Spring über deinen Schatten

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"Das hört sich zwar alles toll an, was Sie über Severus Snape zu sagen haben.", sprach Professor Dumbledore ruhig und streichelte weiterhin seinen langen, schneeweißen Bart, "Aber das ist keine Wiedergutmachung dafür, dass Snape unzählige Schulregeln gebrochen hat."
Seine tiefblauen Augen nahmen zuerst Sirius ins Visier, dann flitzen sie blitzschnell zu Remus.
"Sie können das doch bestimmt nachvollziehen, nicht wahr, Lupin? Sie sind schließlich Vertrauensschüler."
Remus' Augenbrauen zogen sich frustriert zusammen. Er biss sich auf die Lippen und sah Sirius, der neben ihm stand, hilfesuchend an.
"Ich weiß nicht, Schulleiter.", murmelte Remus verlegen. Er war zwar Vertrauensschüler und musste innerhalb von Hogwarts für Recht und Ordnung sorgen. Aber in dieser Situation bemerkte jeder im Raum, dass Remus die Gesetze der Schule wie schwere Felsblöcke auf den Schultern hingen. Regeln zu brechen war verkehrt, gar keine Frage. Aber in so einer Situation wäre es für Remus viel erträglicher gewesen, seine Stelle als Vertrauensschüler so einzusetzen, dass Severus ohne Bestrafung davon kommen würde.
"Lupin?", fragte Dumbledore erwartungsvoll und legte die alte, fleckige Stirn in Falten.
Seine saphirblauen Augen, die geheimnisvoll hinter den Halbmondgläsern funkelten, schienen beinhalten in Remus' Seele blicken zu können.
"Professor.", sagte Remus mit gedämpfter Stimme, "Ich bin zwar Vertrauensschüler von Gryffindor und nehme meine Stellung sehr ernst, aber in dieser Situation muss ich Ihnen leider.."
Remus unterbrach seinen Satz und holte tief Luft. Er ballte die Fäuste zusammen und sah dann mit einem entschlossenen Blick direkt in das Gesicht von Dumbledore.
"Ich kann und werde Ihre Aussage nicht unterstützen!", rief er und Severus schien zu glauben, den Werwolf in Remus' Augen schimmern zu sehen.
Ein leichtes Lächeln zog sich über Dumbledores Lippen.
"Sie sind wahrhaftig ein mutiger Mann. Ein echter Gryffindor.", sagte Professor Dumbledore geduldig.
So schmeichelnd die Aussage von dem Schulleiter auch gewesen sein mag ; Sie erfüllte keineswegs den Zweck, Remus zu besänftigen.
Im Gegenteil ; Es spornte ihn nur noch mehr an, Widerworte zu geben.
"Lenken Sie nicht vom Thema ab!", brüllte Remus zornig und die grünen Augen, die normalerweise wie nasser Klee ruhig in der Morgensonne glitzerten, verengten sich nun zu boshaften Schlitzen.
Remus' Worte hallten so laut durch das Büro des Schulleiters, dass das Echo wie ein kraftvoller Donner in den Ohren rauschte.
"Ich bitte Sie, Professor.", sagte Lily schüchtern und löste sich von Severus, der sie inzwischen fest in den Arm genommen hatte, "Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, Snape vor der Suspendierung zu bewahren. Ich meine.. da lässt sich doch bestimmt etwas machen, oder? Irgendwas müssen wir doch tun können."
Ehrfürchtig schritt sie auf Dumbledore zu, gefolgt von den angespannten Blicken von Sirius, Remus und Severus.
"Ich würde alles dafür tun, dass er nicht von der Schule fliegt. Bitte, Professor, bitte helfen Sie uns.", bat Lily und ihre Stimme zitterte mindestens so sehr, wie ihr nervöses Herz.
Dann trat Stille ein.
Diese furchtbare, sich ziehende Stille.
Diese Stille, die einen Wahnsinnig machen konnte.
Diese Stille, in der sich Sekunden wie Jahre anfühlten.
"Und?", fragte Sirius mit düsterer Miene, denn auch ihn schien diese Ruhe psychisch zu foltern. Ungeduldig drehte er seinen Zauberstab zwischen den Fingern.
Aber Professor Dumbledore sagte immer noch nichts. Stattdessen hatte er seine Aufmerksamkeit voll und ganz Severus zugewandt, der als einziger noch gar nichts gesagt hatte. Severus saß nach wie vor auf dem kalten Boden des Büros und hatte sich, seitdem Lily aufgestanden war, keinen Millimeter bewegt.
Mit einer entspannten Gangart, die in dieser Situation nicht hätte unpassender sein könnte, schwebte Dumbledore beinahe lautlos zu Severus herüber.
Jetzt strich sich Dumbledore, wie er es so gerne tat, über den langen Bart.
Severus blieb wie eingefroren sitzen und wagte es nicht, dem Schulleiter für sich nur eine Sekunde in die Augen zu sehen.
Angst hatte seine Emotionen versteinert und schien seinen Verstand wie ein tödliches Gift zu lähmen.
"Nehmen Sie meinen Arm.", befahl Dumbledore und beugte sich zu Severus herunter, während er seinen rechten Arm anwinkelte.
"W-Was?", fragte Severus verwirrt und sah ihm zum ersten Mal bewusst in die diamantenähnlichen Augen.
"Meinen Arm sollen Sie nehmen, Snape.", befahl Dumbledore erneut und lächelte.
"Ja, aber wieso sollte ich-"
"Tun Sie es einfach."
Und wieder war das einer dieser Momente, in denen sich Severus wie ein Vollpfosten vorkam. Inwiefern würde es ihm helfen, nicht suspendiert zu werden, wenn er den Arm von Professor Dumbledore packen würde? Wahrscheinlich wurde Dumbledore langsam etwas verrückt im Kopf, dachte Severus. Schließlich ist er ein alter Zauberer und hat schon unzählige Dinge erlebt. Da geht es nach einer Weile bestimmt im Kopf los, dachte er.
Es kam ihm zwar lächerlich vor, aber einen Streit wollte Severus auch nicht anzetteln. Also tat er, wie Dumbledore ihm befohlen hatte und ergriff mit seine blasse Hand den Unterarm des Schulleiters.
Auf einmal fühlte sich alles seltsam an. Ein gewaltiger Druck schien jedes Bisschen Luft aus Severus' Körper herauszupressen. Währenddessen kam es ihm so vor, als würde er sich mit einer enormen Geschwindigkeit um sich selbst drehen. Raum und Zeit schienen für einen Augenblick verschwunden zu sein und ein Tunnel aus sämtlichen Farben erschien für den Bruchteil einer Sekunde vor Severus' rabenschwarzen Augen.
Und dann, nur einen Herzschlag später, war bereits alles wieder vorbei.
Mit wackeligen Beinen spürte Severus, der sich ängstlich an den Arm von Dumbledore geklammert hatte, endlich Boden unter den Füßen. Ein scheußliches Gefühl von Übelkeit überkam ihn und hätte Dumbledore zufällig einen Eimer mit dabei gehabt, hätte Severus diesen mit großer Wahrscheinlichkeit benutzt.
Was in Merlins Namen war gerade geschehen?
"Wir sind gerade appariert.", erklärte Dumbledore, der in das verwirrte und kränkliche Gesicht von Severus blickte, "Keine Sorge, die meisten müssen sich beim ersten Mal übergeben."
Severus nickte gezwungen und musste mehrere Male würgen, bis er wieder richtig atmen konnte.
"Erkennst du, wo wir uns befinden?", fragte Dumbledore freundlich und zog ein hübsches, besticktes Taschentuch aus seinem prächtigen, cremefarbenen Umhang. Er reiche es Severus, der sich mit zitternden Händen mühevoll den Schweiß von der Stirn wischte.
"Das ist der Krankenflügel, nicht wahr, Professor?", antwortete Severus und gab dem Schulleiter das schöne Taschentuch, dass vor Schweiß nur so tropfte, zurück.
Dumbledore nickte zufrieden.
"Weißt du auch, wieso ich uns hierher gebracht habe?"
Severus schüttelte seinen Kopf.
"Sie haben wirklich wunderbare Freunde, Snape. Es sind Freunde, die Sie verteidigt haben. Vor Mitschülern, vor Freunden und sogar vor mir, dem Schulleiter. Es hätte Ihren Freunden ebenfalls eine Suspendierung gekostet, aber Lupin, Black und Evans haben sich dennoch für Sie eingesetzt. Nun ist die Zeit gekommen, in der Sie mutig sein müssen. Die letzte Aufgabe ist Ihre Aufgabe, Snape."
Die letzte Aufgabe? Was meinte Dumbledore bloß damit? Und wieso waren sie dafür zum Krankenflügel appariert?
War die Aufgabe ein Duell? Ein Examen? Oder doch vielleicht etwas ganz anderes?
„Professor.", sagte Severus verwirrt und kratze sich am Hinterkopf, „Ich verstehe nicht, weshalb wir hierher gekommen sind."
Dumbledore lächelte sanft und legte seine Hand auf Severus' Schulter.
„Ich bin der Meinung, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt. In Ihnen, Snape, als auch in anderen Personen. Ich weiß, Sie erfreut es wahrscheinlich überhaupt nicht, aber ich glaube, dass sogar in James Potter viel Gutes steckt.", sagte Dumbledore überzeugt.
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Professor.", widersprach Severus dem Schulleiter schnell und schüttelte erneut seinen Kopf, „Er hat schreckliche Dinge getan. Ich finde, dass Potter unausstehlich ist!"
Dumbledore nickte und nahm seine Hand von Severus' Schulter.
„Sie haben aber auch viel Unfug angestellt, Snape. Potter sagt über Sie genau das Gleiche. Sie beide sind sich in gewisser Weise sogar ähnlich."
Severus keuchte empört auf. Nein, er und Potter waren sich gar nicht ähnlich. Wie konnte Dumbledore sowas bloß sagen? Die Vorstellung alleine, etwas mit James gemeinsam zu haben, ließ Severus erschaudern.
„Das ist eine Lüge.", murmelte Severus kleinlaut und knirschte zornig mit den Zähnen.
Er starrte wütend auf den Boden und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Dumbledore ihn auffordern würde, wieder seinen Arm zu nehmen, um zurück zu Lily, Remus und Sirius zu apparieren.
„Nun.", sagte Dumbledore und seufzte schwer, „Sie und Potter verstoßen ziemlich oft gegen die Schulregeln und sind bis auf's Blut verfeindet. Außerdem sind Sie beide mit Black und Lupin befreundet. Das nötige Talent, um ein mächtiger Zauberer zu werden, ist ebenfalls ein Punkt, den Sie und Potter verbindet. Nicht zu vergessen, dass Sie zwei in die junge Evans verliebt sind. Ich finde schon, dass Sie und James Potter viel gemeinsam haben. Snape, finden Sie nicht?"
Severus hätte zu gerne widersprochen, aber ihm fehlten die Worte.
Es stimmte. Er und Potter hatten eindeutig ein paar Dinge gemeinsam.
Aber eine Sache machte Severus stutzig. Woher wusste Dumbledore bloß, dass sein Herz für Lily schlug? Severus hatte immer geglaubt, dass niemand sein Geheimnis aufgedeckt hatte. Vielleicht hätten Lucius, Bellatrix und Remus bereits die Vermutung gehabt, dass er in Lily verliebt war. Aber Dumbledore? Er war zwar ein weisen und kluger Mann, aber Severus und Dumbledore kannten sich so gut wie gar nicht.
„Sie wissen, dass ich was für Lily Evans empfinde? Aber woher? Hat es Ihnen jemand erzählt?", fragte Severus neugierig und die schneeweißen Wangen nahmen einen rötlichen Schimmer an. Es war ein seltsamen Gefühl, mit Professor Dumbledore über das Verliebtsein zu reden.
„Es war doch offensichtlich, Snape, oder? Ein Slytherin, der sich so sehr um eine Gryffindor sorgt, ist ein klares Zeichen dafür, dass junge Liebe da die Finger im Spiel hat. Die Art, wie Sie und Evans zusammen auf dem Boden saßen, die Arme fest umeinander geschlungen. Wie Miss Evans sich mir mutig in den Weg gestellt hat, um von Ihnen in höchsten Tönen zu reden..", Dumbledore legte eine Pause ein und zwinkerte Severus zu, „Ich bin mir sicher, dass diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht. Evans ist ein liebes und cleveres Mädchen, Sie können sich also ziemlich glücklich schätzen."
Der rötliche Schimmer auf Severus' Wangen glühte wie Feuer. Es war also offensichtlich gewesen, wie viel er für Lily empfand. Wie peinlich, dass sogar Dumbledore davon gewusst hatte, dachte Severus und schluckte schwer.
„Sie glauben also, dass ich bei ihr eine Chance hätte, Professor?", fragte Severus neugierig und seine schwarzen Augen waren voller Hoffnung, als er in das freundliche Gesicht des Schulleiters blickte. Es fühlte sich fast schon surreal an, diese Frage gestellt zu haben.
Dumbledore grinste amüsiert.
„Ich denke schon, dass Miss Evans sich für Sie entscheiden würde, Snape. Aber lassen Sie uns stattdessen lieber über den Grund reden, weshalb wir zum Krankenflügel appariert sind."
Severus nickte.
Dumbledore kehrte ihm den Rücken zu und musterte die massive Eichenholztür des Krankenflügels. Die Korridore des Schlosses waren finster und menschenleer. Bis auf den Wind, der unheimlich in der Ferne heulte, war es still.
„Wie ich bereits gesagt habe, sehe ich einige Parallelen zwischen Ihnen und James Potter.", sagte Professor Dumbledore mit gedämpfter Stimme, als würde er befürchten, jemand würde ihn und Severus belauschen. Er blickte sich aufmerksam um, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich alleine waren. Dann zog Dumbledore ein kleines, ledergebundenes Buch aus seinem cremefarbenen Umhang, welches Severus ziemlich bekannt vorkam.
„Das ist mein Buch!", rief Severus erstaunt und sprang überglücklich in die Höhe. Er streckte aufgeregt seine Arme aus, um dem Schulleiter das Buch zu entnehmen.
„Psssh.", ermahnte ihn Dumbledore und legte den Zeigefinder an die Lippen, „Nicht so laut, bitte."
Endlich war die lange Suche nach dem Buch vorbei, dachte Severus und schien vergessen zu haben, dass Dumbledore ihn ermahnt hatte. Erneut schnappte er gierig nach seinem Buch. Aber Dumbledore machte keinen Anschein, ihm das Buch zurückzugeben. Stattdessen ließ er es in seinem prächtigen, paillettenbesetzten Umhang verschwinden.
„Schulleiter, dieses Buch gehört mir. Ich würde es gerne wiederhaben.", quengelte Severus enttäuscht und starrte schmollend auf die leeren Hände von Dumbledore. Wieso wollte er es ihm nicht zurückgeben? Severus war sich ziemlich sicher, dass der Schulleiter wusste, dass das Buch ihm gehörte. Sonst hätte er es schließlich nicht das dem Umhang gezogen. Wo also war der Haken an der Sache? War das vielleicht sogar ein Teil der Aufgabe, die Severus bewältigen musste? Hatte es was mit dem Krankenflügel und dem Buch zu tun? Aber in welchem Zusammenhang standen die beiden Dinge?
„Wie sind Sie überhaupt an mein Buch gekommen, Sir?", fragte Severus neugierig. Es lag bestimmt nicht irgendwo auf dem Boden des Schlosses herum.
„Ich dachte schon, Sie würden mir diese Frage niemals stellen.", gluckste Dumbledore vergnügt. Er platzierte seine Hände an der großen Tür des Krankenflügels und drückte sie auf.
„Willkommen, Snape, zu Ihrer letzten Aufgabe. Springen Sie über Ihren Schatten und bringen Sie das Gute in Ihrem Herzen zum Vorschein."

Five Sickles - eine Snily Fanfiction (Deutsche | German Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt