Eleah
Mitten in der Nacht wachte ich auf, als die Dielen knarrten. Jemand war in meinem Zimmer. Die Schritte auf dem Holzboden waren ganz deutlich zu hören, auch wenn der Eindringling sich Mühe gab, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hellwach bewegte ich mich kein Stück und hielt die Luft an. Mein Herz raste.
Was sollte ich tun? Ich hatte weder eine Waffe noch das Wissen, wie man damit umging. Um Hilfe zu rufen, war keine Option, da man mir vermutlich die Kehle durchtrennt hatte, ehe der erste Ton meinen Lippen entkam.
Während ich noch mit meinem inneren Konflikt beschäftigt war, rumpelte es an meinem Bett und jemand fluchte laut: »Verdammte Scheiße!«
Ich fuhr auf und saß kerzengerade im Bett. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können, aber die Stimme war unverkennbar. Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete mich, doch ich gab mich ihm nicht hin. Stattdessen griff ich unter mein Kissen und zog eine Schere darunter hervor, die ich zwischen all den gekauften medizinischen Geräten gefunden hatte, und hielt sie drohend in die Dunkelheit.
»Was machst du hier?«, fauchte ich. »Spannst du schon wieder?«
Der Boden knarrte und dann wurde das Feuer im Kamin neu entfacht. Die ersten kleinen Flammen genügten, um Bels grimmig dreinblickendes Gesicht erkennen zu können. Er starrte mich nur und sagte nichts. Dann glitt sein Blick zu der Schere in meiner Hand und eine seiner Brauen wanderte ein Stück hinauf.
»Wenn ich dir einen Rat geben darf«, sagte er, »dann würde ich die Schere weglegen.«
Er wollte mir einen Rat geben? So weit kam es noch ... »Und wenn ich mich weigere?«
Bels Hände ballten sich zu Fäusten und ich verstärkte den Griff um die Schere. Seine Pupillen waren riesig und das Feuer des Kamins spiegelte sich in ihnen. Er riss den Blick von mir los und zog den Vorhang des Fensters ein Stück zur Seite. Tief atmete er durch, ehe er wie eine Raubkatze zu dem roten Sessel schlich und sich darin nieder ließ.
»Dann«, sagte er schließlich samtweich und beugte sich ein Stück vor, »genieße ich die Aussicht noch ein bisschen.«
Ich folgte seinem Blick, der an meinem Körper hinunter wanderte und als ich auf die nackte Haut meiner Schenkel traf, auf denen ich hockte, zuckte ich unweigerlich zusammen und zog das hochgerutschte Nachthemd hinunter.
Er lachte leise – gefährlich – und lehnte sich dann wieder zurück.
»Was willst du?«, zischte ich.
»Reden.«
»Jetzt?«, fragte ich fassungslos. »Es ist mitten in der Nacht.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und seine Augen verfinsterten sich. »Ich habe dir bereits auf dem Schiff erzählt, dass ich nicht besonders viel schlafe. Vielleicht erinnerst du dich?«
»Das gibt dir doch noch lange nicht das Recht, mich mitten in der Nacht zu wecken und in meiner Kammer herumzuschleichen«, erwiderte ich empört.
»So schlagfertig wie eh und je.« Er funkelte mich an. »Hast du Gesprächsbedarf oder möchtest du lieber weiter den Schlaf der Gerechten schlafen?«
Ich schnappte kurz nach Luft, schwieg dann aber. Seine Anwesenheit machte mich nervös. Auch wenn meine lose Zunge mich scheinbar bis jetzt am Leben gehalten hatte, erschien es mir nicht besonders klug, mein Glück überzustrapazieren, während ich nur mit einem leichten Hemd bekleidet in meinem Bett saß, keine drei Meter entfernt von einem schlecht gelaunten Mann, dessen Aura so düster war, dass ich sie selbst jetzt um ihn herum wahrnehmen konnte. Waffen konnte ich keine an ihm ausfindig machen, allerdings bezweifelte ich, dass er überhaupt welche benötigte, um mich umzubringen.
![](https://img.wattpad.com/cover/268687800-288-k17137.jpg)
DU LIEST GERADE
NOIR - Ein Königreich aus Staub und Asche
Fantasy*** Watty Gewinner in der Kategorie Fantasy *** Band I der NOIR-Dilogie »Ich weiß, dass du dir ein anderes Leben ersehnt hast und dass du dich sicherlich fragst, warum ausgerechnet du die Auserwählte bist. Ich kann dir darauf keine Antworten geben u...