Kapitel 41 - Das Ende einer bitteren Lüge I

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Eleah



Erst als Bel die Karte unter meinen Händen hervorzog und das raue Pergament unter meinen Fingerspitzen kitzelte, wagte ich es aufzusehen. Zusammengerollt hielt er mir mein Ticket für die Heimreise entgegen. Lange genug hatte es gedauert, sodass ich entschlossen danach griff, doch er ließ nicht los.

Bel wartete, bis meine Augen noch ein Stück weiter hinauf wanderten und für ein paar Sekunden bohrte sich sein stechender Blick in mich. Das Blau flackerte kurz auf, wurde dann aber von Schwärze vertrieben, die sich wie ein Schleier darüber legte und mich an die Dunkelheit in ihm erinnerte. Ich hatte keine Angst vor ihm, aber da die meisten Menschen ihre Magie verbargen, war es für mich noch immer ungewohnt damit konfrontiert zu werden.

Langsam löste er die Hände von der Karte und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch wenn er mit aller Macht versuchte, auf Abwehr zu gehen, so sagten seine Augen dennoch etwas anderes. Unter dem Schleier, mit dem er die Wahrheit zu verbergen versuchte, war wieder diese Traurigkeit, die mich gleichermaßen irritierte, wie fesselte und beinahe auf mich überschwappte. Das fand ich irgendwie merkwürdig.

Ich räusperte mich, als mir die Stille unangenehm wurde und mich meine Gedanken zu sehr auf die Probe stellten. Diese Traurigkeit hatte beim letzten Mal dazu geführt, dass ich mit seiner Hand zwischen meinen Beinen auf seinem Schoß endete. Ich hatte mit ihm darüber sprechen wollen - wirklich! -, aber vielleicht war es doch besser, wenn wir einfach so auseinandergingen. Ein einfaches »Danke« war das einzige, was ich über die Lippen bekam.

Bel verzog das Gesicht, setzte aber fast im selben Moment seine Maske wieder auf. Ich wusste nicht, warum er dieses Spiel noch immer spielte, obwohl ich ihn längst durchschaut hatte.

Gleichgültig zuckte er mit den Achseln und ging zur Tür. »Gute Reise«, erwiderte er tonlos.



***



Dieses Versprechen hielt Bel zwar, aber mit jedem Schritt, den ich mich weiter von der Pegasus entfernte, spürte ich seinen bohrenden Blick in meinem Rücken, bis ich in eine der versteckten kleinen Seitengassen von Falkental schlüpfte und mich gegen die gemauerte Wand eines Geschäftes lehnte. Ich konnte nicht mal genau sagen, um was für einen Laden es sich handelte, da mir das Herz so sehr in der Brust geklopft hatte, dass ich mich nur darauf konzentrierte, während ich nach einem unbeobachteten Platz Ausschau hielt, wo ich mich für einen Moment sammeln konnte.

Ich war von nun an auf mich allein gestellt und konnte mir keinen unvorsichtigen Moment erlauben. Nur mit meinem Dolch und dem mickrigen Hauch von Nichts, wie Bel meine Magie genannt hatte, bewaffnet, würde ich vorsichtig und auf der Hut sein müssen. Denn ich machte mir nichts vor, ich wäre mit Sicherheit eine lausige Kämpferin. Bei dem Gedanken an all die vergeudete Zeit, die ich mich gelangweilt anstatt trainiert hatte, presste ich missmutig die Lippen zusammen.

Asil hatte noch lange auf uns eingeredet und selbst Colin hatte das ein oder andere dazu zu sagen gehabt, als klar gewesen war, dass ich alleine an Land gehen und unsere Wege sich trennen würden. Vielleicht nur für eine gewisse Zeit, aber möglicherweise auch für immer. Ich wusste es nicht, aber ich wollte es herausfinden. Wollte herausfinden, was ich wirklich wollte.

Meine Finger glitten erneut über die zusammengerollte Karte. Zum ersten Mal konnte ich unbeobachtet einen Blick auf die Welt werfen, die so vieles von mir verlangte. Sie kam mir nicht unbekannt vor, im Gegenteil. Feine Linien schlossen sich zu kleinen Inseln zusammen, während gröbere das Festland markierten. Goldhain mit dem Schloss der Königin war nicht wirklich weit entfernt. Uns trennte nur eine große Gebirgskette, die sich Dunkelberge nannte.

NOIR - Ein Königreich aus Staub und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt