Ich erinnerte mich an den Tag meiner Geburt als wäre es erst gestern gewesen. Ich erinnerte mich an das liebevolle Gesicht meiner Mutter als ich ihr zum ersten Mal in die Augen sah. Auch an die leicht kratzig klingende Stimme der Hebamme und an das sonst ruhige Haus konnte ich mich erinnern. Und ebenso daran, dass ich mit sechs winzigen Flügeln auf dem Rücken geboren wurde, welche sich allerdings auf einer anderen Ebene der Existenz befanden.
Ich war ein seltsames Kind. Es lag nicht etwa daran, dass ich eine Hausgeburt war oder daran, dass ich nach meiner Geburt nicht geweint habe. Nein, es lag an der Art wie ich die Leute ansah. Als würde ich direkt in ihre Seele blicken. Es ließ sie sich unbehaglich fühlen und sie fingen an mich so wie meine Mutter zu meiden. Das war in Ordnung. Doch es wurde schlimmer.
Die Stimmen waren das kleinste Problem. Sie waren konstant und immer vorhanden. Und wenn es doch einmal zu schlimm wurde und ich den ganzen Tag lang Kopfschmerzen hatte, nahm meine Mutter mich in den Arm. Wir kuschelten dann oft, während sie mir ein Buch vorlas oder ich ihr erzählte, worüber die Stimmen in meinem Kopf redeten. Mit neun Jahren hatte ich gelernt sie auszuschalten.
Auch das Gedankenlesen hatte ich relativ gut im Griff da, es nur funktionierte, wenn ich der Person in die Augen schaute. Es war der Grund dafür, warum ich es hasste und es bis heute nicht sonderlich oft tat.
Es waren die kleineren, aber leider auch auffälligeren, Dinge, die uns des öfteren unerwünschte Aufmerksamkeit bescherten wie zum Beispiel Heilung. Diese kleineren Dinge waren es auch, die uns den ein oder andere Umzug bescherten. Denn egal wie sehr die Leute schworen, sie würden stillschweigen über das Geschehene bewahren. Mam sagte, es würde immer einen geben, der seine Klappe nicht nicht würde halten können. Also zogen wir um. Oft.
Wir waren gerade nach Oklahoma gezogen als ich bei einem Ausflug in den nahegelegenen Park Peril schwerverletzt am Wegesrand liegen sah. Peril war ein Hund mit rauchfarbenem Fell und glühend roten Augen. Sie war ungefähr ein Meter groß und sah ein bisschen so aus wie ein Wolf. Mam konnte sie nicht sehen und dachte erst, ich hätte sie mir nur eingebildet, ehe Peril durch ein leises Knurren ihre Anwesenheit preisgab. Anfangs war es echt verwirrend, doch mit der Zeit gewöhnte sich Mam an den unsichtbaren Hund in unserer Mitte. Und bald schon waren es wir drei gegen den Rest der Welt.
Das änderte sich schlagartig als Mam starb. Es war ein außer Kontrolle geratener Raubüberfall. Mam war in der Bank Geld abholen als der Typ hereinkam und kurze Zeit später, als die Polizei eintraf, auch schon durchdrehte und wild um sich schoss. Ein Schuss traf sie in die Brust. Die Ärzte versuchten sie zu retten. Die Betonung lag auf versuchten. Ab da waren es nur noch Peril und ich.
Ich war 15 und über meinen Vater wusste ich nichts. Mam hatte ihn nur einmal kurz erwähnt und auch da nur flüchtig. „Er ist ein Arschloch und noch vor deiner Geburt gegangen. Wir kommen auch ohne ihn zurecht." Ich hatte nicht weiter nachgefragt. Und als dann das Amt kam, um mich ins Heim zu stecken, erschuf ich für Peril und mich ein Taschenuniversum, in welchem wir uns versteckten.
Unser neues Heim war nicht perfekt, was nicht etwa daran lag, dass ich diese Fähigkeit zu diesem Zeitpunkt erst seit ein paar Monaten beherrschte. Nein, es lag daran, dass es außer Peril und mir niemand anderen darin gab und ich immer noch um Mam trauerte. Trotzdem, nach einiger Zeit genoss ich meine neue Freiheit, denn hier musste ich mich nicht verstecken und konnte nach Belieben mit meinen Fähigkeiten herumexperimentieren oder durch die von mir erfundenen Landschaften fliegen; ich war nicht sonderlich gut darin und habe es nur einmal gemacht; ohne, dass es jemanden störte oder mitbekam.
Die Umstände waren nicht ideal, dennoch ging es uns gut und wir waren glücklich. Wir hatten ein Zuhause und, wenn uns zu langweilig wurde, verließen wir das Taschenmaß und stromerten draußen umher. Das ging ganze drei Jahre lang gut, bis irgendein Idiot beschloss, die Himmelstore zu schließen und ich dadurch neugieriger wurde als gut für mich war.
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God's Daughter
ParanormalAls sie fielen, dachten viele Engel, dass es ihr Ende sein würde. Doch der Energiestoß, der das gesamte Universum erschütterte, lockte etwas aus seinem Versteck, was das Schicksal der gesamten Schöpfung komplett verändern könnte. Ob ins Gute oder Sc...