Kapitel 14

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"Aufwachen Püppchen", ertönt Brads Stimme in meinem Ohr. Verwirrt schaue ich zu ihm hoch. "Wir fahren in die Schule. Du warst gestern so neugierig, da dachte ich, ich zeig dir einfach mal ein bisschen was", grinst er mich an. "Freiwillig?", nuschel ich ungläubig. Sein warmes Lachen erfüllt den Raum. "Ich muss was abholen und hab keine Lust alleine zu fahren", entgegnet er. Immer noch unschlüssig, ob mich nicht doch etwas Böses erwartet, stehe ich zögernd auf. Plötzlich wirft Brad mir eine Jogginghose und einen Pullover rüber. Entgeistert starre ich ihn an. "Du gibst mir Klamotten?", frage ich aufgeregt. "Entspann dich, die sind nur für den Ausflug", verdreht er genervt die Augen. Strahlend betrachte ich die Klamotten einen Moment und schlüpfe dann freudig in die Sachen. Es ist das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass ich eine Hose trage. Unglaublich wie sehr man sich plötzlich über sowas alltägliches freut.

Wie letztes Mal auch, bekomme ich für die Fahrt die Augen verbunden. Doch als Brad den Motor ausstellt nimmt er mir tatsächlich die Augenbinde ab. "Benimm dich", ermahnt er mich noch, bevor er um das Auto herum geht und mir die Tür aufhält. Die Sonne knallt gerade zu auf den Asphalt. Wir befinden uns in einer Art Hinterhof. Das Gebäude ist riesig. Ein bisschen erinnert es mich an meine alte Schule und ich schlucke. Die Tatsache unter freiem Himmel zu stehen und trotzdem gefangen zu sein, bohrt sich wie eine Nadel durch meine Lugenflügel. Als würde es mir das Atmen erschweren. "Komm", befiehlt Brad knapp und wie ein Hund dackel ich ihm hinterher. Ich den Fluren hängen überall Bilder von Frauen und Männern beim Sex oder in anderen anzüglichen Situationen. Vor manchen Zimmern stehen Sicherheitsmänner. "Hat es ein bestimmten Grund, dass sie nicht vor jedem Raum stehen?", flüstere ich leise und deute auf einen von ihnen. Brad nickt. "Sie sind dafür zuständig, auf die Goldfälle aufzupassen. Frauen mit besonders wichtigem Status und besonderer Abneigung gegen all das hier", erklärt er. Ich kaue kurz auf meiner Unterlippe. "Also Frauen, die gegen ihren Willen hier sind und bei denen die Herren viel bezahlen?", vergewissere ich mich. "Sozusagen. Oder Frauen die schon häufiger ausbüchsen wollten, oder ein sehr hohes Aggressionspotential haben", bestätigt er. Am Ende des Flurs bleiben wir stehen und er legt seinen Finger auf einen Sensor. Die Tür springt auf und wir treten ein. "Hier behalten wir die Frauen, die isoliert werden, um sie zu brechen", amüsiert er sich, während sich bei mir Übelkeit bemerkbar macht. Es sieht ein bisschen aus, wie in einer amerikanischen Gefängnisserie. Jede Metalltür hat so ein kleines Gitterfenster und ist ebenfalls mit einem Sensor verschlossen. Die Atmosphäre macht mir Angst und sorgt für ein bedrückendes Gefühl, so dass ich gar nicht bemerke, wie ich Brads Hand greife. Er gluckst. "Was ist Kleines? Angst auch hier zu landen?", witzelt er. Schockiert schaue ich ihn an. "Das würde ich keine 24 Stunden überleben", entgegne ich und jedes Wort ist zu einhundert Prozent ernst gemeint. Plötzlich bleiben wir stehen und als sich die Tür öffnet, stockt mir der Atem. In der Ecke des leeren Raumes sitzt eine zusammengekauerte Frau. Sie hat ihre Knie angezogen und vergräbt ihr Gesicht in ihnen. Außerdem zittert sie am ganzen Körper. "Nicht mal einen Blick schenkt sie uns. Wie unhöflich", lacht Brad und lehnt sich in den Türrahmen. Die Frau schaut auf und plötzlich ändert sich etwas in ihrem Gesicht. Sie freut sich offensichtlich. "Herr Nowalski!", ruft sie auf und versucht sich hinzustellen. Tatsächlich geht Brad auf sie zu und hilft ihr. Der Anblick macht etwas mit mir. Ich spüre einen Stich in meinem Herz und atme tief ein. Bin ich jetzt allen ernstes Eifersüchtig? Das darf alles nicht wahr sein. "Mila, darf ich vorstellen. Das ist Elli...Mila wird uns heute nachhause begleiten", schaut er mich eindringlich an, doch ich bringe keinen Ton raus. Also nicke ich ihr nur zu und klammere mich am Türrahmen fest. Ich habe das Gefühl meine Beine würden jeden Moment nachgeben. "Dann wollen wir mal", sagt Brad und wir gehen zurück zum Auto. An der frischen Luft angekommen, ist es ein bisschen wie eine Erlösung und erst jetzt wird mir klar, wie unglaublich bedrückend es da drin war. Brads Klingelton reißt mich aus den Gedanken und dann geht alles ganz schnell. "FUCK!", ruft er aus und panisch sieht er sich um. Plötzlich schmeißt er mir die Autoschlüssel zu. "Setz dich mit ihr ins Auto und schließ von innen ab, bis ich wieder da bin. Pass auf, dass sie nicht auf dumme Ideen kommt", ruft er und dann läuft er auch schon zurück ins Gebäude. Mein Puls beginnt zu rasen und immer noch schockiert stehe ich so da. Aus Reflex habe ich direkt nach Milas Arm gegriffen und umklammere diesen immer noch fest. Schnell öffne ich die Tür und schiebe sie auf den Rücksitz, bevor ich mich auf den Fahrersitz fallen lasse. Ich starte den Motor. Das ist meine Chance zu fliehen. Doch irgendwas hält mich auf. "NA FAHR SCHON LOS", ertönt es vom Rücksitz. In meinem Kopf schreit es förmlich. So eine Chance bekomme ich nie wieder und sie vermutlich auch nicht. Aber was wenn wir es nicht schaffen. Das wäre mein Ende. Ohne Sinn und Verstand drehe ich den Schlüssel wieder und stelle den Motor aus. "Was machst du? Fahr los!", ruft Mila hysterisch. Doch in dem Moment öffnet sich die Tür wieder und Brad erscheint. Sofort steige ich aus und halte ihm den Schlüssel hin. "Alles ok?", frage ich zaghaft. Er grinst über beide Ohren. "Mehr als das, Elli", antwortet er und drückt mir einen Kuss auf den Mund.
Verwirrt starre ich ihn an. Er hat mir keine Augenbinde aufgezwungen. Nur Mila sitzt mit Kopfhörern, gefesselten Händen und Schlafmaske auf der Rückbank. "Kannst du mir vielleicht mal erklären, was das eben sollte?", frage ich zickig. "Ein Test", antwortet er stumpf. In meinem Kopf rattert es und langsam beginne ich zu verstehen. "Ich wollte gucken, ob du fliehst. Du bist aber geblieben. Zu deinem Glück, wenn ich das mal so anmerken darf. Das bedeutet aber, dass du ein neues Zimmer bekommst. Noch lasse ich dich bestimmt nicht frei im Haus rumrennen. Aber so bekommst du wenigstens einen Zugang zum Badezimmer. Das erspart den Jungs einiges an Arbeit, wenn sie dich nicht alle paar Stunden holen müssen", erklärt er. "Noch? Heißt das ich darf mich irgendwann so frei bewegen, wie Sam?", frage ich mit aufgeregter Stimme. "Oh Kleines, davon sind wir noch ganz weit weg. Aber wenn du dich gut anstellst... Vielleicht schon", sagt er nachdenklich. Den Rest des Weges starre ich stumm aus dem Fenster und verspüre eine unglaubliche Dankbarkeit, dass ich auf mein Bauchgefühl gehört habe. Die Strafe für den Fluchtversuch, will ich mir gar nicht erst ausmalen.

Der Sog der Schwärze Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt