Missbilligend begutachtete Alexander den tiefroten, sich ausbreitenden Fleck, welcher sich langsam aber sicher in den teuren Stoff der handgeknüpften Teppiche und den darunterliegenden Holzboden fraß.
''Verdammt nochmal Grischa, hast du eine Ahnung wieviel Nerven und Geld es mich gekostet hat, diese Teppiche zu importieren?'' blaffte er seinen Bruder an, welcher ohne eine Regung der Gesichtszüge in einer Ecke stand und sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht zu wischen versuchte. Ein kläglicher Versuch, zum Scheitern verurteilt, waren seine Hände doch ebenso blutbefleckt wie sein Gesicht und seine Kleidung. Ein tonloses Lachen verließ die Lippen Grischas. ''Das ist es, worüber du dir Gedanken machst? Nicht etwa darüber, dass du eine Leiche zu entsorgen hast?''
Warnend hob Alexander die Hand, trat über den leblosen Körper hinweg und näherte sich seinem Bruder, bis er ihn am Kragen zu packen vermochte. ''Dazu wäre ich schon noch gekommen'' zischte er, schloss die Hand um Grischas Kehle und donnerte ihn mit dem Rücken gegen die Wand. ''Warum, im Namen des Himmels und der Hölle, musst du deine Drecksarbeit eigentlich immer auf meinem Grund und Boden erledigen? Und WARUM war es nötig, dass Mika das mitbekommt? Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass du ihrem Peiniger das Gesicht zu grobem Mett zerschlagen hast, aber musste das wirklich vor ihr stattfinden? Musstest du dich vor ihr wirklich so aufführen? Wie das beschissene, geisteskranke und brutale Monster das du bist?''
Alexander hielt inne, schüttelte den Kopf. ''Du bist krank'', fauchte er, stieß seinen Bruder mit so viel Kraft beiseite, dass dieser ins Straucheln kam und mit der Schulter gegen die kalten Steine des Kamins prallte. Sein Gegenüber presste die Lippen aufeinander, schwieg, tat nichts weiter als ihn einfach nur aus toten, leeren Augen heraus anzusehen. Minuten verstrichen, bis Grischa schließlich den Kopf sinken ließ, sich die Haare raufte. ''Ja, Xander. Das bin ich. Ein krankes, widerliches Schwein. Ein Sadist, ein Monster, ein Psychopath und wie sie mich alle noch betitelt haben, in ihren verdammten Artikeln und Berichten. Darüber berichten sie, darüber - nicht über den kleinen Jungen, dessen Leben im selben Moment geendet hat, in dem seine Mutter zum Sterben zurückgelassen wurde. Erklär mir, warum sie sich weigern, schon immer geweigert haben das in mir zu sehen? Das verletzte, verzweifelte Kind, das alleine gelassen wurde mit seiner Trauer, seiner Wut, seiner Angst''.
Xander schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte, ob er überhaupt etwas sagen konnte, in ihm keimte das Gefühl auf, dass es zum ersten Mal, zum allerersten Mal keinerlei Bedeutung hatte, was er als nächstes sagen würde - weil er nichts zu sagen hatte. Weil sein Bruder die Wahrheit aussprach, zum ersten Mal in all den Jahren, sah er sich mit der Wahrheit konfrontiert.
''Wir wollten dir helfen'' entgegnete er schließlich leise, rieb sich über den Oberarm. ''Das wollten wir wirklich. Aber wir wussten nicht wie. Wir konnten nicht. Und das tut mir leid, Grischa''.
''Ich weiß'', raunte Grischa, rieb sich die schmerzende Kehle, trat zurück, ließ sich in den Sessel sinken, in dem noch vor weniger als einer Stunde dieser widerliche Kerl gesessen hatte, der nun vor ihm auf dem Boden ausblutete. ''Ihr konnte nicht helfen'', fügte er hinzu, ließ den Kopf in die Hände fallen. ''Aber du hättest mich besuchen können, wenigstens ein einziges Mal''.
Der ältere der beiden schwieg, sah auf das Häufchen Elend hinab, was ihn gerade kaum mehr an den Mann erinnerte, der ohne eine emotionale Rührung mordete. Da war nicht das Monster, nicht der kranke, gefühlstote Grischa, den er in diesem Moment vor sich sah - er sah hinab auf eine gebrochene, leblose Hülle, die schon vor langer Zeit aufgegeben hatte zu Lieben und zu Hoffen und stattdessen Wut, Gewalt und Hass Raum in ihr Bewusstsein eingelassen hatte.
''Das hätte ich'' murmelte Xander, trat zurück, ließ sich auf die Couch sinken. ''Aber ich habe es nicht geschafft. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht verfluche dafür, dass ich meinen kleinen Bruder im Stich gelassen habe, als er mich am meisten gebraucht hätte''.
Der Grauäugige gluckste, eine Mischung aus Kichern und Schluchzen drang aus seiner Kehle und Alexander wurde bewusst, dass dies vielleicht ihre erste und letzte Begegnung dieser Art sein würde - ein einziges, ehrliches Gespräch zwischen den Brüdern, die sie einst gewesen waren. Frustriert ballte er die Faust, ließ sie auf seinen Oberschenkel donnern, erhob sich. ''Es wird nie wieder so werden wie es war'' stellte er tonlos fest, sprach aus, was ihnen beiden ohnehin bewusst war.
''Nein'', bestätigte Grischa mit einem seltsamen Grinsen im Gesicht. ''Nie''.
Alexander nickte langsam, machte einen Schritt auf die Tür zu, hielt doch wieder inne. ''Was ich jetzt sage, werde ich nie wieder wiederholen'' begann er, legte die Hände an die schwere Holztür. ''Du bist mein Bruder und ich liebe dich. Das werde ich immer tun. Aber ich werde keine Sekunde zögern dich zu erschießen, wenn du versuchst irgendwen mit dir in den Abgrund zu reißen'', fügte er hinzu. Leise - so leise, das seine Männer draußen im Flur die Worte nicht würden vernehmen können, laut genug, als dass sie bis zu Grischa durchdrangen.
Eine Antwort blieb der Grauäugige, dessen leerer Blick sich anklagend in Xanders Rücken bohrte, ihm schuldig. Und doch - sie beide wussten um die Wichtigkeit der gesprochenen Worte und um die Fürsorge, die ihnen innewohnte. Sowohl Grischa als auch sein älterer Bruder hatten es sich in den Kopf gesetzt, das Mädchen mit den blauen Haaren vor einem grausamen Schicksal zu bewahren. Und so wie Grischa sie vor den Abgründen dieser Menschheit gerettet hatte, so würde Alexander alles dafür geben, um sie aus den Händen seines Bruders zu retten - um ihrer aller Seelenheil wegen.
Noch einige Sekunden ließ Xander zu, dass dieser eigentümliche Moment zwischen zwei Brüdern, die einander längst verloren hatten, anhielt. Dann holte er tief Luft, stieß die Türe zum Flur auf und trat zu seinen Männern.
''Kümmert euch um die Sauerei. Und sieht zu, dass ihr die Teppiche gerettet bekommt - die waren teuer, verdammt!''
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Bittersüß
RomansaWie viel kann eine Seele ertragen bevor sie zerspringt? Grischas Liebe ist erdrückend, beängstigend und finster. Tief in ihm rumort etwas was nach ihr lechzt, was sich nach ihrer Angst sehnt, etwas Dunkles was niemals ausbrechen darf - etwas, was a...