Kapitel 40 - Der Beginn einer süßen Erkenntnis

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Mit donnerndem Herzen stürmte ich das Deck hinunter, immer tiefer in den Bug des Schiffes, hinein in die Stille und die Dunkelheit. Hieß meine Brüder mit offenem Armen willkommen.

Ich war lange nicht im unteren Bereich eines Schiffes gewesen, hatte den modrigen Geruch des feuchten Holzes, der die Zellen durchdrang, beinahe vergessen. Doch jetzt stieg mir der Gestank erneut in die Nase und brachte einen Haufen Erinnerungen mit sich, weshalb ich diesen Ort eine Weile gemieden hatte. Ich sah Eleah abgemagert und schwach vor mir, wie sie dreckig und mit verfilzten Haaren in der Ecke hockte, die Fingernägel blutig und eingerissen. Doch das entschlossene Feuer in ihren Augen, das mit jedem Blitzen versprach, mich eines Tages dafür büßen zu lassen, war nie erloschen und hatte sie durchhalten lassen.

Es war hier unten wirklich nicht besonders angenehm, aber genau in diesem Moment zog ich die stinkende Einsamkeit der wohltuenden frischen Luft oben an Deck vor.

Okay ... das war gelogen.

In Wahrheit ging ich der Konfrontation mit Eleah aus dem Weg, weil ich ein dummer, feiger Vollidiot war.

Gut, zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich nicht gewusst hatte, was ihr Plan gewesen war, dass sie beschlossen hatte, zurück in ihre Welt zu reisen und ich nicht den blassesten Schimmer hatte, dass das überhaupt möglich war, weil das Tor anscheinend doch offen stand.

Auch mir hatte Zola erzählt, dass das Portal bis zur Erfüllung der Prophezeiung geschlossen bleiben würde, was eine Rückkehr in ihre Welt unmöglich machte. Aber das war ganz offensichtlich ein Irrtum. Vielleicht war es aber auch eine Lüge, die ich aus Angst vor der Wahrheit nie infrage gestellt hatte, seit ich wusste, wer Eleah war.

Da ich hier unten in diesem Rattenloch im Schutz von Dunkelheit, Stille und Schmerz ehrlich zu mir selbst sein konnte, war es vermutlich Letzteres und das war auch der Grund, weswegen ich ihr hinterher gesprungen war. Der Gedanke, sie zu verlieren, war unerträglich für mich.

Nicht, dass ich sie nicht liebend gerne in ihre Welt zurückgeschickt hätte, dorthin, wo sie in Sicherheit war und ihr nichts geschehen konnte. Aber ich war nicht bereit gewesen, ein weiteres Mal jemanden sterben zu sehen, den ich ...

Mit einem Stöhnen rieb ich mir durch das Gesicht. Wie zur Hölle konnte das denn passieren?

Das war eine rhetorische Frage. Natürlich wusste ich, wie das passieren konnte. Meine Hand glitt in den Ausschnitt meines Hemds und wanderte weiter zur Schulter, wo ich die bröckelige Tinte unter meinen Fingern spürte. Sie war noch dick und zähflüssig, doch sie hatte begonnen, sich unter meiner Haut zu bewegen.

Ich blieb vielleicht für drei weitere Wimpernschläge hier unten, dann fiel mir auf, dass die Stille mich auf dumme Ideen brachte, dass sie mir Bilder ins Gedächtnis rief, die mein Herz quälten und die ich seit sehr langer Zeit tief in einem hintersten Winkel meiner Erinnerungen verborgen hielt.

Doch jetzt, wo sie sich zurück vor mein inneres Auge kämpften, erwachten auch meine restlichen Sinne. Asche knirschte zwischen meinen Zähnen und der fürchterliche Gestank von verbranntem Horn drehte mir den Magen um.

Ich stürmte eine Etage höher in das Lager, riss mit zitternden Händen eine Flasche Rum aus einer der Kisten und schluckte gierig gegen das Knirschen zwischen meinen Zähnen an, ertränkte die erneut aufkeimende Übelkeit mit Alkohol und betäubte meine Sinne.

Ich wusste, dass das alles ein Fehler gewesen war und würde Zola dafür den Kopf abreißen. Es war ein Fehler gewesen, Eleah in meine Obhut zu übergeben. Es war ein Fehler gewesen, mich dazu zu zwingen, aus meiner Rolle auszubrechen. Es war ein Fehler gewesen, diese Reise anzutreten. Und diese Nacht ...

NOIR - Ein Königreich aus Staub und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt