Das Echo des Herzens

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„Nanu?"
Lucius Malfoy stand an einem großen smaragdgrünen Spiegel und kämmte sich mit einer versilberten Bürste seine langen, platinblonden Haare. Er warf Severus, der hinter ihm durch den Schlafsaal schlich, einen verwirrten Blick zu.
„Wohin gehst du, Severus?", fragte Lucius und hielt einen Moment konzentriert inne. Dann zog er ein hübsches Haarband aus dem Umhang und machte sich einen Zopf.
„Ich gehe schon vor.", antwortete Severus knapp und presste seine Schultasche mit erröteten Wangen an seine Brust.
Na super, dachte er. Da will ich unbemerkt aus dem Schlafsaal huschen und dann werde ich ertappt und auch noch aufgehalten. Verdammt.
Als Lucius fertig war seinen perfekten Zopf im Spiegel zu betrachten, drehte er sich zu Severus um. Seine Miene verfinsterte sich und die stahlgrauen Augen musterten ihn von oben nach unten.
„Was? Du gehst schon vor? Ohne mich und Bellatrix?", fragte Lucius gekränkt und seufzte enttäuscht. Demotiviert schmiss er die Haarbürste auf sein prächtiges Himmelbett.
Severus schluckte schwer. Ja, er wollte alleine zum Frühstück in die Große Halle gehen.
Ohne Lucius. Ohne Bellatrix. Aber er brachte es einfach nicht über's Herz, es seinen Freunden zu gestehen.
„Ich.. ich muss noch etwas erledigen!", log Severus und kratzte sich mit pochendem Herzen an seinem blassen Hals.
Er hasste es zu lügen. Vor allem Freunde zu belügen empfand Severus als etwas Grausames. Aber auf der anderen Seite war es in dieser Situation die beste Lösung. Einen Streit mit Lucius Malfoy am Morgen wünschte sich niemand.
„Du musst noch etwas erledigen?"
Lucius hob ungläubig eine Augenbraue und stemmte die Arme in die Hüfte. Noch immer sah er Severus mit einem durchdringenden Blick an, als würde er ahnen, dass sein Freund ihn gerade angelogen hatte.
„Ja!", antwortete Severus rasch und lächelte verlegen, „Ich muss noch ein, ähm.. ein Buch in der Bibliothek abgeben!"
Lucius grinste hämisch und schien zu wissen, dass es sich hierbei um eine Lüge handelte. Dann streckte er seine Hand aus und lachte kalt.
„Du willst ein Buch abgeben? Jetzt? Und das kann nicht bis heute Nachmittag warten? Los, zeig mir dieses besagte Buch, das du unbedingt abgeben willst."
Das heimtückische Grinsen von Lucius wurde von Sekunde zu Sekunde größer.
Severus' Herz schlug vor Panik immer schneller. Würde seine Notlüge auffliegen? Hatte Lucius ihn durchschaut? Er musste sich etwas einfallen lassen. Und zwar schnell.
„N-Na gut, ich zeige es dir.", stotterte Severus schüchtern und öffnete seine Schultasche, die er fest an seine Brust gedrückt hatte.
Er hatte alles auf eine Karte gesetzt. Hoffentlich würde der Plan funktionieren.
„Aber ich muss dich warnen. Ein Troll hat auf das Buch gekotzt und die Seiten sind schon ganz durchnässt und-"
„Merlins Bart, lass dein schimmeliges Buch in seiner Tasche! Ist ja ekelhaft! Sieh zu, dass du es so schnell wie möglich loswirst!", rief Lucius angewidert und schubste ihn halbherzig aus dem Schlafsaal heraus.

Severus atmete erleichtert aus, als er mit pochenden Herzen aus dem Gemeinschaftsraum der Slytherins sprang. Die Treppe, welche aus dem Kerker führte, war voller Schüler, die, wie Severus, auf dem Weg zum Frühstück waren.
Eine Gruppe Hufflepuffs stießen mit zwei Slytherins zusammen und ein Haufen Bücher kullerte die Treppenstufen herunter.
Ein verwirrter Ravenclaw lehnte verschlafen am Geländer und führte ein Selbstgespräch.
Professor Slughorn redete eindringlich auf drei Gryffindors ein und gestikulierte wie wild herum.
Na toll, wie soll ich denn da durchkommen, fragte sich Severus. Sein Blick fiel angestrengt auf die chaotische, laute Menschenmasse vor ihm. Hogwarts hat viele Treppen, aber definitiv an der falschen Stelle, dachte er genervt.
"Hey! Hey, Snape!", ertönte eine energiegeladene Stimme. Severus drehte sich um und stellte voller Entsetzten fest, dass der Korridor hinter ihm sich ebenfalls mit Schülern gefüllt hatte. Die restlichen Hufflepuffs und Slytherins hatten ihre Gemeinschaftsräume verlassen und gingen in Richtung Treppe. Hatte ihn wirklich jemand gerufen? Oder hatte er sich das alles bloß eingebildet? Schließlich herrschte ein ungeheurer Lärm, sodass man nicht einmal das eigene Wort verstehen konnte.
"Hey, hier drüben!", hallten die Stimme wieder durch den Korridor, dieses Mal deutlich lauter als zuvor.
Nein, Severus bildete sich diese Stimme nicht ein. Aber wer würde ihn rufen? Er kannte keine Hufflepuffs, oder war mit einem Schüler aus diesem Hause befreundet. Also konnte es nur ein Slytherin sein. Aber Lucius und Bellatrix konnten es nicht sein. Beide würde Severus niemals mit dem Nachnamen ansprechen. Wer also war es dann?
Severus' pechschwarze Augen huschten verwundert über die Gruppe Slytherins vor ihm, die aus dem Gemeinschaftsraum gestürmt kamen. Vielleicht würde die Person, welche ihn gerufen hatte, vielleicht winken. Oder sich zumindest anders bemerkbar machen. Und tatsächlich ragte eine Hand ganz hinten am Schluss der Gruppe heraus. Allerdings war es kein Winken, sondern mehr eine Art Melden. Wer würde sich denn melden, anstatt zu winken?
Leicht irritiert kämpfte sich Severus gegen den Strom aus schwarz-grünen Umhängen durch. Die Hand hatte er fest ins Visier genommen. Und sie verschwand, als er fast am Ende der Gruppe angekommen war.
"Schön, dich zu sehen!"
Remus Lupin stand mit einem Lächeln und leuchtenden, tiefgrünen Augen direkt vor Severus.
Sein Vertrauensschülerabzeichen steckte an seiner Brust und funkelte mehr denn je.
Die Haare waren fein säuberlich gekämmt.
Nur der Umhang war zerknittert und saß wie ein Kartoffelsack an Remus' mageren Körper.
Severus überkam ein Gefühl von Verwirrung, Ratlosigkeit, Freude und Entsetzen. Es war zwei Wochen her, seit er Remus und seine anderen neuen Freunde, Sirius und Lily, das letzte Mal gesehen hatte.
Nachdem Severus seine letzte Aufgabe im Krankenflügel absolviert hatte, ließ Dumbledore alle Beteiligten leider nicht ungestraft davonkommen.
Severus musste die gesamte Eulerei säubern. Und das ohne Magie.
Remus wurde dazu verdonnert, den Rasen der Ländereien und des Quidditchfelds per Hand zu schneiden.
Sirius musste den Hauselfen in der Küche aushelfen und zusätzlich, weil er sich ungefragt am Abendessen bedient hatte, alle Rüstungen im Schloss putzen.
Lily bekam die angenehmste Strafe von allen. Sie musste sich zusammen mit Hagrid um den Nachwuchs der Niffler kümmern.
So vergingen zwei anstrengende Wochen, an denen Severus, Remus, Sirius und Lily an jedem Nachmittag ihrer Strafe nachgehen mussten. Besonders schmerzhaft für Severus war es, dass er keine Möglichkeiten hatte, Lily zu treffen. Er vermisste ihre Anwesenheit von Tag zu Tag mehr. Und manchmal fühlte es sich so an, als würde sein Herz wie ein erschossenen Zentaur ausbluten. Hin und wieder, aber leider sehr selten, waren sie sich zufällig auf dem Korridor begegnet. Aber Zeit zum Reden fanden beide nie.
"Lupin? Du? Hier?", fragte Severus zögerlich, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. Es fühlte sich wunderbar an, Remus wiederzusehen. Allerdings hatte er mehr mit Lucius gerechnet, als mit Remus.
Weshalb war er hier? Wieso war er nicht oben beim Frühstück? Und wieso wollte er Severus so dringend sehen?
"Überrascht es dich etwa, dass ich hier bin?", gluckste Remus und sein überglückliches Lachen war wie ein warmer Kuss auf Severus' Seele.
"Ja.", sagte Severus nickte langsam, "Es überrascht mich, dass du hier bist. Wieso bist du nicht beim Frühstück in der Großen Halle? Warten Pettigrew, Potter, Black und Evans nicht auf dich?"
"Nein, tun sie nicht."
Severus runzelte die Stirn. Was sollte das denn heißen? Peter, James, Sirius und Lily würden ohne Remus frühstücken? Nichts an dieser Aussage machte Sinn. Die fünf Gryffindors waren unzertrennlich. Sie machten fast alles zusammen.
"Sirius, Lily und ich haben die Freundschaft zu Peter und James beendet.", erklärte Remus mit gedämpfter Stimme, als hätte er Angst, jemand würde das Gespräch belauschen.
"Ihr habt die Freundschaft beendet?!",rief Severus entsetzt und seine rabenschwarzen Augen weiteten sich vor Schreck.
Remus schlug ihm hektisch die Hand vor den Mund, um sein Gebrüll zu ersticken. Irritiert durch den Lärm drehten sich vereinzelt ein paar Hufflepuffs zu ihnen um.
"Psssch! Merlins Bart, schrei nicht so laut!", zischte Remus verlegen und sein vernarbtes Gesicht lief dunkelrot an, "Ich will nicht, dass es ganz Hogwarts erfährt!"
In Remus' lieblichem Gesicht lag nun ein Schleier von Traurigkeit. Er brach den Blickkontakt zu Severus ab, als sich seine grünen Augen mit Tränen füllten.
"Es hilft ja alles nichts.", seufzte Remus weinerlich und seine Stimme zitterte, "Ich w-wollte dich fragen, ob wir zusammen frühstücken wollen? Sirius, Lily und ich sitzen sonst a-alleine.. und wir dachten..na ja.. vielleicht möchtest du dich zu u-uns gesellen?"
Eine unbeschreibliche positive Energie strömte durch Severus' gesamten Körper. Selten hatte er sich in Gegenwart einer Person so gut gefühlt.
Oh Merlin, wieso hatte ihm nie jemand gesagt, was für ein herrliches Gefühl Freundschaft sein kann?

Five Sickles - eine Snily Fanfiction (Deutsche | German Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt