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Gedankenverloren ruhte ihr Blick auf den knisternden Flammen des wärmenden Feuers, die sich gierig dem steinernen Bogen des Kamins entgegenreckten, züngelnd das schwerer, gusseiserne Gitter umspielten.

"Wie geht es dir?"
Lautlos war Alexander hinter sie getreten, seine warme Hand ruhte schwer auf ihrer Schulter. Für einen kurzen Augenblick kam es ihr in den Sinn sie abzuschütteln, doch stattdessen ließ sie sich nur noch tiefer in den Sessel sinken, lehnte den Kopf an seinen Arm.

Drei Tage waren vergangen, seitdem Alexander sie mitgenommen hatte, drei Tage schon verharrte sie in diesem Haus - doch der anfängliche Duft der Freiheit war schnell verflogen, Xanders Zuhause glich mehr einem Hochsicherheitstrakt als einem friedlichen Rückzugsort. Und doch, selbst angesichts all der Kameras und Sicherheitsmänner war sie zur Ruhe gekommen.
Nur selten ließ Xander selbst sich blicken und auch seine Männer gaben sich größte Mühe Distanz zu ihr zu wahren, wichen beiseite sobald sie sich näherte schenkten ihr ein flüchtiges, höfliches Lächeln, ehe sie ihren Blick senkten. 

"Ich weiß es nicht", entgegnete sie leise, neigte den Kopf zur Seite um zu ihm aufsehen zu können.
Er schien erschöpft, seine Gesichtszüge verhärtet, doch als seine Augen flüchtig auf die ihren trafen, wich die Anspannung aus ihnen. Er lächelte mild, ließ den Daumen über ihr Schlüsselbein wandern. 

"Verständlich", murmelte er, fuhr sich mit der freien Hand durch die zerzausten Haare. "Darf ich mich zu dir setzen?"

Sie zögerte, nickte schließlich langsam - die Schwere seiner Hand löste sich von ihrer Schulter und mit ihr verflog auch die Wärme. Ohne den Blick von ihr zu nehmen ließ er sich schräg gegenüber von ihr nieder, die Hände verschränkt.

''Weißt du, die meisten die hierher finden kommen mit Fragen. Mit Ungewissheit, können ihre Gefühle, ihre Gedanken nicht ordnen. Und das ist in Ordnung. Manchmal brauchen wir einfach nur Zeit - Zeit, Ruhe und jemanden der die Hand über uns hält, der bereit ist uns aufzufangen wenn die Gedanken uns überwältigen'', begann er leise zu sprechen, rieb sich mit dem Daumen über den Zeigefinger. ''Viele verlorene Seelen haben hier schon wieder ihr Licht gefunden'' fuhr er fort, sein Blick glitt in die Ferne, blieb an den dunklen Wolken hängen, die sich im abendlichen Himmel vor den Fenstern auftürmten. 

''Du auch?'' fragte sie leise, legte die Arme um die Beine, bettet den Kopf auf die Knie. Nachdenklich zog ihr Gegenüber die Stirn kraus, rieb sich die Schläfe. ''Ich irre nicht mehr in der Dunkelheit umher, meine Liebe - aber mein Licht scheint so weit fort von mir wie nie zuvor''. Er hielt inne, suchte ihren Blick, legte den Kopf schief. ''Die Dunkelheit kann ein wärmender, zärtlicher Ort sein, doch sie fordert stets einen Preis für alles was sie gibt. Und irgendwann verschlingt sie diejenigen, die sich voller Hingabe in ihr suhlen. Sie ist eine Meisterin des Schauspiels, ein Grauen mit tausenden Gesichtern - verlier dich nicht in ihr, Mika.''

''Befürchtest du, Grischa und ich könnten uns ineinander verlieren?'' 

Xander seufzte leise, erhob sich, ging vor ihr auf die Knie. ''Nein, Mika. Ich fürchte das ihr beide euch in seiner Dunkelheit verlieren werdet. Du kannst ihn nicht retten, dass kann niemand. Er will nicht gerettet werden - er liebt die Finsternis und er weiß, irgendwann wird es ihn vernichten. Und entweder führt dein Licht dich in den sicheren Hafen bevor die Fluten ihn verschlingen-'' er hielt inne, schloss die Augen, wiegte den Kopf hin und her, nur schwer kamen ihm die Worte über die Lippen, ''Wenn du aber an seiner Seite, in seiner Finsternis verharrst, dann wird es dich mit ihm in die Tiefe reißen.''

Sie schwiegen, nur einen Augenblick lang herrschte Stille, dann brach ungezähmte, aufgestaute Wut, Frustration aus ihr heraus. Wutentbrannt funkelte sie den Mann an, der noch immer mit geschlossenen Augen vor ihr kniete, keinen Muskel rührte.  

''Was bist du, Xander? Was ist das hier? Verdammt, hör auf dich wie ein verdammter Psychiater aufzuspielen. Du hast doch keine Ahnung wie es in mir aussieht, du weißt nichts, hast nicht den blassesten Schimmer wie es ist an der Klippe zu stehen und die Person die man am meisten liebt, für die man alles tun würde, fallen zu sehen und nichts tun zu können!'' 

Wütend riss sie ihre Hände aus seinen, sprang aus dem Sessel, wich zurück. Sie wusste um die Wahrheit in seinen Worten doch zur Hölle, sie wollte es nicht hören. Nicht schon wieder, nicht immer und immer wieder. Er schnaubte leise, erhob sich, richtete seinen Anzug. Für eine Sekunde sah sie das Flackern in seinen Augen, voller Schmerz sah er sie an, nur für einen Augenblick, dann wich dieser Funke Emotion kühler Rationalität - und doch, dieser kurze Moment hatte gereicht um sie daran zu erinnern, dass auch er mit dieser Hilflosigkeit nur allzu vertraut sein musste. 

''Mika.'' raunte er leise, verschränkte die Arme vor der Brust. ''Schrei mich an, hass mich, schick mich zur Hölle. Das tun sie alle, immer und immer wieder, bis sie anfangen zu akzeptieren. Aber wirf mir nicht vor ich wüsste nicht wie du leidest, wie sich alles in dir hilflos und verzweifelt zusammenkauert. Der Mann, der droht dich in die Tiefe zu reißen, hält auch den Strick der um meinen Hals liegt in seinen Händen.''

Aufgewühlt drückte sie die Handballen auf ihre Schläfe, stieß einen frustrierten Schrei aus - Schmerz kroch ihre Kehle hoch, Bilder aus einer Zeit die er sie hatte vergessen lassen schlugen ihre modrigen, fauligen Klauen in ihr Bewusstsein, zehrten an ihr, brachten sie ins wanken. Sie wimmerte leise, taumelte einen Schritt zur Seite, ihre Finger bohrten sich in raues Holz, irgendetwas zersprang klirrend in unendliche Scherben - und dann, mit einem Mal, kehrte Stille ein. Wärme flutete ihren Körper, drängte Schmerz und Vergangenes wieder in die finsteren Kerker ihres Bewusstseins, aus denen sie emporgestiegen waren. 

''Alles wird gut, Mika. Alles wird gut.'' murmelte Alexander leise in ihr Ohr, zog sie enger an seine Brust. ''Alles wird gut. Versprochen.''


BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt