Nirgends brannte Licht und das einzige Überbleibsel irgendeiner Zivilisation war der überwucherte Weg, über den Damian mich führte. In meinem Kopf spielte ich mögliche Szenarien durch, die allesamt von einer jungen Frau, einem Mann, einem verlassenen Waldstück und einem Mord handelten. Ich schluckte schwer und erinnerte mich daran, dass Damian ein Werwolf und kein Entführer war.
„Hier ist es", flüsterte er und stieg einen seichten Abhang hinab zu einer Tür, die in einem Betonklotz steckte. Ein Bunker?
Moose und kleine Pflanzen hatten sich auf dem Gestein ein neues Zuhause gesucht, doch die Tür, die Damian aufschob, war frei vom Grün. Dahinter erstreckte sich ein nackter Gang. Über unseren Köpfen brannten Leuchtröhren wie die in Kellergebäuden. Sie verbreiteten einen verkohlten Geruch und sobald man länger als nötig unter ihnen stand, spürte man ihre Wärme auf der Kopfhaut.
Manche der Wände hatten einem unbekannten Druck von oben nachgeben und hielten die Decke nur noch dürftig, aber das hielt Damian nicht davon ab, mich tiefer unter die Erde zu führen. Ich folgte, nahm jede Abzweigung genau wahr und prägte sie mir ein. Erst rechts, dann links, geradeaus an leeren Räumen vorbei und zweimal rechts. Vor einer geschlossenen Tür blieb er stehen und warf mir einen Blick über die Schulter zu.
„Ich bin mir sicher", antwortete ich auf seine unausgesprochene Frage und seine Augen weiteten sich. „Sollte Gareth wütend werden, komme ich schon klar. Es ist allemal besser, als schlaflos darüber nachzudenken, ob es ihm nun gut geht oder nicht."
Der Mann nickte, öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. In dem Zimmer brannte ein kleines Licht auf dem Tisch, an dem Gareth mit ausgestreckten Beinen und dem Kopf im Nacken schlief.
„Gareth, das sieht sehr ungemütlich aus", murmelte ich und trat an ihn heran, während die Tür in meinem Rücken ins Schloss fiel. „Gareth?"
Ein Grummeln, zu viel mehr raffte er sich nicht auf. Die goldbraunen Augen funkelten nur kurz im Licht der Tischlampe, weil er sein Gesicht in seine Hände legte.
„Ich hatte mich schon gefragt, wann du hier auftauchst."
„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht darauf warten, dass du irgendwann putzmunter in meiner Praxis auftauchst. Oder eben nie wieder irgendwo auftauchst."
Er linste zwischen seinen Fingern hindurch und richtete sich stöhnend auf. Das Oberteil, das ihm am Körper klebte, war blutdurchtränkt.
„Wer hat dir das angetan?", wollte ich wissen und näherte mich ihm mit ausgestreckter Hand. Erst als meine Finger seine Brust berührten, atmete ich aus. „Ich gehe mal davon aus, dass das nicht die letzte Jagd war, oder?"
Er nickte und führte meine Hand an die Löcher in seinem Oberteil. Die Haut darunter fühlte sich warm und feucht an. Der Geschmack von Eisen legte sich auf meine Zunge und ich schluckte schwer.
Es hatte in meinem Leben schon einige Situationen gegeben, in denen ich überfordert gewesen war, auch ohne das Zutun der Werwölfe oder Utopias. Doch die Tatsache, dass ich Gareth fast verloren hatte, dass dieser Werwolf vor mir eben nicht unsterblich war, ließ mich hilflos wirken und ich hasste es, hilflos zu sein.
„Zieh das aus." Meine forsche Forderung ließ ihn zurückschrecken. „Mach schon, zieh deinen Pullover aus, ich will mir deine Wunden ansehen."
„Die anderen haben sie bereits gesäubert und verbunden."
„Dann nimm die Verbände eben auch ab."
„Bist du sauer?" Auf einmal war seine Hand an meiner Wange, wanderte hinab zu meinem Kinn und rückte meinen Kopf zurecht, sodass ich ihn anschauen musste. Er konnte die Augen kaum aufhalten. „Ich sollte sauer sein, weil du nicht auf mich gehört hast und hierhergekommen bist. Wer hat dir den Weg gezeigt? Allein kannst du dieses Versteck niemals gefunden haben."
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Claws of the North
Hombres Lobo~ Side Story von "Paws on Glass" ~ Er versucht, Utopia ein für alle Mal auszuschalten und geht über Leichen. Allein hat er sich auf die Suche nach den letzten Jägern und Wissenschaftlern dieser Untergrundorganisation gemacht. Als sein Weg den von Mo...