Keara war sich noch immer nicht sicher, was da gestern passiert war. Sie hatte sich geschworen Adrian zu vergessen, einfach nie wieder an ihn zu denken und was hatte sie den ganzen Abend lang getan? An ihn denken müssen. Sich dann als Manöver der Eifersucht an seinen Bandkollegen zu schmeißen, hatte sie im ersten Moment für richtig befunden. Sie war sich selbst fremd vorgekommen. Sie tat das für gewöhnlich nicht – flirten. Sie wusste überhaupt nicht, wie das funktionierte. Daher hatte sie auch das Gefühl vollkommen versagt zu haben.
Luna war selbstredend stolz auf sie gewesen. Ihre leuchtenden Augen hatte sie aufgerissen und sie gefragt: „Bitte was hast du getan?"
Es war schlimm genug gewesen selbst damit leben zu müssen, sich vor Adrians gesamter Band und dieser unhöflichen Frau blamiert zu haben. Nun hatte sie ihrer besten Freundin auch noch einen Grund mehr gegeben, sich über sie lustig zu machen.
Und Luna reizte dies tatsächlich aus. Nur machte sie sich weniger lustig über sie. Es war viel eher so, dass sie ihr ständig verkündete, sie toll erzogen zu haben. Ja, Keara fürchtete auch, dass dies ihr schlechter Einfluss gewesen sein musste. Immerhin hätte es ihre Mitbewohnerin genauso gemacht.
Gegen Freitagabend hatte Keara es dann endlich satt. Luna war gerade auf der Suche nach Ihrer Handtasche, als es an der Tür klingelte. Schnell hob sie den Kopf. „War das etwa die Klingel? Keara, gehst du bitte?" Ihr Tonfall klang belustigt. „Das ist der Pizzabote. Meinst du, du kannst mir seine Nummer besorgen? Du bist ja mittlerweile geschult in sowas."
„Ha-ha." Keara verdrehte die Augen. Ja, sie hatte mit einem berühmten Musiker geflirtet, aber zur Hölle, wieso beschäftigte ihre beste Freundin dies mehr, als die Tatsache, dass sie mit einem der wohl bekanntesten Musikern weltweit rumgeknutscht hatte?
„Das war schon nicht mehr jugendfrei.", hatte sie Lunas Worte noch im Ohr. Das hatte sie damals zu ihr gesagt, nachdem sie bereits dreimal über die absurde Szenerie gesprochen hatten.
Aber sollte die angehende Lehrerin nicht sogar stolz darauf sein, dass das Thema endlich vom Tisch war? Immerhin hatte Luna so viel Einfühlvermögen sie mit anderen Dingen aufzuziehen, als mit dem, worüber sie offensichtlich nicht sprechen wollte.
„Wie viel macht das?", fragte Keara den Pizzaboten gelangweilt und kramte in ihrer Geldbörse.
„Oh hallo." Ein junger Mann mit schwarzen Locken grinste sie schief an. Er war entweder noch Minderjährig oder gerade erst 18 Jahre alt geworden. Seine präsente Jugend stand ihm ins Gesicht geschrieben. Umso überraschender kam es, als er plötzlich entgegnete: „Gib mir deine Nummer und wir sind quitt, Süße."
Keara hob die Augenbrauen. Süße? Wen nannte er hier bitte Süße?
„Sehr witzig, Luna!", rief Keara über ihre Schulter. Wieder an den Jugendlichen gerichtet fragte sie ernst: „Wie viel hat sie dir gezahlt, dass du das sagst?"
„Was ist witzig?" Luna erschien mit einem Mal neben ihr.
Der Schwarzhaarige vor den Frauen blickte ebenso verwirrt drein, wie Luna. „Sie hat mich nicht bezahlt. Ich... ehm, ich meine das ernst." Sein aufgesetztes Selbstbewusstsein war mit einem Mal verschwunden.
„Nur damit ich hier noch richtig mitkomme. Wofür soll ich dich bezahlt haben?" Luna betrachtete den Pizzaboten skeptisch.
„Ich habe sie nach ihrer Nummer gefragt.", gab er kleinlaut zu.
Und sofort begann das Gelächter. Luna hatte sicherlich nicht absichtlich gemein zu ihm sein wollen und trotzdem lachte sie viel zu laut. „Das ist der Hammer! Gott, ist das niedlich. Oh Gott!" Und sie lachte weiter. „Siehst du, du hast es drauf, Keara."
„Keara, das ist ein schöner Name.", mischte sich nun wieder der Jugendliche ein.
Keara selbst befand das ganze nicht wirklich als lustig. Sie war rot angelaufen. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken. „Ich...", begann sie unsicher. „Danke. Ich werde dir aber nicht meine Nummer geben." Sie kramte einen 20€-Schein aus ihrem Portemonnaie und versuchte sich an einem freundlichen Lächeln. „Hier, nimm das. Ich entschuldige mich für das verhalten meiner Mitbewohnerin."
Der Pizzajunge tauschte traurig drein blickend die Pizzakartons gegen das Geld. Luna nutzte die Gelegenheit ihm stolz flüsternd zu verkünden, dass ihre beste Freundin seit gestern das Flirten für sich entdeckt hatte und sich angeblich gar nicht so schlecht angestellt zu haben schien. Knapp nickte der Jugendliche, dann drehte er sich zum Gehen.
„Du bist so peinlich!", zischte Keara und boxte ihre beste Freundin auf den Oberarm. Diese zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sobald die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, begann sie wieder zu lachen. „Gott, wieso hat das niemand aufgezeichnet?" Sie krümmte sich weiter vor Lachen, während Keara sie mit hochrotem Kopf beobachtete und die Pizza in die Küche brachte.
„Und du hast wirklich gedacht, ich hätte den Kerl bezahlt, dass er das zu dir sagt?" Sie steigerte sich immer mehr in ihr Lachen, bis es der angehenden Lehrerin zu viel wurde. „Ich esse in meinem Zimmer.", verkündete sie.
„Nein! Bitte nicht. Ich bin doch gleich wieder weg." Gegen Lunas Protest konnte Keara schlecht etwas sagen. Ihre Frühschicht als Barkeeper würde jeden Moment anfangen, weshalb jede Minute mit ihr kostbar war. Und Keara wollte gerade lieber aufgezogen werden, als alleine zu sein. Denn wann immer sie alleine war, brachen ihre Gedanken über ihr zusammen und damit konnte sie gerade gar nicht umgehen. Sie hatte keine Gedanken, die es ihrer Meinung nach Wert waren gedacht zu werden.
„Ich bin auch ganz lieb.", beharrte Luna.
Ihre beste Freundin und Mitbewohnerin zuckte bloß die Schultern. „Ist okay. Ich wollte dir sowieso noch ein lustiges Katzenvideo zeigen, das ich vorhin entdeckt habe." Vielleicht, aber nur vielleicht hatte Keara eine kleine Schwäche für die Welt von Instagram. Sie schaute sich dort gern do it yourself Videos an und lachte über alle möglichen Beiträge zu Haustieren.
Mit dem ersten Biss in das Stück Pizza öffnete sie die App und begann damit durch ihre Historie zu scrollen. Sie wusste, dass es noch nicht lange her war, dass sie das Video der süßen maunzenden Katze gesehen hatte. Trotzdem gab es auf ihrer Seite mittlerweile genügend neue Beiträge, um sich jeden davon genau anzusehen und zu viel Zeit zu verplempern, in welcher sie das Video noch immer nicht gefunden hatte.
An einem Beitrag mit einem kitschig-schleierhaften Filter blieb die angehende Lehrerin dann haften. Ihr stockte der Atem. Sie war nicht gerade sehr stolz darauf, aber seit den letzten Nachrichten über Adrian und seine neue Geliebte folgte Keara Viviana, nur um sich anzuschauen, was diese Frau hatte, das sie selbst scheinbar nicht hatte. Mit dem Beitrag, der ihr dort ins Auge sprang, wurde ihr eines schmerzlich bewusst: Viviana hatte tatsächlich eine Sache, die sie selbst haben wollte, aber nicht haben konnte.
Der Beitrag zeigte die junge Frau im Bett mit ihrem „Schatzi", wie sie ihn in ihrer Beitragsbeschreibung betitelt hatten. Blöd nur, dass ihr Schatz ausgerechnet Adrian war. Friedlich schlafend und anscheinend nackt lag er neben diesem Blondchen im Bett.
Langsam ließ Keara ihr Handy sinken.
Luna schien ihren Blick direkt eingefangen zu haben. Augenblicklich fragte sie: „Was ist passiert?" Ohne zu fragen schnappte sie sich das Handy aus den Händen ihrer Freundin und besah sich selbst des Beitrags. „Das ist jetzt nicht deren fucking Ernst.", fauchte sie eiskalt. „Dieser Wichser! Ich-" Augenblicklich bremste sie sich selbst, ehe sie sich weiter in Rage redete. Ihr Blick wurde weicher. Sie sah nachdenklich aus. „Das Portemonnaie!", rief sie aus. „Oh Mist, ich sollte echt los."
Und sie ließ Keara doch allen Ernstes alleine zurück. Gerade jetzt hätte sie ihren Beistand gebraucht. Hatte Luna etwa seit neuestem vor pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen? Das war doch sonst nicht ihre Art.
So komisch ihr plötzlicher Abgang auch gewesen war, so verwirrt und einsam fühlte sich Keara auch gerade. Mit dem Knallen der Wohnungstür kam die Stille und mit ihr brach alles andere über sie zusammen. Und die Gedanken begannen sich aufs neue zu drehen. Das würde ein verdammt langes Wochenende werden!
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Your Lips Are Venomous Poison
عاطفيةAdrian hat alles, was er immer wollte. Er verdient mit Musik sein Geld und badet im Ruhm. Doch dann trifft er Keara wieder, die Frau, die er zu Schulzeiten immer geärgert hatte und die ihm dies scheinbar noch immer nicht verziehen hat. Schade, da si...