17. Kapitel

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Das Geräusch einer sich öffnenden Wohnungstür ertönte vom Flur und Meyra schaute auf. Eigentlich erwarteten sie, soweit sie wusste, niemanden. Ging einer ihrer Eltern hinaus? Oder hatten sie unerwarteten Besuch?

Sie schob ihre halbfertige Zeichnung beiseite und stand auf. Als sie den Flur betrat, hörte sie eine vertraute Stimme. Luc. Innerlich stöhnte sie auf. Nach seinem Verhalten Cailan gegenüber hatte sie nun nicht wirklich Lust, sich sein Gezicke erneut anhören zu müssen. Obwohl ... eigentlich war Luc ja ihr Freund. Falls er sich wieder so daneben benahm, würde sie ihm diesmal ihre Meinung sagen. Vermutlich war ihm gar nicht bewusst, dass er ihr Date gestört hatte. Er würde sich entschuldigen und für einen Moment betroffen sein, dann aber wieder Witze reißen und sie mit seiner charmant-witzigen Art dazu bringen, ihm zu verzeihen. Bei der Vorstellung musste Meyra lächeln.

Sie schlenderte hinaus auf den Flur. Dort erblickte sie den Nachbarsjungen, neben ihm stand Kezia.

"Hallo Luc", begrüßte sie ihn. "Hast du endlich gelernt, wie eine Haustür funktioniert?"

Er grinste.

"Ja, allerdings finde ich diesen Eingang ziemlich langweilig. Das Fenster ist mir lieber."

Meyra musste ebenfalls lächeln.

"Ich habe Apfelkuchen gebacken und Luc zu einem Stück eingeladen", erklärte Kezia. "Du hast doch sicher auch Appetit?"

Meyra nickte und folgte ihrer Mutter und Luc in die Küche.

Kezia schnitt den Kuchen an und reichte beiden ein Stück. Meyra nahm ihren Teller und biss von der noch warmen Süßigkeit ab. Sofort schloss sie genüsslich die Augen, denn ein intensiver Apfelgeschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Dieser nach einem Familienrezept gebackene Kuchen war wirklich köstlich.

Nach einer Weile des Schweigens räusperte Luc sich und begann mit Kezia über die neuesten Nachrichten zu diskutieren. Meyra beteiligte sich nicht an dem Gespräch, sie hörte lieber zu und genoss den Kuchen.

Als sie aufgegessen hatte, stellte sie ihren Teller beiseite.

"Nimmst du Luc mit auf dein Zimmer?", fragte Kezia.

Meyra sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ich bin kein kleines Kind mehr", bemerkte sie, bedeutete dem Jungen jedoch, ihr zu folgen.

Als sie in ihr Zimmer kamen, schloss Meyra die Tür und deutete anklagend mit dem Finger auf das Bett. "Da. Siehst du das? Dein Kater ist zur Zeit ständig hier und beansprucht mein Bett für sich." Ein humorvoller Ton schwang in ihrer Stimme mit.

Luc grinste. "Yoda mag dich eben. Oder dein Bett."

Meyra verdrehte die Augen. "Haha."

Er setzte sich auf die Bettkante und sie ließ sich neben ihn fallen. Dabei verlor sie kurz die Balance und rutschte beinahe auf seinen Schoß.

"Huch", machte Luc belustigt.

Schnell rückte Meyra von ihm weg. Zu ihrer Verwirrung merkte sie, dass Hitze in ihr Gesicht stieg. Was war denn mit ihr los? Luc zu berühren war für sie nie ein Problem gewesen. Schließlich war er ihr Nachbar und Kindheitsfreund. Als sie merkte, dass ihr Herz einen Tick zu schnell klopfte, schüttelte sie verärgert den Kopf und wandte ihn Luc zu.

"Was sollte das, letztens im Museum?", fragte sie kühl.

"Was?" Er schien irritiert von ihrem plötzlichen Stimmungswechsel.

"Du warst irgendwie unfreundlich zu Cailan."

"War ich das?" Luc runzelte die Stirn.

"Ja." Meyra verfluchte sich selbst. Sie klang wie ein trotziges Kleinkind.

Luc zuckte die Schultern und schwieg einen Moment. "Wollen wir weiter Star Wars gucken?", fragte er.

"Okay." Meyra stand auf, schaltete ihren PC an und klickte sich zu dem Film. Als der Vorspann begann, ließ sie sich wieder neben Luc sinken, diesmal mit etwas mehr Abstand.

Er drehte den Kopf zu ihr um und summte die Musik mit. Sie lächelte schwach. Plötzlich legte er einen großen, festen Arm um sie und zog sie näher an sich heran. Die Geste war unbekümmert und wie selbstverständlich. Sie hatten schon oft so dagesessen, Lucs Arm um Meyras Schulter und sie an seine Brust gekuschelt. Doch nun verspannte sie sich. Als sie mit dem Kopf gegen seinen Oberkörper stieß, wehte ihr der frische, männliche Duft seines Parfüms in die Nase und betörte ihre Sinne. Ihr Herz begann wieder zu klopfen. Was war nur los mit ihr? Warum verhielt sie sich in Gegenwart von Luc plötzlich so seltsam?

Beunruhigt befreite sie sich aus seinem Griff. "Ich muss auf Toilette. Bin gleich wieder da."

Luc nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. Sie eilte aus dem Zimmer und strich sich mit leicht zittrigen Fingern eine Strähne aus dem Gesicht.

Die Gefühle, die sie in Lucs Gegenwart plötzlich empfand, machten ihr Angst. Solche Empfindungen hätte sie vielleicht Cailan gegenüber erwartet, nicht aber mit ihrem Kindheitsfreund.

Sie öffnete die Tür zum Badezimmer und setzte sich auf den runtergeklappten Klodeckel. Dort verweilte sie für einen Moment, schloss die Augen und versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Konnte es sein, dass sie sich in Luc verliebt hatte?

Nein. Unmöglich. Cailan war der Mann, den sie heiraten würde. Sie könnte niemals mit Luc zusammen sein, selbst wenn sie es wollte. Nicht, solange das System lief. Solange das System lief. Meyra musste an die Rebellen denken. Waren sie in ähnlichen Situationen gewesen? Und hatten deshalb beschlossen, etwas gegen die Regierung zu unternehmen?

Meyra holte tief Luft und rieb sich über das Gesicht. Dann stand sie auf, drückte vorsichtshalber die Toilettenspülung und kehrte in ihr Zimmer zurück.

81 Prozent LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt