Gelbe Augen

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„Worauf warten wir noch? Lasst uns schnell in das Büro gehen!", schlug Lily vor und rieb sich hastig ihre verheulten Augen. Sie atmete tief ein, hielt die Luft für einen kurzen Moment an und sah erwartungsvoll zu Severus.
Doch gerade als Severus den Mund öffnen wollte um Lily zuzustimmen, verstummte er.
Hatte er etwas gehört?
Mit pochendem Herzen drehte sich Severus um und starrte in die Dunkelheit des langen Korridors. Schweiß benetzte seine blassen Handflächen
War ihnen jemand gefolgt?
„Hast du etwas gesehen, Sev?", fragte Lily besorgt und streichelte sanft seinen Rücken. Severus schüttelte nervös seinen Kopf. Vermutlich alles nur Einbildung, dachte er.
„Dann gehen wir jetzt besser ins Büro, bevor wir hier noch Wurzeln schlagen.", sagte Lily und hörte auf Severus' Rücken zu streicheln.
„Nein, noch nicht. Wir sollten uns erst um diesen Idioten hier kümmern.", rief Remus und deutete auf den Zauberer, welcher zornig in seinem Gemälde auf und ab stampfte, „Er wird sicherlich einem Lehrer erzählen, dass wir drei noch immer unbemerkt in Hogwarts herumschleichen! Und wenn er ausplaudert, dass wir uns in gewisser Weise illegalen Zugang zum Büro des Schulleiters verschafft haben, dann wird es richtig ernst.".
Severus' Mund schloss sich wieder.
Remus hatte Recht.
Seine schwarzen Augen sahen hinauf zu dem Zauberer, dessen Gesicht inzwischen so rot angelaufen war wie seine zerzausten Haare. Severus erinnerte sich daran, wie er vor wenigen Stunden im Büro von Dumbledore saß.
Dort hatte er zugesehen, wie der Zauberer sein Gemälde verlassen konnte, um somit in ein anderes Gemälde irgendwo im Schloss zu springen.
„Und was werden wir tun, Lupin?", frage Severus langsam und sein Blick wanderte hinunter zu Remus, „Willst du das Porträt verhexen, oder was?"
„Ich glaube, ich habe einmal etwas darüber gelesen.", warf Lily ein und legte nachdenklich den Kopf zur Seite, als versuchte sie sich zu erinnern.
Remus jedoch zog seinen Zauberstab und richtete ihn entschlossen auf das Gemälde. Er kniff konzentriert die grünen Augen zusammen, sodass er zielsicher den rothaarigen Zauberer ins Visier nehmen konnte.
Fokussiert formte er mit seinen Lippen stumm einen Zauberspruch.
Ein flackerndes weißes Licht erschien an der Spitze seines Zauberstabs. Severus sah gebannt auf das immer größer werdende Licht.
Schon nach ein paar Sekunden wurde das Licht so hell und grell, dass Severus' Augen zu schmerzen begannen.
Erneut wiederholte Remus stumm die Wörter und seine Hände zitterten, als der Zauberstab zu vibrieren begann.
Als Lily sich erinnert hatte und erkannte, welchen Zauberspruch Remus mit seinen Lippen formte, wirbelte sie herum und schrie: „Stopp, nein! Alle Gemälde sind mit einem Schutzzauber belegt, der Fluch wird abprallen!"
Unter dem Geschreie von Lily lachte der rothaarige Zauberer, welcher in seinem Porträt gegen den Bildrahmen gelehnt war.
„Oh Merlin, du bist wirklich ein Narr! Kein Wunder, dass du nicht nach Ravenclaw gekommen bist. Ich jedenfalls-"
„Halt's Maul!", brüllte Lily und sah verärgert in die alten Augen des Zauberers, „Moony, du musst aufhören!"
Doch es war zu spät.
Remus' Zauberstab war inzwischen so mit Energie und Kraft gefüllt, dass er wahrscheinlich tödlich explodieren würde, wenn der Zauberspruch nicht ausgeführt werden würde.
„Bombarda Maxima!", rief Remus, den Zauberstab mit beiden Händen fest umklammert.
Der grellweiße Lichtblitz schoss mit unglaublicher Geschwindigkeit aus der Spitze des Zauberstabs. Das Licht schillerte wie kleine Diamanten im Mondlicht. Und obwohl Severus' Augen furchtbar schmerzen, konnte er einfach nicht anders, als den Zauber zu bestaunen.
„In Deckung, Moony!", kreischte Lily hysterisch.
Auch Remus war wie gebannt von der Schönheit des Zauberspruchs, die auf seinem vernarbten Gesicht reflektierte.
Mit einem lauten Knall schlug der gleißende Lichtblitz in das Gemälde, wo der rothaarige Zauberer noch immer höhnisch lachte, ein.
Doch anstatt das Gemälde zu zerstören passierte etwas ganz anderes.
Etwas, womit Remus nicht gerechnet hatte.
Wie von Lily prophezeit prallte der Zauber ab und raste geradewegs auf ihn zu.Severus hatte es geschafft, seinen Blick von dem Lichtblitz zu lösen und sah ängstlich zu Remus herüber. Seine Augen brannten. Das Licht hatte ihn so sehr geblendet, dass alles verschwommen erschien.
Remus blieb starr vor Schreck auf der Stelle stehen.
Wie paralysiert verfolgte er panisch den grellweißen Lichtblitz, welcher immer näher kam.
„Lupin!", schrie Severus und streckte seine Hand aus, um Remus aus der Flugbahn des Zaubers zu ziehen. Beinahe hatte Severus seinen Arm zu fassen bekommen, als der weiße Lichtblitz direkt auf Remus krachte und ihn meterweit durch den kalten Korridor schleuderte.
Die Dunkelheit verschlang ihn, sodass von Remus nichts mehr zusehen war.
So, als wäre Remus Eins mit der Finsternis geworden wäre.
Aus der Ferne war zu hören, wie er unter der monströsen Kraft des Zaubers gegen eine Wand des Korridors donnerte.
Ein gequältes Stöhnen von Remus ertönte.
Lily schrie so laut, dass ein stechendes und schmerzhaftes Rauschen in Severus' Ohren herrschte.
Und wieder hatte er das Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Severus drehte sich um und sah zum zweiten Mal in die bedrückende Dunkelheit des Korridors. Seine Augen waren immer noch von dem grellweißen Lichtblitz geblendet. So oft Severus sich auch die schwarzen Augen rieb, seine Sicht blieb verschwommen. Doch er glaubte etwas erkennen zu können.
Zwei glühende Augen.
Gelbe, glühende Augen.
Und plötzlich roch es wieder nach nassem Hund. So wie Remus gerochen hatte, als er den Gemeinschaftsraum der Slytherins betreten hatte.
Das unbekannte Wesen mit den glühenden Augen trottete aus der Dunkelheit des Korridors auf Severus zu. Sein schwarzes und zotteliges Fell schimmerte im schwachen Schein der Fackeln.
Es war ein Hund.
Severus kannte diesen Hund. Er hatte ihn schon einmal gesehen.
Der Hund hatte versucht ihn auf dem Weg zum Krankenflügel zu töten.
Severus erinnerte sich noch gut an die erste Begegnung mit ihm.
Die langen, grauen Krallen, die wie eine Klinge über den staubigen Boden schlitterten.
Die pure Wut in den glühenden, gelben Augen.
Das bedrohliche Knurren, als der Hund zum Sprung angesetzt hatten.
Wie Severus notgedrungen einen Lähmzauber anwenden musste, um sich selbst schützen zu können.
Und wie Remus immer wieder den Namen des Hundes gerufen hatte. Klar und deutlich hatten sie seine Lippen verlassen.
Ja, Severus erinnerte an jedes einzelne Detail.
Er atmete tief ein und sprach:
„Bist du Tatze?"
Mit einem durchdringenden Blick starrte der Hund tief in die schwarzen Augen von Severus. Hatte Tatze ihm gerade zugezwinkert? Oder passierte das nur in seinem Kopf?
Plötzlich fing der Hund laut an zu bellen und ließ Severus zusammenzucken. Er sah, wie Tatze an ihm vorbei preschte und geradewegs auf das Gemälde mit dem rothaarigen Zauberer zustürmte.
Der Zauberer riss seine alten Augen geschockt auf, als Tatze zum Sprung ansetzte und sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen vom Boden abstieß. Der Hund hob seine riesige Pranke und die grauen, langen, scharfen Krallen schlitterten über die Leinwand des Porträts. Viele große Schnitte zogen sich über das gesamte Gemälde und rollten sich nun von der Holzplatte, auf der sie einst klebten, ab. Ein kleiner Teil der Leinwand blieb unversehrt, der Zauberer jedoch war verschwunden.
„Wo ist er hin?", rief Lily verwirrt und deutete mehrmals auf das leerstehende Porträt.
„Hier ist gerade ein Hund durch die Luft gesprungen und das findest du nicht komisch?", kommentierte Severus, offenbar erstaunt, dass Lily das plötzliche Erscheinen von Tatze nicht verwunderlich fand.
„Wo ist er hin?", wiederholte Lily und trat näher an das zerfetzte Gemälde heran. Sie stemmte die Arme in die Hüfte, legte den Kopf in den Nacken und murmelte etwas vor sich hin.
Severus beschäftigte sich währenddessen mit Tatze, der neben ihm auf dem Boden saß. Der Hund wedelte vergnügt mit dem Schwarz und hechelte zufrieden. Severus hatte noch nie zuvor mit einem Hund gesprochen. Aber er wollte sich bei Tatze bedanken. Schließlich war wegen ihm der nervtötende Zauberer aus dem Gemälde verbannt worden.
„Entschuldige bitte.", sagte Severus vorsichtig und kniete sich vor dem Hund nieder. Tatze leckte sich inzwischen die Pfoten, an denen kleine Fetzen der Leinwand hingen.
„Hallo Tatze, ich wollte mich bei dir bedanken.", stammelte Severus leise und kam sich ziemlich blöd vor. War es normal mit Tieren zu reden? Machten das die anderen Schüler auch mit ihren Haustieren?
„Er wird dir nicht antworten.", kicherte Remus, der sich neben Severus hinkniete. Blut tropfte aus seinem Mund und färbte den staubigen Boden dunkelrot.
„Remus! Geht es dir gut?", fragte Severus besorgt und sah, wie Remus sich mit dem Ärmel das restliche Blut aus dem Gesicht wischte.
Er nickte.
„Mir ist zum Glück nichts passiert. Nur eine blutige Nase, sonst nichts.", sagte Remus ruhig und streichelte Tatze zwischen den großen Ohren.
Lily stürzte sich umarmend auf Remus, heilfroh, dass er nicht schlimmer verletzt war. Der Hund bellte fröhlich und warf sich verspielt auf den Rücken. Hechelnd sahen seine gelben Augen abwechselnd zu Lily und Remus, als würde er darum bitten, dass sie mit ihm spielten.
„Woher wusste Tatze, dass wir hier sind?", fragte Severus nach einer Weile. Es war wirklich seltsam, dass der Hund wusste, wo sie waren und das sie sich Zugang zu Dumbledores Büro verschaffen wollten.
Ein rötlicher Schleier legte sich auf Remus' Wangen.
„Er ist eben ein schlauer Hund.", sagte er knapp und streichelte Tatze liebevoll am Bauch.
Severus stand auf und blickte auf das zerrissene Gemälde.
Nein, es konnte kein Zufall gewesen sein. Irgendetwas war hier faul. Nur wusste Severus nicht, was es war.
„Und woher wusste Tatze, dass er das Porträt zerstören musste, damit der Zauberer verschwinden würde?", fragte er und verschränkte die Arme.
Jetzt war auch Remus aufgestanden. Seine grünen Augen funkelten.
„Du stellst viel zu viele Fragen, Snape.", knurrte er.
Anhand des Tonfalls erkannte Severus, dass er einen wunden Punkt bei Remus getroffen hatte.
Tatzes Schwanz hörte auf zu wedeln und er setzte sich, ohne ein Geräusch von sich zu geben, wieder auf. Das schwarze Fell war mit Staub und dem Blut, das aus Remus' Nase auf den Boden getropft war, benetzt.
Severus wusste, dass Remus etwas vor ihm verheimlichte. Er schnalzte er mit der Zunge, die Arme noch immer stramm verschränkt. Severus hätte zu gerne gewusst, was Remus für ein Geheimnis mit sich trug. Doch er beschloss keine Widerworte zu geben. Es war weder die richtige Zeit, noch war es der richtige Ort für eine Diskussion.
So presste Severus die dünnen Lippen aufeinander und unterwarf sich der erschlagenden Stille.

Five Sickles - eine Snily Fanfiction (Deutsche | German Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt