Im Hier und Jetzt
Eleah
»Eleah! Komm her und sieh dir das an!« Mein Vater stand am Heck des kleinen Schiffes und fuchtelte wild mit seinen Armen herum. »Es ist unglaublich! Wir haben es tatsächlich gefunden!« Aufgeregt tupfte er sich mit einem bestickten Taschentuch den Schweiß von der Stirn, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Entdeckung des Jahrhunderts – seine Worte – richtete.
»Ja, gleich ...«, stöhnte ich und warf einen Blick in den wolkenlosen Himmel, während eine kleine Schweißperle meine Wirbelsäule hinunterrann, bis sie ihren Tod in meinem angeklatschten T-Shirt fand. Die Sonne stand am Zenit und spiegelte sich im Wasser, nur unterbrochen von den kleinen Wellen der ruhigen See. Gnadenlos brannte sie auf unsere Köpfe herab. Es war ungewöhnlich, dass sie im Mai bereits eine solche Kraft besaß.
Seufzend drückte ich mit dem Zeigefinger auf meinen roten Arm und beobachtete den weißen Punkt, den er hinterlassen hatte. Warum hatte ich mich heute Morgen auch strikt geweigert, einen Sonnenschutz wie alle anderen Mitglieder dieser Expedition aufzutragen und warum war ich überhaupt eine Teilnehmerin dieser Expedition? Was hatte mich nur geritten, meinen Vater zu diesem Ausflug zu begleiten?
Entdeckung des Jahrhunderts, hallten seine Worte erneut durch meinen Kopf und ich erinnerte mich an die Euphorie, die er in Anbetracht seiner vielversprechenden Untersuchungen seit Wochen an den Tag legte.
Für einen weiteren kurzen Moment beneidete ich meine Kommilitonen, die vermutlich gerade ihre Semesterferien damit verbrachten, verschiedene Praktika zu absolvieren oder etwas für ihr Studium lernten, während ich auf diesem Segelschiff festsaß und mir einen üblen Sonnenbrand wegholte.
Das war nicht unbedingt der Plan, den ich von meinem Leben hatte. Für mich stand schon früh fest, in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten und Medizin zu studieren. Manchmal hatte ich das Gefühl, ihr so noch besonders nah zu sein, und außerdem war mir die Abenteuerlust meines Vaters leider nicht gerade in die Wiege gelegt worden, da er in meiner Kindheit des Öfteren mit Abwesenheit geglänzt hatte, weil er sich mal wieder in wirren archäologischen Theorien verrannt hatte, welchen er nachgehen musste. Aber trotzdem war es meine freie Entscheidung gewesen, ihn die nächsten Wochen auf dieser Expedition zu begleiten, um noch ein wenig Zeit mit ihm verbringen zu können, bevor das Studium mich zu sehr vereinnahmte. Denn auch wenn mein Vater das komplette Gegenteil von mir war, so waren wir nach dem Verschwinden meiner Mutter vor über zehn Jahren eng zusammengewachsen.
Gelangweilt warf ich einen Blick auf das verführerische tiefblaue Wasser. Den Gedanken an eine erfrischende Abkühlung schob ich aber schnell wieder beiseite. Mein Vater wäre von dieser Unprofessionalität vermutlich nicht sonderlich begeistert und würde mir ordentlich die Leviten lesen. Auch wenn er im privaten Leben ein liebevoller Chaot war, so ging er seiner Arbeit immer mit dem nötigen Ernst nach.
Die sanften Wellen wiegten das Schiff langsam hin und her und am Horizont bewegte sich die warme Luft in wabernden Bewegungen auf dem kühlen Nass und hypnotisierte mich zusehends.
Etwas Dunkles blitzte am Horizont auf und riss mich aus meiner Trance. Ich kniff die Augen zusammen und fixierte den Punkt in weiter Ferne. Ich war mir ganz sicher, dass dort ein großes Schiff mit dunklen Segeln über den Ozean segelte. Die Umrisse des Dreimasters flimmerten in der warmen Luft, aber seine gehissten Segel schienen es nicht von der Stelle zu bewegen. Irritiert blinzelte ich und sah mich um, aber niemand außer mir schien das Schiff zu bemerken oder sich daran zu stören.
DU LIEST GERADE
NOIR - Ein Königreich aus Staub und Asche
Viễn tưởng*** Watty Gewinner in der Kategorie Fantasy *** Band I der NOIR-Dilogie »Ich weiß, dass du dir ein anderes Leben ersehnt hast und dass du dich sicherlich fragst, warum ausgerechnet du die Auserwählte bist. Ich kann dir darauf keine Antworten geben u...