Missmutig drückte er mit Zeigefinger und Mittelfinger gegen seine Schläfe. Der dumpfe Schmerz hinter seiner Stirn hatte sich kaum zurückgezogen, da bahnte sich das Pochen schon wieder seinen Weg in Grischas Bewusstsein - die Stimme seines Bruders fraß sich eisig unter seine Haut, bohrte sich in sein Bewusstsein.
''Wo ist sie?''
Die Wut stand Alexander ins Gesicht geschrieben und ihm war anzusehen, wie sehr er sich zusammenreißen musste um seinen Bruder nicht an Ort und Stelle in Grund und Boden zu prügeln - doch das würde warten müssen, dafür war er nicht hier.
''Schlafzimmer.'' knurrte Grischa genervt, stützte den Kopf auf die rechte Hand, ließ eine Schmerztablette in das Wasserglas vor sich fallen. Er machte sich nicht einmal die Mühe den Kopf zu heben und Alexander anzusehen, ihm war durchaus bewusst, wie wütend dieser war und ertappte sich dabei wie er bereits jetzt die Augen verdrehte, wenn er an den Vortrag dachte, den sein Bruder ihm garantiert halten würde - doch für den Moment herrschte Stille, nur das Schnaufen Xanders war zu hören.
''Kannst du dir meine Lippe ansehen? Ich denke, die sollte genäht werden.'' murmelte Grischa gelangweilt, rührte mit dem Finger im Glas, bis die Tablette sich gänzlich aufgelöst hatte, dann leerte er das Gebräu in einem Zug.
''Fahr zur Hölle, Idiot. Deine Lippe wird dein kleinstes Problem sein, wenn ich mit dir fertig bin.''
Grischa lachte leise, neigte den Kopf, sah seinen Bruder an, das erste mal, seitdem er die Wohnung betreten hatte. Alexander ruhte in sich und das machte ihn so viel bedrohlicher, so viel unberechenbarer, als wenn er toben, in anschreien würde. Kaum etwas konnte ihn wirklich aus der Ruhe bringe, und wenn doch, verschaffte er seiner Wut für gewöhnlich mit einer kurzen, gezielten Gewaltextase Luft - wie vor ein paar Wochen, als er seinem kleinen Bruder die Nase gebrochen hatte. Nachdenklich betrachtete Grischa ihn. Die Ruhe, die von Alexander ausging, kroch ihm kalt den Nacken hoch, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das hier war die Ruhe vor dem Sturm und Grischa hegte keinerlei Zweifel, dass Alexander wüten würde, wie ein verdammter Tornado. Er war es, den die Menschen für gefährlich, für unberechenbar hielten - doch Alexander spielte ein anderes Spiel, hinter seiner Maske verbarg sich ein abgebrühtes, kaltherziges Wesen, unberechenbar und vor allem frei von Gewissen. Xander hatte dem Tod so oft in die Augen geblickt, so unendlich oft, dass die Begegnungen mit diesem zu einem wahnsinnigen, gefährlichen Spiel geworden waren.
"Ich bring dich um."
Wortlos hob Grischa die Augenbraue. Alexander hatte ihm schon so unendlich oft mit dem Tod gedroht, doch noch nie hatte so wenig Emotion in seinen Worten gelegen. Nein, diesmal schien er es Ernst zu meinen und als die Blicke der Brüder aufeinander trafen erhaschte Grischa einen Blick auf den Kampf, den sein Bruder mit sich selbst auszufechten schien. Ein Lächeln huschte über seine Lippen.
"Dafür hast du gerade keine Zeit." entgegnete Grischa kühl, deutete in Richtung der Treppe, die unter anderem zu seinem Schlafzimmer führte, in dem er Mika zurückgelassen hatte. Sie hatte nicht geweint, nicht gewimmert, doch er hatte ihr den Schmerz angesehen, hatte ihren ausdruckslosen Blick nicht ertragen. Und so war wieder er es gewesen, der geflüchtet war, aus einer Situation die er selbst heraufbeschworen hatte.
Alexanders Augen verengten sich, etwas unergründlichen lag in dem Blick, den er seinem Bruder zuwarf, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf eilte.
"Sadist." fauchte Grischa leise.
"PSYCHOPATH!" donnerte es vom oberen Ende er Treppe zurück, Grischa zuckte zusammen. Herrgott, diesem Kerl erging auch nichts.
Gedankenverloren ruhte sein Blick auf den steinernen Treppenstufen. Wie eine magische Barriere trennten sie ihn, seine Gedanken, sein Chaos von der Frau, der einzigen Frau, die das Chaos zu zähmen vermochte und doch, immer und immer wieder entriss es sich ihrer Führung, baute auch bedrohlich vor ihr, vor ihm auf, drohte sie beide zu verschlingen und zu zerschmettern. Frustriert donnerte seine Faust auf den Tisch. Verdammt, wir oft würde er, würde es sie noch verletzten, ihr drohen, sie erniedrigen, nur um sich doch wieder an sie zu klammern - wimmernd, flehend um ihre Aufmerksamkeit, einen Funken ihrer Seele zu betteln? Wie oft noch würde sie seine Schläge, seine Spuren, seinen gottverdammten Wahnsinn ertragen, zähmen, nur um ihm wieder gegenüberzustehen? Nur um wieder und wieder von ihm zerschmettert zu werden?
''Sie kommt mit mir. ''
Eine bedrohliche Mischung aus Wut und Kälte lag in Xanders Worten, die ihn aus seinen Gedanken rissen. Langsam hob Grischa den Kopf, betrachtete seinen Bruder mit zusammengekniffenen Augen.
''Meinetwegen.'' entgegnete er kurzangebunden, so sehr er sich auch um einen gleichgültigen Klang seiner Stimme bemühte, das diabolische Grinsen, welches über Alexanders Lippen huschte, verriet ihm, dass dieser mühelos hinter die fragile Fassade blickte.
"Eine Woche, Grischa. Für mindestens eine Woche kannst du zur Hölle fahren, verkriech dich meinetwegen in diese Wohnung, bemitleide dich selbst, aber geh mir und vor allem ihr-" er hielt inne, warf einen kurzen Blick zu Mika, die erschöpft in seinem Arm lehnte, "Nicht auf den Geist. Andernfalls werde ich viel Freude daran haben dich zu jagen wie verdammtes Wild, ehe ich dich aufschneide."
Und wieder lag keinerlei Emotion in Alexanders Worten, wieder kroch die Kälte in seiner Stimme Grischa eisig über die Haut.
"Als wenn ich weglaufen würde." entgegnete er kühl, lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf um das Zittern zu verbergen, auch wenn er sich sicher war, dass es seinem Bruder nicht entgangen sein konnte."Langweiler." knurrte Xander, ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
"Viel Spaß alleine mit dem Dämon in deinem Kopf. Lass dich nicht auffressen, ich will auch noch mit dir spielen."Und mit dem Verklingen Xanders Stimme, mit dem zuschlagen der Türe, kam die Dunkelheit. Faulig, lauernd kroch sie seine Kehle hinauf, legte sich über Lippen, Nase, Augen - und riss ihn in ein endloses, schwarzes Nichts.
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Bittersüß
RomanceWie viel kann eine Seele ertragen bevor sie zerspringt? Grischas Liebe ist erdrückend, beängstigend und finster. Tief in ihm rumort etwas was nach ihr lechzt, was sich nach ihrer Angst sehnt, etwas Dunkles was niemals ausbrechen darf - etwas, was a...