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"Ach fahr doch zur Hölle verdammt!"

Das laute Fluchen Alexanders riss sie unsanft aus dem Schlaf. Irritiert blinzelte sie gegen das Sonnenlicht, welches sich seinen Weg in ihr Zimmer gebahnt hatte und den Raum in warmes, herbstliches Licht tauchte.
Sie war noch immer hier, in Xanders Reich, so unendlich weit weg von dem Mann, den sie glaubte zu lieben, der glaubte sie zu lieben - auf seine eigene, verzehrende, erdrückende Art und Weise.

"Du kannst mich mal kreuzweise, du blöder Wichser!" donnerte Alexanders Stimme ein weiteres Mal durch das Haus.

Zögernd schlug sie die Decke zurück, ließ die Beine über die Bettkante gleiten. Von Darcio fehlte jede Spur, vermutlich hatte er sich zurückgezogen nachdem sie eingeschlafen war - das Gespräch mit ihm hatte unendlich viel ihrer ohnehin begrenzten Kraft gekostet und ihre Muskeln schmerzten, als hätte sie einen Marathon zurückgelegt.
Vorsichtig überwand sie die wenigen Meter bis zur Türe, lauschte. Stille. Nicht ein Laut schien von jenseits der Wände zu ihr durchzudringen.

Minuten verstrichen, bis schließlich hastige, schwere Schritte durch den Flur hallten, ehe diese abrupt vor ihrem Zimmer verstummten. Unsicher trat sie einen Schritt zurück, unschlüssig was sie nun tun sollte, doch im nächsten Moment wurde ihr diese Entscheidung abgenommen - die Türe schlug auf, knallte gegen die Wand und die finster dreinblickende Gestalt Alexanders trat ins Zimmer. Er wirkte gereizt, zornig, doch als sein Blick auf ihren traf entspannten sich seine Gesichtszüge und mit einem leisen Schnauben rieb er sich die Schläfe, ehe er sich, die Arme vor der Brust verschränkt, an den Türrahmen lehnte.

''Entschuldige, dass ich dich so überrumpeln muss'', murmelte er, auch wenn er äußerlich etwas ruhiger schien, schwang in seinen Worten noch immer ein bitterer, zurückgehaltener Zorn mit. Er hielt inne, legte den Kopf schief. ''Du hast gelauscht?''

''Du warst nicht zu überhören'' nuschelte sie, ihre Lippen verzogen sich zu einem schüchternen Lächeln. Ihr Gegenüber grummelte leise, trat einen Schritt auf sie zu, zog die Türe hinter sich zu. ''Habe ich dich geweckt?'' hakte er nach, sein Blick haftete an ihr, durchforstete ihre Gesichtszüge, ihre Augen, bevor er kurz den Kopf schüttelte, sich zum Fenster drehte und die Vorhänge beiseiteschob, sodass die Sonne bis in den letzten Winkel des Zimmers vorzudringen vermochte.

''Schon okay'', entgegnete sie, winkte ab. ''Ich wollte eh gerade aufstehen''. Missbilligend über diese Unwahrheit kniff er die Augen zusammen, doch das Zucken seiner Mundwinkel ließ sie vermuten, dass er, ganz im Gegensatz zu Grischa, nicht wirklich wütend war - vielmehr schien er vor ihrem inneren Auge mahnend den Zeigefinger zu heben, wie ein gutmütiger Lehrer, der seinen Schüler tadelte und ihm doch nicht wirklich böse sein konnte. 

''Wie dem auch sei-'' begann er, hielt inne. Schreie drangen durch die Türe in das Zimmer und augenblicklich versteifte Alexander wieder, ballte die Fäuste. Sein Blick war auf die hölzerne Türe gerichtet, als würde er erwarten das diese gleich aufschlagen und Ärger offenbaren, doch die Schreie wurden leiser, entfernten sich, bis sie schließlich verstummten. ''Entschuldige, Mika. Es ist etwas...chaotisch heute. Tut mir leid, dass du das mitbekommen musst. Was ich eigentlich sagen wollte - du hast Besuch'', ergänzte er, schenkte ihr ein kurzes Lächeln, ehe seine Miene wieder versteinerte und er einen Blick auf die Uhr warf. 

''Ist Grischa da? War er es, mit dem du dich vorhin gestritten hast?'' hakte sie vorsichtig nach, öffnete die Türe zum Kleiderschrank, griff wahllos einige Kleidungsstücke. Wenn es wirklich Grischa war, der gekommen war um sie zu sehen, was wollte er dann von ihr? Sie überreden zurück nach Hause zu kommen? Zurück zu ihm? Weg von diesem Ort, der ihr, so unergründlich er auch teilweise erschien, Frieden und Ruhe brachte? Sie seufzte leise, ließ frustriert die Hände sinken. Wollte sie Grischa überhaupt sehen? Wollte sie überhaupt hören, was er zu sagen hatte, wie er sie diesmal versuchen würde zu manipulieren? Würde er das, in Anwesenheit Alexanders, überhaupt wagen? 

''Nicht nur Grischa''. Xanders Stimme riss sie aus ihren Gedanken, ließ sie irritiert aufblicken.  ''Nicht nur Grischa?'' entgegnete sie irritiert, legte die Stirn in Falten. Ihr Gegenüber nickte langsam, warf einen weiteren Blick auf die Uhr. ''Mika, nimm es mir bitte nicht übel, aber ich muss dich für den Moment alleine lassen. Mach dich in Ruhe fertig, Darcio wird dich in etwa einer halben Stunde zum Frühstück begleiten und anschließend treffen wir uns im Kaminzimmer''. 

Er lächelte sanft, trat einige Schritte auf sie zu, zog sie in seine Arme. ''Hab keine Angst, Kleines. Darcio und ich werden dir nicht von der Seite weichen und du hast nichts zu befürchten, solange du hier bist. Weder seelisches Leid noch körperliches'' murmelte er, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. 

Sie nickte leicht, schmiegte sich in die Umarmung, genoss den Moment der zwanglosen, wärmenden Nähe. ''Danke...'', entgegnete sie geistesabwesend, ihr Kopf ratterte, entführte sie aus dem Hier und Jetzt in einen Wirbelsturm aus Gedanken, der durch ihren Geist fegte.

Er löste sich von ihr, hob die Hände. ''Nicht dafür. Wir sehen uns später''. Ein letztes Lächeln, dann drehte er sich herum, öffnete die Türe und verschwand wieder in den endlosen Fluren des alten Gemäuers. Einen Moment lang stand Mika regungslos im Raum, ließ zu, dass die Sonne ihre Haut kitzelte. Um wen es sich wohl bei der anderen Person, den anderen Personen handeln würde, die gekommen waren um sie zu sehen? Es fiel ihr schwer zu glauben, dass es einer ihrer oder Grischas Vertrauten war, warum hätte Alexander ihr diese Info verwehren sollen? Er war ihre Nachfrage übergangen, doch ihr war nicht entgangen, wie sein Kiefer sich verkrampft und er die Zähne aufeinandergepresst hatte - irgendetwas schien ihm an der Rückfrage Unbehagen bereitet zu haben. Oder war es am Ende gar nicht ihre Frage, sondern die Antwort, welche er ihr verweigert hatte, die ihm Sorge bereitete? 

Sie seufzte resigniert, schob die Gedanken beiseite. Es nützte nichts, ihre Sorgen und Ängste zu zerdenken - sie würde ihre Antwort schon noch früh genug erhalten - da war sie sich sicher. 

BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt