Verfolgt

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Gehetzt sah ich mich um. Die Straße, auf der ich mich befand, war noch ganz feucht von dem warmen Regen, der vorhin gefallen war. Die silberne Laterne direkt neben mir spendete ein wenig Licht, jedoch wurde es schon ein paar Meter weiter von der Dunkelheit verschluckt. Weit und breit war kein Mensch oder ein Auto zu erkennen. Aber ich wusste: es war ganz in der Nähe, und es würde mich finden! Ich begann wieder zu rennen, immer weiter und weiter die dunkle Straße entlang, so schnell ich konnte, bis meine Lungen schmerzten. Ich musste kurz anhalten und hustete. Dann zwang ich meinen erschöpften Körper, weiter zu rennen. Ich durfte mir keine Pause erlauben. Schließlich fand ich eine unauffällige Seitenstraße, dort bog ich ein und versteckte mich hinter einem parkenden Auto. Ich wartete gefühlt eine Ewigkeit und beobachtete dabei aufmerksam die Hauptstraße, aber ich konnte nichts Auffälliges sehen. Hatte ich es abgehängt? Es war sicherlich immer noch hinter mir her! Ich musste es irgendwie nach Hause schaffen! Aber ich war noch weit weg von Zuhause. Wie sollte ich nur nach Hause kommen?

Schließlich kam ich zwischen den Autos hervor und ging möglichst unauffällig die Straße weiter. Am Ende der Straße war ein kleiner Park. Als ich näher kam, immer noch nach allen Seiten Ausschau haltend, konnte ich plötzlich eine leise Musik hören. Es waren hohe, metallische Töne. Ich kannte das Kinderlied. Panisch schaute ich mich um, und dann sah ich es: Vor mir auf dem Boden, einige Meter vor dem Eingang zum Park, stand eine kleine Spieluhr. Oben auf der Spieluhr befand sich eine kleine Porzellanfigur und drehte sich zu der beunruhigend fröhlichen Musik. Ich war starr vor Schreck, und mein Herz schlug wie verrückt. Es hatte mich also wieder gefunden! Ich wich ein paar Schritte zurück, als zwischen ein paar Bäumen ein großer Schatten auftauchte. Ich konnte bloß die Umrisse erkennen. Es war eine etwa zwei Meter große Gestalt, mit riesigen Klauen und einer Axt in der Hand. Die Kreatur schien ein riesiges Hirschgeweih zu haben. Das Monstrum gab ein schrilles Wiehern von sich und kam immer näher. Die Spieluhr hörte auf zu spielen und die Figur stoppte mit ihrem Tanz. Einen Augenblick war ich wie eingefroren, dann drehte ich mich panisch um und rannte die Straße wieder zurück, so schnell ich konnte. Hinter mir hörte ich einen kampfartigen Schrei, und als ich mich beim Rennen umdrehte, sah ich, dass mich das Monster verfolgte und die Axt drohend in die Höhe hielt. Meine Beine waren mittlerweile taub von der Anstrengung, und der Schweiß tropfte mir von der Stirn. Aber das Adrenalin hielt mich bei Kräften, und so rannte ich um eine Ecke nach der anderen, und schließlich schien ich die Kreatur tatsächlich wieder abgehängt zu haben.

Ich musste kurz durchatmen, dann zwängte ich mich durch irgendwelche kleinen Straßen, um zu meinem Haus zu kommen. Hätte ich doch nur auf die anderen gehört, die mir immer gesagt haben: "Geh niemals in der Nacht aus dem Haus! Die Nacht ist gefährlich!" Ich habe damals vermutlich dasselbe gedacht wie ihr jetzt: Warum sollte ich nachts nicht raus? Was kann schon passieren? Glaubt mir, es kann so viel passieren! Das bekomme ich nun am eigenen Leib zu spüren!

Schließlich fand ich zurück zu einer erleuchteten Straße, was zwar für mich gefährlicher ist, weil ich eher entdeckt werden konnte, aber es war immerhin die Straße, die direkt zu meinem Haus führte. Doch als ich nun die Straße weiterging, erloschen plötzlich alle Laternen, und die eben noch beleuchtete Straße war plötzlich stockdunkel. Ich konnte im ersten Augenblick nichts in der Dunkelheit erkennen, doch nach einigen Sekunden gingen die Lichter wieder an. Im nächsten Moment stieß ich einen Schrei aus: Nur wenige Meter vor mir stand das Monster und verharrte dort, als hätte es schon eine Ewigkeit dort gewartet. Die Axt hatte es sich über die Schulter geschwungen, und es fixierte mich mit seinem bösen Blick. Ich konnte nun das Gesicht des Monsters sehen. Es war tatsächlich ein hirschähnlicher Kopf, aber aus dem Maul hingen messerscharfe Reißzähne, mit welchen es mich anfletschte. Im nächsten Moment begannen die Laternen zu flackern. Ich wich noch ein Stückchen zurück, denn das Monster kam offensichtlich langsam auf mich zu, doch durch das rhythmische Flackern sah es so aus, als ob sich die Kreatur nicht wirklich bewegte, sondern immer in ruckartigen Bewegungen auf mich zuschoss und dann wie versteinert auf der Stelle verharrte. Mir entwich ein leises Stöhnen und ich sah mich verstört um. So schnell ich konnte, drehte ich mich um und rannte ich erneut in eine Nebenstraße, und versuchte auf diesem Wege, zu meinem Haus zu kommen. Es war nicht mehr weit! Ich musste es einfach schaffen! Ich war so weit gekommen! Ich hörte Schritte in meinem Nacken. Das Monster war mir dicht auf den Fersen. Bald würden meine Beine einfach unter mir zusammenbrechen. Mein Haus tauchte bereits in der Ferne auf. Ich sprintete die Straße weiter auf mein Haus zu. Mittlerweile hatte ich mir einen minimalen Vorsprung erkämpft.

Als ich schließlich die Haustür erreichte, zog ich hektisch meinen Schlüssel heraus und wollte ihn ins Schloss stecken, doch in meiner Hektik und mit meinen zittrigen Fingern entglitt mir der Schlüssel und fiel auf den Boden. Noch hastiger hob ich ihn wieder auf. Gleich hatte mich die Kreatur eingeholt! Die Schritte kamen immer näher. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und öffnete die Tür. Ich zog den Schlüssel wieder ab und schaffte es in allerletzter Sekunde, hinein zu gelangen und die Tür zuzuknallen. Ich hörte draußen ein lautes Schlagen gegen die Tür. Schnell drehte ich von innen den Schlüssel in der Tür herum. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Zittrig stützte ich mich seitlich an die Kommode neben dem Eingang und schob sie mit letzter Kraft vor die Tür. Das Klopfen gegen die Tür hatte mittlerweile aufgehört. Ich sackte vor der Tür erschöpft zusammen und lehnte mich dagegen, um zu lauschen. Plötzlich hörte ich dasselbe Schreien von vorhin, doch es kam nicht von draußen. Ich wirbelte entsetzt herum. Die Kreatur stand direkt vor mir im Flur und streckte die Axt in die Höhe! Ich schrie so laut ich konnte, doch es war bereits zu spät...

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