Ein mysteriöses Anwesen

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Quietschend öffnete sich das große Tor, und Lukas warf einen vorsichtigen Blick in die riesige Eingangshalle. Es war ein prunkvolles Herrenhaus ziemlich weit außerhalb, sodass er eine längere Autofahrt hinter sich hatte. Die alte Freifrau von Seelfeld, eine adelige Dame und die letzte Bewohnerin des Anwesens, war vor ein paar Wochen in diesem Haus verstorben. Da sie ihr Testament bei ihren anderen Dokumenten im Haus aufbewahrt hatte, hatte das Nachlassgericht Lukas, der ein angesehener Notar war, dazu beauftragt, es aus dem nun leerstehenden Anwesen abzuholen. Er trat in die Eingangshalle und schloss die Tür hinter sich.

"Hier sieht es vielleicht aus...", murmelte er, als er den Zustand des Gebäudes inspizierte. Auch wenn die Freifrau genug Geld hatte, schien sie immer zu geizig gewesen zu sein, Personal für die Instandhaltung des Hauses zu bezahlen. Da sie selbst im Alter vermutlich auch nicht mehr richtig sauber machen konnte, war wohl alles nach und nach heruntergekommen. Überall klebten Spinnenweben. Der Teppich, der den Fußboden geschmückt hatte, war total verstaubt, und die rote Farbe war längst verblasst. Von den Wänden bröckelte der Putz, und das Licht funktionierte auch nicht mehr. Kopfschüttelnd ging Lukas die einst so prunkvolle Treppe in den nächsten Stock hinauf und stand nun in einem breiten Gang, auf dem sich zu beiden Seiten mehrere geschlossene Türen befanden. "Jetzt muss ich nur noch das Arbeitszimmer finden...", murmelte er und wollte damit beginnen, die Türen systematisch zu öffnen, doch im nächsten Moment hörte er plötzlich ein Quietschen. Als er den Gang hinunterschaute, sah er, wie sich eine der hinteren Türen von alleine öffnete. "Und Wind zieht hier auch durch...", murmelte er, immer noch fassungslos von dem Zustand dieses Hauses. Also ging Lukas den Flur weiter und hinüber zu der Tür, die sich eben geöffnet hatte. Er schob die Tür noch ein Stück weiter auf und warf einen Blick in das Zimmer dahinter. Die Rollläden in dem Zimmer waren heruntergelassen, daher kam nicht besonders viel Sonnenlicht hinein, was den Raum in eine düstere Atmosphäre tauchte. Lukas machte einen großen Schritt in den Raum hinein und sah sich ein wenig genauer um. Überall lagen und saßen kleine Puppen aus Plastik, Porzellan oder Stoff. Irgendwie bekam Lukas ein mulmiges Gefühl, in einem Raum mit diesen Puppen zu sein. Prüfend sah er zum abgedunkelten Fenster. Doch es war nicht geöffnet, sodass kein Durchzug herrschen konnte. Lukas beschloss, diesen Raum lieber schnell wieder zu verlassen. Er drehte sich um und stockte. Kurz hatte er das Gefühl, dass ihm die Puppen mit ihren Augen gefolgt waren. Schnell ging er zur Tür und schloss diese hinter sich.

Nachdem er kurz durchgeatmet hatte, begann Lukas nun damit, nacheinander alle Türen zu öffnen, um das Arbeitszimmer mit den Dokumenten zu finden. Schließlich hatte er es gefunden. Zufrieden ging er hinein und durchsuchte den Aktenschrank. Mit einem Mal gab es ein lautes Poltern. Erschrocken wirbelte Lukas herum. Die Tür zum Arbeitszimmer war zugefallen. Durch das ganze Haus zog doch überhaupt kein Wind! Wie konnte das passieren? Er machte ein paar langsame, verunsicherte Schritte auf die Tür zu. Mit einem Mal gab es hinter ihm ein lautes Krachen. Entsetzt wirbelte Lukas erneut herum. Die ganzen Inhalte des Aktenschrankes wurden nacheinander aus den Regalen gerissen und fielen auf den Boden. Lukas begann zu schreien. Hier spielte jemand einen ganz gemeinen Streich mit ihm! Immer mehr Aktenordner wurden aus den Regalen gerissen und flogen quer durch das Zimmer. Schließlich war der ganze Schrank leergefegt und der Boden war gepflastert mit einzelnen Blättern und Ordnern. Lukas stand mittendrin und hielt sich ängstlich die Hände vor sein Gesicht. Er musste hier dringend raus! Das, was hier passierte, war nicht normal. Aber er konnte nicht ohne das Testament gehen! Also ging Lukas mit zittrigen Beinen auf die Knie, um die umhergeworfenen Ordner zu durchsuchen, als ihm plötzlich innehielt. Wo würde er ein Testament aufbewahren? Er stand wieder auf und ging hinüber zur anderen Seite des Raumes, wo ein klobiger Schreibtisch stand. Dann zog Lukas nacheinander jede Schublade des Schreibtisches auf, und dann fand er es tatsächlich: Es lag in einer der oberen Schubladen, eingepackt in einen weißen Umschlag. Zufrieden nahm Lukas es heraus und machte sich zügig auf den Weg zur Tür. Er wollte dieses Anwesen so schnell wie möglich verlassen.

Als er jedoch die Tür öffnete und auf den Flur hinaustrat, stockte er. Die Tür zu dem gruseligen Raum mit den Puppen stand offen. Er hatte sie vorhin definitiv fest zugeschlossen! Was auch immer hier vorging, machte ihm Angst. Lukas fing an, loszulaufen. Er wollte so schnell wie möglich an diesem Raum vorbei und raus aus dem Anwesen. Doch auf halbem Wege bremste er und starrte entsetzt in Richtung der Treppe. Am anderen Ende des Flurs konnte er im Schatten den Umriss einer Frau wahrnehmen. Sie bewegte sich langsam auf ihn zu, und nun konnte er mehr erkennen. Sie war mit einer pechschwarzen, voluminösen Robe bekleidet und trug einen schwarzen Hut. Das ebenfalls schwarze Haar hatte sie hochgesteckt. Doch ihr Gesicht war erschreckend: Es sah aus, als würde es aus Wachs bestehen, die Augen waren herausgequollen und der Mund war zerlaufen. Die Frau kam weiterhin langsam auf Lukas zu, doch ihre Beine bewegten sich dabei nicht. Sie schien zu schweben! Lukas stieß einen leisen Schrei aus und wich zurück. Die Frau schien sich für Lukas aber gar nicht zu interessieren, denn sie bog vor ihm in den Raum mit den Puppen ab und verschwand darin. Ängstlich und mit zittrigen Beinen ging Lukas zu der Tür und warf einen vorsichtigen Blick in den Raum. Die Frau stand mittig im Raum und starrte Lukas direkt an. Ihr zerlaufener Mund verzog sich zu einem Lächeln. Plötzlich nahm Lukas einen lauten Schrei wahr, und die Frau stürzte auf Lukas los. Dieser schrie ebenfalls auf und konnte die Tür im letzten Augenblick zustoßen. Dann begann er so schnell er konnte, über den Flur bis zum anderen Ende zu laufen. Hinter ihm konnte er wieder ein Schreien hören, doch er traute sich nicht, sich umzudrehen. Mit einem Höllentempo raste er die Stufen nach unten in die Eingangshalle, öffnete die große Tür und stürmte nach draußen. Dann knallte er die Tür hinter sich zu und lief zu seinem Auto. Als er schließlich eingestiegen und losgefahren war, konnte er durchatmen. Er hatte es geschafft! Er hatte das Testament geholt und war diesem unheimlichen Ort entkommen.

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