Darcio hatte sie ohne eine Rührung seiner Gesichtszüge im Auge behalten, während sie sich Schritt für Schritt in Richtung ihres Zimmers gequält hatte. Gewiss waren nur einige Minuten verstrichen, doch ihre erschöpften Muskeln hatten es wie Stunden anmuten lassen - nichtsdestotrotz hatte sie die Zähne zusammengebissen, bis sie schließlich vor dem schwarzhaarigen Unsympathen gestanden hatte. Erwartungsvoll hatte er zu ihr hinabgeblickt, die Arme vor der Brust verschränkt - nicht einmal mit der Wimper hatte er gezuckt, als sie ausgeholt und ihn geohrfeigt hatte. ''Verdient'' hatte er lediglich gemurmelt, sich von der Wand abgestoßen und ihr den Arm angeboten, den sie für die letzten Meter dankend angenommen hatte. Er mochte ein arroganter, kaltherziger Idiot sein - doch irgendetwas in seinem Blick ließ sie erahnen, dass ihre kleine Auseinandersetzung ihr einen ersten Funken Respekt eingebracht hatte.
Wortlos, jedoch nicht ohne mit einer Mischung aus Interesse und Skepsis ihre Gesichtszüge zu betrachten, hatte er sie zum Bett geführt, ehe er sich zurückgezogen hatte um sie aus gebührender Distanz im Auge zu behalten.
''Für jede Frage die ich dir beantworte, beantwortest du mir im Gegenzug auch eine. Deal?''
''Meinetwegen'' entgegnete Darcio mit gleichgültigen Blick, die Arme vor der Brust verschränkt hatte er sich am anderen Ende des Raumes auf die Couch fallen lassen und beobachtete von dort aus jede Rührung ihrer Muskeln, als hätte er Sorge etwas zu verpassen. Seit geschlagenen eineinhalb Stunden saßen sie sich nun so schon gegenüber, ihre bisherigen Versuche ihm mehr als nur einen genervten Blick zu entlocken waren gescheitert - seine Zustimmung bestätigte nun wiederum ihre Vermutung, dass jede Antwort, jede Information, die dieser Mann von sich gab, ihren Preis haben würde.
''Also-'' begann er, neigte den Kopf, ''Warum bist du hier?''
''Ist das nicht etwas, was du auch einfach in meiner Akte nachlesen kannst, die Alexander so großzügig mit Informationen und Beobachtungen füttert?'' entgegnete sie kühl.
Er hob die Augenbraue, warf einen kurzen Blick auf die Mappe, die neben ihm auf den Polstern lag. ''Könnte ich'' meinte er, zuckte mit den Schultern. ''Ich bevorzuge jedoch es aus deinem Mund zu hören''.
''Grischa hat mir die Rippen gebrochen''.
''Das ist nicht der Grund, weshalb du hier bist''.
''Ehrlichkeit war nicht Teil unserer Absprache'' murmelte sie, richtete den Blick hinaus in die Nacht. Kaum eine Wolke verhüllte die Sicht auf die Sterne, nur einige wenige Schwaden huschten über das Himmelszelt. Unbeeindruckt von dem, was hier unten, in diesem Zimmer vor sich ging, blickte der Fuchs zu ihr hinab, gefangen zwischen seinen Sternen, bis diese irgendwann sterben würden und die Fuchsseele in die schwarze Unendlichkeit entfliehen würde.
Darcio lächelte, zum ersten Mal an diesem Abend schlich keine Spur von Wut, Hohn oder Belustigung über seine Lippen. ''Schlaues Mädchen'' murmelte er, hakte nicht weiter nach - Sekunden verstrichen, die sich wie Minuten anfühlten und doch kein bedrückendes Gefühl hinterließen.
''Ich weiß es nicht'' flüsterte sie schließlich, zog die Decke enger um ihre Schultern. ''Ich weiß nicht, warum ich hier bin''.
Er nickte langsam, strich sich über das Kinn. ''Wer weiß das schon'' murmelte er geistesabwesend, schien für einen Augenblick gedanklich so unendlich fern zu sein - neugierig neigte Mika den Kopf, betrachtete seine scharfen Gesichtszüge, die ähnlich müde erschienen wie die Alexanders - müde und verhärtet, als hätte auch er Dinge gesehen, die ihm das Lächeln von den Lippen geraubt hatten.
''Wie meinst du das?'' hakte sie vorsichtig nach, rutschte auf dem Bett ein Stück in seine Richtung.
Er legte die Stirn in Falten, schloss für einen kurzen Moment die Augen, nur für einen Moment, doch diese winzige Geste ließ ihn menschlicher erscheinen, als er sich den ganzen Abend über gegeben hatte. ''Niemand weiß wirklich, was ihn hierherzieht. Manch einen von uns hat Alexander auf der Straße aufgelesen, manch einer ist geblieben, nachdem Xander ihnen die Tür in die Welt geöffnet hat. Jeder der hier durch die Gänge wandelt, trägt seine eigenen Dämonen im Kopf, aber hier werden sie leise, ziehen sich zurück, verschwinden vielleicht sogar für immer'' begann er nach einigem Zögern, noch immer ruhte sein emotionsloser, kühler Blick auf ihr, als würde das Gesagte ihn in keiner Weise erreichen.
''Du warst auch einmal einer seiner Patienten?''
Darcio schüttelte den Kopf, hob abwehrend die Hände. ''Ich bin dran, Mika.'' erinnerte er sie, wieder huschte ein Lächeln über seine Lippen. "Was macht dich glücklich?"
"Grischa" entgegnete sie im Bruchteil einer Sekunde, doch noch während ihre Antwort ihre Lippen verließ, keimten Zweifel in ihr auf. Machte er sie wirklich glücklich? Alexanders Worte hatten Spuren hinterlassen, ließen sie zweifeln an dieser scheinbar endlosen Liebe die er ihr entgegenbrachte.
Darcio schnaufte leise, rieb sich die Schläfe. "Es macht dich glücklich, dass er jeden deiner Schritte kontrolliert, dich misshandelt, dich zwingt an seiner Seite zu bleiben? Es macht dich glücklich, dass er sich an dir festkrallt um nicht endgültig seinem Wahnsinn zu verfallen?"
Der Mann mit den kühlen, blauen Augen schüttelte den Kopf, fuhr sich abermals durch die Haare. "Er benutzt dich, Mika. Von Beginn an. Dieser Mann ist gefährlich, unberechenbar und von Wut, Kummer und Selbstverachtung zerfressen"."Er hat mich dort rausgeholt" unterbrach sie ihn leise, ein schwacher, unglaubwürdiger Versuch das alles vor sich selbst zu rechtfertigen. Alles was sie an seiner Seite hielt war das Gefühl unendlicher Schuld auf ihren Schultern - das, und die traurige Gewissheit, dass er es nicht überleben würde, würde sie ihm den Rücken zukehren.
Darcio erhob sich, stiefelte im Raum auf und ab, bleib schließlich vor ihr stehen.
"Seine Mutter zu verlieren hat ihn zerbrochen. Und alles, was dieses fragile Gebilde seiner eigenen Psyche zusammenhält, ist der Glaube, dass er dich retten konnte. Alles woran er sich festklammert, alles was diesen Mann davon abhält sich selbst hinzurichten ist die Überzeugung, dass er dich vor der Welt dort draußen beschützen muss, beschützen kann. Und um dieses Trugbild aufrecht zu erhalten, um sich selbst zu retten, würde dieser gottverdammte Idiot alles tun - und wenn es bedeutet, dich zu einem Teil seines Wahnsinns, seiner Manie zu machen''.Stechend bohrte sein Blick sich in ihren, Wut kochte in dieser eisblauen Landschaft seiner Augen, fraß sich durch die Kühle seiner Emotionen. Er brodelte, und doch ging eine lähmende Kälte von seiner Präsenz aus, ließ sie erschaudern. Sie zog die Schultern hoch. ''Ich weiß'' entgegnete sie kühl, hielt seinem geißelnden Blick stand. ''Ich weiß-'' wiederholte sie, neigte den Kopf. ''Aber welche Wahl habe ich?''
''Lass ihn gehen''.
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Bittersüß
RomanceWie viel kann eine Seele ertragen bevor sie zerspringt? Grischas Liebe ist erdrückend, beängstigend und finster. Tief in ihm rumort etwas was nach ihr lechzt, was sich nach ihrer Angst sehnt, etwas Dunkles was niemals ausbrechen darf - etwas, was a...