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Es war bereits dunkel, als Grischa sich aufrichtete und so liebevoll zu ihr herunter sah das sie für einen Augenblick die Dunkelheit vergaß, die in ihm ruhte. Die Dunkelheit, die sie noch vor wenigen Stunden verletzt hatte.
Er würde ihr nicht weh tun, nie. Was auch immer es war was dort in ihm ruhte war ausgebrochen, nur für einen winzigen Moment, doch es hatte ihr gezeigt, wie sehr er kämpfen musste, um es zu bändigen. Wie kaputt er eigentlich war.

"Du bist so wunderschön-" hauchte er ihr entgegen, ließ seine Fingerspitzen über die inzwischen verblassten Spuren wandern, die er bei seinem ersten Ausbruch hinterlassen hatte. Die es hinterlassen hatte.
Sie weigerte sich zu glauben das diese Dunkelheit er selbst war und ihr geisterten hunderte Fragen im Kopf umher von denen sie es doch nicht wagte nur eine einzige auszusprechen.
Stattdessen lächelte sie schüchtern, schmiegte ihre Wange in seine kühle Handfläche.
Seine Berührungen lösten ein wohliges Gefühl in ihr aus, eine Wärme die nur Grischa in ihr zu entfachen vermochte.
Es war lange her das sie so empfunden hatte, doch die Erinnerungen an die Zeit, bevor sie zu Grischa gekommen war, waren verblasst, nicht mehr als Zeilen einer längst zu Ende gedachten Geschichte, deren mit Tinte niedergeschriebenen Wörter längst vom Regen verschwommen waren.

"Was bedrückt dich, mein Herz?" fragte er leise, strich mit dem Daumen zärtlich über ihre Wange.

"Ich habe Angst." gestand sie leise, "Angst davor, was das Schicksal für uns bereithält."

Er neigte den Kopf, sah sie lange an. Trauer lag in seinem Blick, Trauer und...Hoffnung?

"Niemand weiß welche Geschichten das Schicksal spinnt, Mika. Niemand kann dann Verlauf der Geschichten ändern. Wir sind nicht mehr als Figuren in einer Welt, die wir nur glauben kontrollieren zu können. Unsere Leben sind nicht mehr als ein Atemzug in der Unendlichkeit.
Was geschehen wird, wird geschehen, weil es so vorhergesehen ist, weil es so sein soll und was vergangen ist, verging weil es so erdacht war."

Seine Augen hielten ihren Blick gefangen und sie öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, doch Grischas Lippen trafen in diesem Moment so zärtlich auf die ihren, dass all der Kummer, der drohte sie zu überwältigen in nur einem einzigen Wimpernschlag dahin wich. Er war ihr Fels in der Brandung, an den sie sich stets geklammert hatte, um nicht von den Fluten ihrer Erinnerungen in die Tiefe gerissen zu werden und es tat ihr im Herzen weh, dass weder er noch sie noch irgendwer anders das aufzuhalten vermochte, was das Schicksal für sie vorhergesehen hatte, doch es spendete ihr Trost, dass er es sein würde, der an ihrer Seite in die Tiefe stürzen würde.

''Denk nicht so viel darüber nach, mein Herz. Ich ertrage es nicht dich so traurig so sehen.'' murmelte er, nachdem er seine Lippen von ihren gelöst hatte. 

''Mhm.'' entgegnete sie, bettete ihren Kopf wieder auf seine Brust. Leise drang das rhythmische Pochen seines Herz an ihr Ohr. Ein Herz, das nur ihr gehörte, ein Herz, das in tausend Teile zerfetzen würde, würde sie sich ihm entziehen. Irgendwo tief in ihm schlummerte das Raubtier, doch für den Moment schien es wieder zu ruhen, für den Moment war er bei ihr, er und all die Liebe, die er zu geben hatte.

Gedankenverloren ließ er seine Finger durch ihr zerzaustes Haar gleiten, entwirrte vorsichtig eine der blauen Strähnen nach der anderen, bis ihr Haar sich wieder in sanften Wellen über ihren nackten Rücken ergoss. Es waren Zärtlichkeiten wie, diese die ihr Herz immer wieder dahinschmelzen ließen, die sie daran erinnerten, dass er es gewesen war, der die Tinte, mit der die Kapitel ihrer Vergangenheit geschrieben waren, hatte verblassen lassen. 

''Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?'' fragte er leise, schob sie sanft von seiner Brust und erhob sich von dem Bett, auf dem sie die letzten Stunden verbracht hatten. Fasziniert beobachtete sie die fließenden Bewegungen, mit denen sein trainierter Körper sich durch den Raum bewegte, im dämmrigen Licht, das in den Raum fiel, wirkte er wie eine Schattengestalt, wie eine Katze, die sich lautlos durch die Dunkelheit bewegte. 

"Ja..." erwiderte sie, unfähig den Blick von diesem wunderschönen Mann zu abzuwenden.
Wie viele Frauen sie wohl um diesen Anblick beneiden würden? Grischa war ein attraktiver Mann und es gab bestimmt einige Frauen, die sich nur zu gerne an seiner Seite präsentierten würden, und nichtsdestotrotz hatte er sie gewählt, immer und immer wieder.
Sie legte die Stirn in Falten.

Wenn sie ihn auf diese Veranstaltung seines Vaters begleiten würde, wäre ihre Beziehung zueinander nicht länger ein Gerücht, basierend auf flüchtigen Momenten der Zuneigung, die er in der Öffentlichkeit nur selten mit ihr zu teilen pflegte.
Ab diesem Moment wäre sie ganz offiziell die Frau an der Seite eines prominenten, undurchsichtigen Mannes über den mehr Gerüchte in Umlauf waren als Gwen Rosen auf ihrem Anwesen pflegte - nur sie würde ab diesem Moment nicht länger nur ein Gerücht sein.

"Du denkst über morgen nach?"

Die Matratze senkte sich, als Grischa sich auf der Bettkante niederließ.
Zu ihrem Bedauern genoss sie nicht länger die Aussicht auf seinen nackten Oberkörper, doch selbst unter dem weißen T-Shirt konnte sie seine Muskeln im Dämmerlicht noch immer ausmachen 

"Wenn ich morgen an deiner Seite dort erscheine...es wird für Gesprächsstoff sorgen, oder?" fragte sie vorsichtig.

Er nickte langsam, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel.

"Ja, das wird es, mein Herz. Die Bilder werden sich wie ein Lauffeuer verbreiten und vermutlich wirst du dich schon übermorgen an meiner Seite als Titelbild irgendeines mehr oder weniger seriösen Magazins finden." entgegnete er und seine Mundwinkel zuckten amüsiert.

Sie brummte leise, warf ein Kissen nach ihm - natürlich wich er dieser halbherzigen Attacke mühelos aus und schüttelte grinsend den Kopf, dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst.

"Ich will nur dich, Mika, seitdem ich dich das erste Mal gesehen habe. Und ich will das jeder weiß das du zu mir gehörst. Ja, die Blicke werden auf dir ruhen, aber sie werden die Warnung verstehen." Fügte er leise hinzu.

Sie nickte schwach, dachte zurück an den Abend, an dem sie den Fremden in Grischas Club getroffen hatte.
War er der Grund für Grischas Entscheidung?
War er der Auslöser gewesen, der Grischa dazu verleitet hatte sie nicht länger versteckt zu halten, sondern in aller Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie zu ihm gehörte?

Wehmütig dachte sie an den kleinen Vogel in seinem goldenen Käfig. Der Fremde hatte die Hand nach ihr ausgestreckt und sie einen Hauch von Freiheit kosten lassen - und Grischa hatte seine Konsequenz daraus gezogen.

"Schlaf, Mika." murmelte er leise, riss sie aus ihren Gedanken.
Sie sah auf, er hatte sich wieder erhoben und stand in der Türe zum Wohnzimmer.
"Schlaf." wiederholte er, schenkte ihr einen so liebevollen Blick, dass ihr Herz einen Sprung machte.

Er liebte sie, so sehr, dass es weh tat.

"Ich gehe mit Garm nach draußen. Dann komme ich zu dir."

Er liebte sie, und irgendwann würden sie daran zugrunde gehen. Irgendwann.

Doch nicht in dieser Nacht.

BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt