in den weiten Ärmeln vor seinem Bauch wahrscheinlich verschränkt. Dunkelgrünes Haar glatt und fast schulterlang. Seine blauen Lippen bilden einen Strich und deuten an, dass er nicht viel lacht. Seine Augen sind schmal und geben keine Gefühle preis. Die Falte zwischen ihnen hat mittlerweile schon ein dauerhaftes zu Hause gefunden. Der Hochkönig der Welt zwischen den Welten.

Dann ändert sich das Bild: Er erblickt mich und verwandelt sich in den schlaksigen Jungen aus meiner Erinnerung. Alles an ihm wird weicher, seine Augen größer, seine Lippen öffnen sich leicht und die Falte verschwindet, soweit sie das Alter noch nicht eingegraben hat. Er lässt seine Arme sinken, scheint aber nicht zu wissen wohin damit, geschweige denn mit sich selbst. Also nehme ich ihm die Entscheidung ab. Mit zwei langen Schritten bin ich bei ihm und falle in seine Umarmung.

„Nein. Niemals." Ich bekräftige meine Worte mit einem Kuss. Wie immer braucht er einen Moment, sieht so überrascht aus, als hätten wir das und mehr nicht schon hundertmal getan. Als wären erneut acht Jahre vergangen, in denen wir nicht weiter voneinander entfernt hätten sein können.

Seine Augenlider flattern herunter. Sanft rahmen seine Hände meinen Kopf ein, streichen seine Finger über meine Wangen. Scharfe Krallen auf der einen Seite, weiche Haut dort, wo drei Fingerkuppen fehlen.

Lächelnd löse ich mich von ihm, gebe ihm einen Klaps auf die Schulter. „Jedes Mal wenn du hier aufschlägst, habe ich das Gefühl, mich verbeugen zu müssen. Oder zumindest knicksen." Ich deute einen Knicks an und senke den Blick. „Mein König."

Er schüttelt den Kopf und zieht mich lachend wieder an sich. „Ich will niemals sehen, dass du dich vor mir verbeugst. Wir stehen auf derselben Stufe." Erneut legt er seine Hände auf meine Wangen. In seinen Augen lodert etwas Warmes – Freude, Liebe, Verlangen. „Beim Gleichgewicht zwischen den Welten, Escara, ich liebe dich so sehr", haucht er.

Jagt mir seine tiefe Stimme diesen Schauer durch den Körper oder sind es seine Worte?
Dieser glühende, ehrliche Ausdruck in seinen Augen ist fast zu viel. „Ich liebe dich auch, Tir. Aber ..." Ich sehe nach unten. „... wünschst du dir nicht –"

„Nein, niemals", wiederholt er meine Worte bestimmt. „Irgendwann werde ich dich offiziell zu meiner Königin machen. Bald ist die Ausbildung meines Neffen zum Hochkönig abgeschlossen. Dann wird mich nichts mehr von dir fernhalten können." Mit einem Finger unter meinem Kinn hebt er meinen Kopf wieder an. „Zweifle nicht. Ich bereue ebenfalls nichts. Du machst mich zum glücklichsten Mann aller Welten."

Wir hätten beide ein einfaches Leben wählen, uns den Ansprüchen beugen können. Dann wäre ich jetzt tatsächlich 'Lons' Ehefrau und Tir der Mann einer höheren Wächterin. Aber einfach war nie ganz unser Ding.

„Du verbringst zu viel Zeit mit dem Wächterrat – deine Ausdrucksweise ist furchtbar."

„Nein, deine Ausdrucksweise ist furchtbar, kleine Wilde."

„Ich hoffe, du verlangst nicht von mir, mich besser zu benehmen, wenn ich erst einmal Königin bin." Königin. Bei dem Gedanken fängt die Welt an, sich unangenehm zu drehen und mein Magen, seinen Inhalt nach oben zu schieben.

„Ich will nicht, dass du dich änderst. Das wird schon."

„Muss ich dich daran erinnern, was das letzte Mal passiert ist, als du so was gesagt hast?" Vielsagend huscht mein Blick zu seiner rechten, verstümmelten Hand, die symbolisch für all den Schmerz steht.

„Es ist geworden", raunt er in mein Ohr und küsst die Seite meines Halses, sodass mir ein Schauer über den Körper fährt.

Mit einem zufriedenen Reptilienlächeln nimmt er meine Hand und gemeinsam schlendern wir in ein kleines Zimmer meiner Wohnung. Eine Wand ist zur Seite gefahren und offenbart eine schmale Nische. Groß genug, für den Spiegel, der dort hängt und für zwei Personen, wenn sie eng beieinanderstehen.

Egal wohin wir gehen, so lange Tir an meiner Seite ist, bin ich glücklich und zuversichtlich.



___________________________________________________

Tausend dank euch allen, die diese verrückte Reise angetreten und bis zum Ende durchgezogen haben!

Des Weltenwandlers SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt