14. Kapitel

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Wind pfiff über eine kahle Ebene. Der einzige Ort, vor dem er Halt machte, war ein kleiner Platz, der mit Schrott und Müll beladen war. Meyra stand inmitten dieses Durcheinanders, ihre Jacke fest um sich geschlungen, und wartete. Ihr Blick schweifte suchend durch ihre Umgebung.

"Meyra, da bist du ja", hörte sie Kiyans Stimme hinter sich.

Meyra drehte sich um. Der Mann kam auf sie zu und nickte zum Gruß.

"Hallo", sagte sie.

"Wollen wir vielleicht reingehen? Hier draußen ist es nicht sehr angenehm", bemerkte Kiyan.

Meyra nickte, denn der Wind wurde immer stärker und sie fror. Andererseits war ihr der Haufen Schrott, der vor ihr lag, auch nicht sehr geheuer. Sie verstand nicht, weshalb Kiyan sie ausgerechnet an so einen kalten und schmutzigen Ort gebeten hatte. Trotzdem folgte sie ihm durch das Tor, auf dessen rostigem Bogen in schiefen Buchstaben das Wort "Schrottplatz" geschrieben stand. Wie alt der Platz wohl war? Meyra war noch nie hier gewesen, er war vermutlich auch außer Betrieb.

"Wie schon vorgestern gesagt, möchte ich dir jemanden vorstellen", erklärte Kiyan. Ohne zu Zögern, als sei der Platz sein zweites Zuhause, schob er sich durch die alten Bauteile voran. Meyra betrachtete den Schrott interessiert. Einige Gegenstände darunter sahen wirklich interessant aus. Sie entdeckte eine Art Handy. Es war aufklappbar und besaß Tasten. Und daneben eine uralte Uhr mit echten Zeigern.

Als Kiyan stehen blieb, begann Meyra mit den Füßen hin und her zu wippen.

Sie blickte sich um und zuckte zusammen. Zwischen einigen der Bauteile waren Menschen hervorgekrochen. Da ihre Kleidung an die Umgebung angepasst war, hätte Meyra sie beinahe übersehen. Die meisten musterten sie neugierig, einige auch misstrauisch

"Hallo, du musst Meyra sein. Ich bin der stellvertretende Anführer der Menschen hier."

Meyra wirbelte herum. Ein Mann, ungefähr so alt wie Kiyan und ihr Vater, stand vor ihr. Er war klein und schmächtig und lächelte sie freundlich an.

"Ja, die bin ich", antwortete sie und warf Kiyan einen schnellen, fragenden Blick zu.

Der nickte ihr nur kurz zu.

"Kiyan hat mir ein wenig über dich und deine Lage erzählt. Er hat mir auch berichtet, dass du geheime Informationen über ein altes System gefunden hast. Stimmt das?", fragte der fremde Mann.

"Ja", antwortete Meyra unsicher.

"Diese Informationen bestehen laut Kiyan aus einem in alten Sprachen verfassten beziehungsweise verschlüsselten Text, der in Papierform auf einem Tisch in einem verbotenen Raum im Museum lag. Stimmt das ebenfalls?"

Meyra nickte.

"Und du hast diese Informationen abfotografiert?"

Sie nickte erneut und zog ihr Handy heraus. Cailan hatte ihr das Foto geschickt. Sie fand es in ihrer Galerie und sah Kiyan noch einmal fragend an. Der blinzelte ihr ermutigend zu und Meyra zeigte dem fremden Mann das Bild. Dieser musterte es mit zusammen gekniffenen Augen. Er hob sein eigenes Handy und zog das Foto mit ein paar schnellen Bewegungen darauf.

"Vielen Dank, Meyra. Ich glaube, du hast keine Ahnung, wie wichtig diese Information für uns ist."

Die hatte sie tatsächlich nicht. "Was ... was sind das für Leute?", wagte sie zu fragen und nickte unauffällig in Richtung der sie beobachtenden Gestalten.

"Menschen, die die aktuellen Gesetze nicht akzeptieren und die mit der Regierung nicht zufrieden sind. Die es nicht schätzen, wenn man ihnen vorschreibt, was sie tragen oder wen sie lieben sollen. Und die hoffen, irgendwann ein anderes, besseres, weniger eingeschränktes und bedrohtes Leben führen zu können. Ich gehöre auch zu ihnen, und Kiyan. Wir versammeln und hier, einige Leute haben in dem Schrottplatz sogar ein Zuhause oder auch ein Versteck vor der Regierung gefunden. Hierher, an diesen schmutzigen, kaputten Ort, kommt nie jemand", erklärte er.

Meyra blinzelte und versuchte, das Gesagte zu verarbeiten. Was er erzählte, war zwar und erinnerte sie an ihre eigenen Empfindungen, doch es klang, als würde der Mann von einer Art ... Rebellen sprechen. Das Wort ließ ihr einen Schauder über den Rücken laufen. Rebellen. Ein Begriff für Menschen, die Unrecht erlebt, und ihrem Land ins bessere verhelfen wollen. Oder aber für Unruhestifter und Verschwörer.

Kiyan legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Ich glaube, du solltest jetzt gehen. Ich danke dir für dein Vertrauen und verspreche, dass du es nicht bereuen wirst." Er sah sie eindringlich an und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: "Das hier sind gute Menschen, glaub mir."

Der stellvertretende Anführer nickte zustimmend. "Wir werden den Rest des Textes übersetzen. Kiyan wird dich was die Infos darin angeht auf dem Laufenden halten", erklärte er.

Meyra nickte und wollte sich auf den Rückweg machen, doch der Freund ihres Vaters hob eine Hand. "Moment. Nimm lieber den Weg über den Strand. Dort ist es nicht so windig."

Meyra nickte, lief durch das Tor und von da aus in die entgegengesetzte Richtung zu der ihres Hinweges. 

81 Prozent LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt