Der Traum

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Die Flammen der Wut loderten immer noch in meinem Inneren, als ich leise Rondras Gemach betrat und mich schlafen legte.

Tallis teilte zum Schlafen die Kammer von Schotiji, ein Gedanke der mir nicht ganz behagte.

Ich atmete ruhig und langsam bis ich mich entspannte und es mir gelang in den Schlaf zu gleiten.

,,Bist du nicht noch zu jung dafür?"

Zwischen den Augenbrauen meines Vaters bildete sich eine Sorgenfalte. Meine Mutter stupste ihn in die Seite. ,,Ach was! Ein Vater hält seine Tochter immer für zu jung, für ihn wird sie immer ein Kind bleiben, niemals alt genug um zu heiraten. Doch wir waren nicht viel älter als sie jetzt ist, als wir uns kennenlernten."

Ich wurde rot und sah ins Feuer. ,,Mutter, niemand redet von heiraten. Ich habe einen Jungen kennengelernt, das ist alles."

,,Sicher, sicher. Es ist nur gut wenn du dir Zeit lässt. Manchmal sind Männer nicht die, für die man sie hält." Meine Mutter lächelte besänftigend.

Mein Vater sah von dem Stück Holz auf, welches er konzentriert mit dem Schnitzmesser bearbeitete. ,,Du solltest Vorsicht walten lassen, Tialda! Ich traue diesem Jungen nicht. Er hat Dunkelheit in den Augen."

Ich lachte. ,,Oh Vater, du hast ihn doch nie gesehen. Dies hier ist ein Traum!"

Mir war klar, dass ich träumte. Es fühlte sich nicht echt genug an, das Feuer flackerte ohne zu leuchten. Ich roch nichts vom Rauch und die restliche Umgebung war fade und verschwommen. Einzig meine Eltern wirkten völlig lebendig.

,,Und?" Beharrte mein Vater. ,,Ich traue ihm nicht. Und das solltest du auch nicht tuen." Er hielt beim Schnitzen inne und betrachtete die Blumenranken, die den hölzernen Teller säumten. Erst waren sie geschnitzt, so fein wie nur Vater es verstand, dann bewegten sie sich. Wuchsen, rankten sich über den Teller, den Boden und meine Knöchel. Sie nahmen Farbe an, die Blüten färbten sich blau. Blaue Blumen.

Meine Eltern rissen mir die Ranken von den Beinen und warfen sie ins Feuer. Ich stand auf und ging in den Wald. Daraufhin wurde der Traum verworrener. Benommen erinnerte ich mich nach Schnitzholz suchen zu wollen, doch dann war ich aufeinmal auf dem Weg zum Bach, um Fische zu fangen. Schließlich hielt ich am Rand einer Klippe an. Ein riesiger Abgrund tat sich auf, in dem eine einzige Blaue Blume wuchs.

Ich verspürte keine Angst sondern nur Nachdenklichkeit und eine Art Verwirrung, als ich unsicher einen Fuß über den Abgrund streckte. Dann schwankte ich und fiel. Villeicht in den Abgrund villeicht auch nicht.

Ich schlug die Augen wieder auf und blickte auf die Mosaik verzierte Decke. Meine Haut war von einem leichten Schweisfilm überzogen. Normalerweise träumte ich nicht sehr intensiv, oder vergaß meine Träume bevor ich aufgewacht war. Eine Tatsache, wegen der ich mich glücklich schätzte, denn ich würde auf gar keinen Fall ständig Alpträume haben wollen. Die Erinnerungen an die Eroberung meines Dorfes im wachen Zustand waren schmerzhaft genug.

Im Glauben meines Volkes hatten Träume eine besondere Bedeutung. Sie wurden nicht etwa als Trugbilder abgetan, sondern galten als ebenso wichtig wie die Erlebnisse des Tages. Man träumt von Sachen die den Geist selbst im Schlaf noch beschäftigten, warum also sollten sie unwichtig sein? Weil man sie nicht anfassen konnte?

Leute wie ich, die selten träumten, galten bei den Leweinit als friedfertig und man sagte ihnen ein sanftes Temperament, sowie große Selbstbeherrschung nach. Wenn sie einen Traum hatten, musste sie etwas wirklich aufgewühlt haben.

Nachdenklich starrte ich an die Decke und versuchte den Traum zu deuten, so wie meine Mutter es mir beigebracht hatte.

Wenn man im Traum seine Eltern sah, so vermisste man sie entweder sehr oder suchte verzweifelt nach Rat. Soviel wusste ich noch. Das mit dem Vermissen traf zu und ihren Rat hatte ich mir auch schon öfters herbeigesehnt.

Ich hatte ihnen im Traum von Kailan erzählt und mein Vater hatte mich vor ihm gewarnt. Warum würde er mich vor Kailan warnen wollen? Dann gab es noch den Gang durch den Wald wo ich mehrmals mein Ziel geändert hatte und die Klippe mit diesem Gefühl der Verwirrung. Und natürlich die blauen Blumen...

Angestrengt überlegend runzelte ich die Stirn. Wie passte das alles zusammen?

Blaue Blumen symbolisierten für mich ganz eindeutig Kailan, ich lächelte verträumt. Inzwischen war es mir gleichgültig, dass sie giftig waren. Was kümmerte mich das Gift, solange ich aufpasste die Pflanze nicht zu verschlucken. Kailan hatte außerdem Recht mit seiner Sichtweise, villeicht waren die Blumen ja wirklich nur giftig um sich zu verteidigen. Schließlich würde wohl niemand gerne von menschlichen Zähnen zerkaut werden. Beinahe musste ich bei diesem Gedankengang kichern. Was hatte Kailan mir bloß damit sagen wollen?

Auf einmal weiteten sich meine Augen und ich richtete mich auf. Kailan hatte mir gesagt, diese Blumen erinnerten ihn an zwei Personen. Einmal seine Mutter und einmal an eine andere Person...

Villeicht an ihn selbst. Wegen dem Gift das nur zur Verteidigung zum Vorschein kam.

Und im selben Wortwechsel hatte er mir von den abscheulichen Taten seiner Stiefmutter erzählt. Das hieße also, er sah sich als eine giftige Blume die sich verteidigt hatte... ich wagte es nicht den Gedanken zu Ende zu denken. Wagte es nicht in Erwägung zu ziehen, dass es vielleicht doch nicht Schotiji war, die den Mord begangen hatte.

Dass es der Mörder war dem ich half nach dem Mörder zu suchen.

Als wäre ich wahnsinnig lief ich wie verrückt im Raum auf und ab. Ein paar doppeldeutige Worte über Blumen bewiesen gar nichts, dachte ich. Den Traum könnte man sicher auch anders interpretieren. Kailan tat doch schließlich alles dafür den Mörder zu finden.

Oder... Warte! Tat er das nur um von dem eigentlichen Mörder abzulenken?

Ich raufte mir die Haare. Es konnte nicht wahr sein! Kailan wäre niemals in der Lage einen Menschen zu töten. Zu Erwürgen. Ich kannte ihn, er war sanft, freundlich und klug. So war kein Mörder. Mörder gab es für mich nur in der Form von grobschlächtigen Soldaten.

Ich legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Bevor ich irgendetwas tat musste ich sicher gehen. Noch war noch nichts bewiesen.

Als ich Schotiji bei der üblichen Vorbereitung des Frühstücks geholfen hatte und mit Tallis und Rondra den Weg zum Tisch einschlug, sah ich Kailan hinter mir den Gang entlang gehen. Mein Bruder und Rondra liefen vor mir und stritten heftig miteinander. Eine Beschäftigung die beide zutiefst genossen. Sie schienen so beschäftigt zu sein, dass sie mich gar nicht richtig hinter ihnen wahrnahmen. Ich nutzte den Moment, machte kehrt und huschte zu Kailan. Er zog mich in seine Umarmung und begrüßte mich mit liebevoller Stimme. Ich hielt das Gesicht in seiner Brust vergraben während ich zurück grüßte.

,,Hast du gut geschlafen, mein Liebling?" Fragte er. Ich nickte. ,,Sag, Kailan. Hast du deinem Vater gestern endlich von Schotiji erzählt? Wie hat er reagiert?" Ich zwang einen unbeteiligten, neugierigen Ausdruck auf mein Gesicht und sah zu ihm auf, während ich die Antwort abwartete.

Sein Gesicht war so schön, dass es mir den Atem raubte. Jeder einzelne Punkt war perfekt. Selbst die größten Genies unter den Künstlern, Malern und Bildhauern könnten ein solch vollkommenes Gesicht nicht erschaffen. Seine Augen wirkten größer und sanfter im hellen Morgenlicht. Ich studierte jede einzelne Bewegung genau, als er antwortete.

,,Das habe ich. Es fiel ihm schwer mir zu glauben, doch ich konnte ihn überzeugen. Erst war er außer sich, doch ich konnte ihn dazu bringen nicht voreilig zu handeln, sondern vernünftig zu bleiben. Er oder ich werden Schotiji nachher befragen."

Mir war als bräche er mir mit diesen vier Sätzen das Herz entzwei.

Sein Gesicht tanzte perfekt zu den Worten. Erst formten seine Lippen eine Art Seufzen, dann wirkte er planend und vorausschauend. Nicht zu viel, nur ein wenig. Auch Erleichterung sah ich. Doch kein Muskel in seinem Gesicht verriet, dass er log. Aber er log. Er log mich an.

,,Wie gut." Murmelte ich und löste mich von ihm. ,,Komm. Das Frühstück ist fertig."

TialdaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt