*Regen*

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"Was hast du gemacht, nachdem ich weg war?"
Palle sitzt auf meinem Bett und starrt mich vorwurfsvoll an.
Das triggert mich extrem.
Ich habe ihn doch gerettet!
Er sollte Scheiße noch mal dankbar sein.
Aber nein, er macht sich Sorgen um diese Arschlöcher.
"Ich habe ihnen ein wenig Angst eingejagt."
Meine Stimme ist so kühl wie gestern, bloß dass ich das heute nicht kontrollieren kann.
Er zuckt zurück und sieht mich verunsichert an.
Dieser Blick zur mir nicht gut, wie sonst immer, es versetzt einen Stich in meinem Herzen.
"Du.....du.....
Was?"
"Ich sagte doch, ich habe ihnen nur ein wenig Angst eingejagt."

Er ist still.
"Warst das wirklich du?
Ich... Ich hatte Angst, Manu.
Angst vor dir."
Das trifft mich jetzt wirklich hart und ich habe das Bedürfnis, ihn einfach zu umarmen.
Ich setze mich neben ihm aufs Bett.
"Ich habe sie nicht verletzt.
Ich habe mit ihnen geredet.
Es geht ihnen gut.
Ich wollte nur sichergehen, dass sie ihre Tat nicht wiederholen."
Meine Stimme klingt sanft, ich wusste gar nicht, dass ich das so überhaupt kann.
"Aber du warst so anders."
"Nein.
Ich war immer noch ich selbst.
Das ist alles Körperhaltung und Stimme, das kann jeder sich beibringen.
Ich bin immer noch ich von vorher."
Ich überwinde mich schließlich doch und lege einen Arm um seine Schultern.
Er lässt sich einfach gegen mich fallen.
Es tut mir leid, ihn so anlügen zu müssen, aber ich glaube das ist erstmal besser.
Ich lasse mich nach hinten aufs Bett fallen und er legt seinen Kopf auf mich drauf.
Ich hasse körperliche Nähe, aber hier ist es okay.
Er ist süß.
"Was wollten die eigentlich von dir?"
Er schluckt.
"Die wollten mein Geld. Ich hatte ja nicht mal welches dabei."
Solche Idioten, ehrlich.

Eigentlich will ich schnell das Thema wechseln, also sage ich: "Hast du schon von Maurice und Micha gehört?"
"Nä, was denn?"
Er ist jetzt offensichtlich interessiert.
"Die beiden haben sich auf der Party geküsst, kurz bevor du nach draußen kamst"
Er quietscht aufgeregt.
"Endlich, das wurde ja auch mal Zeit!"
Ich muss lachen, seine Aufregung darüber ist echt süß.
"Apropos, sach mal, Manu, stehst du eigentlich auch auf Männer?"
Okayy, diese Frage kam sehr direkt.
Ich zögere mit der Antwort, erwiedere dann aber schließlich doch: "Joa, wieso meist du?"

"Keine Ahnung, du und ein Mädchen lässt halt irgendwie gar nicht zusammen."
"Und du?"
"Ne, ich glaube nicht, bis jetzt waren es nur Mädchen."
Schade.
Aber immerhin 'bis jetzt'

Heute ist das erste mal seit meinem ersten Tag hier richtig schlechtes Wetter.
Es ist grau draußen und regnet, die Frauen Wolken hängen tief über dem Schulhaus.
Der Herbst ist in vollen Zügen.
Die letzten Tage waren sowieso viel zu warm für diese Jahreszeit, wie haben es Ende September, von warmen Tagen sollte nichts mehr zu spüren sein.

Heute ist ein perfekter Tag für Kakao und lesen.
Palle scheint auch noch was vorzuhaben, er steht auf.
"Ich glaube, ich gehe jetzt mal Dado und Zom suchen, die Schulden mir noch eine Erklärung."
Ich nicke mit dem Kopf und ziehe meinen Pulli wieder gerade.
Zusammen verlassen wir das Zimmer, ich auf dem Weg zur Mensa, er in Richtung Maudados Zimmer.

Mit beiden Händen den Kakao festhalten stiefele ich zurück in mein Zimmer, ich will mich heute nur verkriechen und lesen.
Zum Glück hätte ich mir gerade ein neues Buch ausgeliehen, Otherland, einen ziemlich dicken Wälzer.
Zufrieden setze ich mich auf mein Bett, mit dem Rücken zur Wand und fange an zu lesen.
So kindisch es auch ist, ich liebe Science-Fiction und Fantasy.
Es dauert keine zwei Minuten und ich habe mich völlig in den Buch verloren.

Es ist schon Nachmittag, als ich wieder von den hellen, bedruckten Seiten aufsehe.
Ich habe die Zeit um mich herum völlig vergessen.
Draußen ist es noch dunkler und grauer geworden als ohnehin schon.
Ich sollte mal raus gehen.

Regelmäßigen habe ich keine, nur eine wasserfeste Jacke, das sollte reichen.
Draußen weht starker Wind und Regen nieselt mir ununterbrochen und Gesicht.
Schon nach kurzer Zeit bin in vollständig nass.
Das interessiert mich aber eher weniger,ich stapfe ohne den ekeligen Fiselregen zu beachten durch den aufgeweichten Boden in Richtung Teich im Park.
Der ganze Wald riecht nach feuchter Rinde und mir läuft Wasser in den Schuh.
Der Teich ist grau und das Wasser unruhig, ausgepeitscht durch die starken Windböhen, der Steg ist rutschig vor nassem Moos.

Vorsichtig lasse ich mich auf dem Steg nieder, meine Kaputze tief ins Gesicht gezogen.
Das Wetter ist ekelerregend.
Ich will mich gerade genau so fühlen.
Die Ereignisse gestern und heute morgen lassen mich nicht mehr.
Vor allem gestern Abend verursacht bei mir Kopfschmerzen.
Ich hatte weitermachen wollen.
Ich weiß nicht wie weit ich gegangen wäre.
Ich hatte Spaß daran.

Zum Glück habe ich mich selbst davon abgehalten.
Ich glaube, töten könnte mir Spaß bereiten.
Ich habe Angst.
Vor mir selbst.
Vor dem, was andere von mir denken.
Personen, die ich mag.
Ich will nicht töten.
Ich werde auch niemals töten.
Aber ich könnte.
Das wird mir jetzt erst so richtig klar.
Ich könnte.
Könnte ich dann aufhören?
Nein, wahrscheinlich ist es damit wie mit dem verletzen.
Soweit darf es niemals kommen.
Ich kann niemandem davon erzählen, sonst verbringe ich mein Leben in der geschlossenen.
Aber ich könnte.

Moin leudde!
Adios

PsychoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt