Der Sklavenmarkt

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Ich hielt den Blick auf meine Handgelenke gesenkt, sie waren von Ketten umwunden die mir schmerzhaft in die Haut schnitten.

Die Sonne schien mir auf den oberen Teil meines Kopfes, noch war sie angenehm warm, doch spätestens gegen Mittag würde sie erbarmungslos auf mich niederbrennen.

Der Lärm, der aus jeder Ecke des Marktplatzes zu kommen schien füllte die Luft, doch er erreichte mich nicht. Er kümmerte mich auch nicht, eben so wenig wie der Schmerz an meinen Handgelenken, meine müden Füße, mein Hunger. Ich nahm all das kaum wahr. Mein Inneres war leer.

,,Psst." Das Mädchen, welches am selben Pfahl mit mir angebunden war, riss mich aus meinen Trance artigen Zustand. ,,Sag doch. Wie heißt du? Ich bin Syltje." Es war nicht ihr erster Versuch mit mir zu reden, wir standen hier schon seit dem Morgengrauen, aber ich hatte bisher keinen Sinn darin gesehen ihr zu antworten. Aber nun gut wenn sie keine Ruhe geben wollte...

,,Ich bin Tialda." Ich hob den Kopf und betrachtete sie einen Moment lang. Sie sah jünger aus als ich, villeicht 14. Ihre Haare waren sehr hell, beinahe weiß und ihre Augen hatten denselben blassen grauton wie Regenwolken.

Syltje war also ihr Name... er klang sehr nordisch, sie musste aus einer Provinz kommen die noch weiter nördlich lag als meine. Die Traurigkeit stach mir bei dem Gedanken an meine Provinz wieder mit voller Wucht ins Herz, der Schmerz betäubte meine Sinne und ließ nur Hoffnungslosigkeit zurück sobald er ein wenig abschwächte. ,,Das ist ein schöner Name, hab ich noch nie gehört. Woher kommst du? Ich bin aus dem Volk der Nürdünaniier." Fuhr Syltje fort, es benötigte viel Kraft ihren Worten zu folgen, doch sie lenkten mich tatsächlich ein paar Atemzüge lang ab.

Von dem Volk der Nürdünaniier hatte ich gehört, es lebte am Meer ganz im Norden, wo Schneestürme über das Land fegten und es mehrere Tage im Jahr völlig dunkel blieb. Die meisten Nürdünaniier waren Fischer, aber sie fingen auch Wale und Robben, aus deren Fell sie ihre Kleidung herstellten.

Ein bisschen neugierig geworden musterte ich das Mädchen vor mir, sie trug tatsächlich lange Hosen die aus Robbenfell zu bestehen schienen. Ihr Hemd war allerdings aus schlichten, weißen Tuch. Plötzlich fiel mir ein das sie auf eine Antwort wartete.

,,Stimmt es das es bei euch tagelang dunkel sein kann?" Fragte ich. Man hörte es meinen Worten wohl an das mir der Gedanke nicht behagte, denn Syltje lachte. ,,Ja. Mehrmals im Jahr, aber es stört uns nicht. Warum sollten wir die Dunkelheit fürchten? Sie ist nur die andere Seite vom Licht." Ich drehte mich ein wenig mehr zu ihr hin und meine Stimme wurde fester. ,,Aber sie beraubt euch eurer Sicht. Wie erledigt ihr eure Arbeiten wenn ihr nichts sehen könnt?" ,,Wir hängen in diesem Zeitraum Laternen mit brennendem Wal- und Robbenfett an unsere Schiffe und Häuser. Ansonsten verlassen wir uns auf unser Gehör und unsere Erfahrungen."

Ich versuchte mir das Leben das sie bin vor kurzem geführt haben musste vorzustellen. ,,Woher kommst du denn nun?" Fragte sie weiter. Ihre Stimme war nicht laut aber hell und klar, wie die Rufe die Seevögel ausstießen. ,,Ich bin eine Leweinita." Murmelte ich und der Schmerz, auf den ich mich schon vorbereitet hatte, grub seine Krallen wieder in mein Herz. Es tat weh an mein Volk zu denken, meine Heimat, meine Familie, mein altes Leben. Wo meine Mutter und mein kleiner Bruder jetzt wohl sein mochten? Ich konnte nichts anderes tun als hoffen das es ihnen gut ging.

,,Aah die Leweinit leben irgendwo im Nordwesten in den Wäldern, nicht wahr?"

Ich nickte und versuchte die Welle des Kummers in meiner Kehle wieder herunterzuschlucken. Bis vor etwa einer Woche hatte ich ein unbeschwertes Leben dort geführt, in meinem Dorf mit meinen Eltern und meinem Bruder. Dann war ein Ereignis eingetreten mit dem niemand gerechnet hatte, obwohl es uns hätte klar sein sollen. Die Dunja waren gekommen. Ohne Gnade hatten sie meinen Vater und jeden anderen der sich wehrte niedergemetzelt, die Häuser geplündert, das Dorf niedergebrannt und die jüngeren der Bewohner als Sklaven mitgenommen.

Tagelang hatten uns die Soldaten zum Laufen angetrieben, bis wir die Grenze zu ihrem Reich überschritten, dort hatten sie uns in Grupppen aufgeteilt. Man hatte mich von meiner Mutter und meinem Bruder getrennt und ich konnte nichts tuen als zusehen wie die Soldaten mit ihnen in die entgegengesetzte Richtung zogen. Ein Soldat schlug mich grob ins Gesicht als ich weinte und ihnen hinterher schrie. Und daraufhin wurde ich leise.

Wir erreichten die Hauptstadt Dun und die Soldaten verkauften uns an verschiedene Händler, ein grauhaariger alter Mann mit beringten Fingern kaufte mich als einzige aus der ganzen Gruppe. Er hatte mich mit zu einem Gebäude genommen, wo ich gewaschen und gekämmt wurde. Dann ließ er meine Hände fesseln und ich wurde angebunden auf seinem Stand zur Schau gestellt. Heute war mein zweiter Verkaufstag und das erste Mal seit Tagen das ich wieder meine Stimme benutzte.

,,Haben die Dunja etwa deine Provinz erobert?" Fragte Syltje plötzlich mit veränderter Stimme. Ich nickte verwirrt. Warum wäre ich denn sonst hier? Ihre hellen Augen wurden mitfühlend. ,,Das tut mir Leid." Verwirrt sah ich sie an. ,,Ist es bei dir nicht dasselbe?" Sie schüttelte den Kopf. Erst jetzt bemerkte ich das sie eine merkwürdig zusammengedrehte Haarsträhne hatte, die mit Mövenfedern und Fischgräten geschmückt war. ,,Die Dunja haben die Nürdünaniier nicht erobert und sie werden es auch nicht tuen, denn wir haben seit über 10 Jahren einen Pakt mit ihnen geschlossen. Sie kommen jährlich zu uns und holen sich eine gewisse Menge an Fisch, Robben und... tja Menschen." Ich fühlte in all meiner Leere einen Hauch Verblüffung. Davon hatte ich nie gehört. ,,Die Menschen werden willkürlich ausgewählt, jeder der mindestens 13 ist könnte gewählt werden und dieses Jahr hat es mich getroffen. Dafür lassen sie uns ansonsten in Ruhe." Warum klang ihre Stimme so gleichgültig? Sie musste ihr Leben nun als Sklavin fristen und hatte auf einen Schlag ihre Familie und ihren frostig kalten Heimatort hinter sich lassen müssen. Sie schien meine Gedanken zu erraten. ,,Die Sklaven die die Dunja bei meinem Volk nehmen, sind nicht im eigentlichen Sinne Sklaven. Oder besser gesagt nur für 5 Jahre, danach sind wir wieder frei und können zu unserem Volk zurückkehren oder hierbleiben." ,,Du kannst nach den 5 Jahren also einfach zurückkehren?" Fragte ich sie sehnsüchtig. Wenn ich das doch auch könnte. ,,Ja und genau das werde ich tuen! Ich zähle die Tage. Wenn ich mutig und hoffnungsvoll bin und 5 Jahre die Arbeiten einer Sklavin erledige, werden mich die Polarlichter wieder mit meiner Familie vereinen." Sie klang so entschlossen.

Ich nickte leicht und senkte den Blick wieder auf meine Handgelenke. Oh wie sehr ich sie beneidete. Sie konnte nach 5 Jahren zu ihrem Zuhause und ihrer Familie zurückkehren, von denen sie wusste das es ihnen gut ging und sie auf sie warteten. Natürlich war ihr Schicksal kein leichtes, das Dasein als Sklave war hart und 5 Jahre waren lang. Trotzdem waren ihre Aussichten um einiges besser als meine. Selbst wenn ich fliehen oder meine Freiheit wieder erlangen könnte, mein Dorf, mein Zuhause existierte nicht mehr. Das ich meine Mutter und meinen kleinen Bruder wiederfand war sehr unwahrscheinlich, das Land der Dunja war riesig und sie könnten auch an Seefahrer oder in weit entfernte Länder verkauft worden sein.

Ich hatte das Gefühl als wäre mein jetziger Weg von nichts als Dunkelheit umgeben, nirgendwo war Licht, egal wie weit ich nach vorne blickte. Villeicht musste ich ja versuchen eine Lampe mit Walfett anzuzünden, dachte ich ironisch. Syltje schwieg wieder und verfolgte mit regungslosem Gesicht das Geschehen auf dem Marktplatz. Leise seufzend sah ich ebenfalls hinunter, ich schaffte es nicht mehr länger meine Umgebung auszublenden.

Männer, Kinder und Frauen in den typischen Gewändern der Dunja liefen eilig über den geflasterten Boden, einige ritten oder führten ihre Pferde am Zügel. Die Stände hatten alles Mögliche im Angebot, von Sklaven und Tieren zu Fleisch und Tuchware.

Wir standen auf einer hölzernen Tribüne, immer zu zweit an Pfähle gebunden, der Besitzer des Standes tigerte ununterbrochen vor der Tribüne herum und pries seine Ware an. Wenn Interessenten zu ihm kamen führte er sie auf die hölzerne Erhöhung und zeigte ihnen die Sklaven aus der Nähe. Zwei waren heute schon verkauft worden, ein Mann um die zwanzig und eine Frau Anfang dreißig. Wann mich wohl jemand kaufen würde?

 Wann mich wohl jemand kaufen würde?

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TialdaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt