Kapitel 7

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Auf dem Weg zurück nach Rom ist Pia sehr schweigsam und sie guckt nur abwesend aus dem Fenster. Die Sonne geht schon fast unter, denn es ist in Verona doch später geworden, als es die Familie eigentlich wollte. Die Pizzeria, in die sie etwas essen gehen wollten, hat heute leider Ruhetag und so mussten sie zur einer anderen Pizzeria gehen. Ihr Vater war davon sehr genervt, denn es hätte ja auch ein Familienmitglied mal vorher recherchieren können, ob das Restaurant geöffnet hat oder nicht. Durch seine Meckereien hat er seiner Familie den Appetit verdorben. Doch Pia hätte sowieso keinen Hunger gehabt und hat nur ein Stück Pizza Magherita angefangen. Nachdem sie das verlassene Anwesen als das von Stefano erkannt hatte, verlor es Pia gewaltig die Sprache. Obwohl das Anwesen mittlerweile nur noch eine Ruine ist, konnte man es anhand der Steinstruktur und dem Grundrisses des Hauses mit der gewaltigen Eingangstür zur Nordseite erkennen. Durch die Tür des Hauses ist Pia mit Zara gegangen und hat dort Alessio und die anderen Diener im Haus gesehen. Sie ist die einzige noch lebende Person, die weiß, wie es zur Zeit von Stefano ausgesehen hat. Auch der große Park ist mittlerweile fast vollständig mit gewaltigen Unkraut und Bäumen bewachsen. „Pia, Schatz? Ist alles in Ordnung mit dir? Seit du das Haus gesehen hast, bist du so blass im Gesicht." Besorgt dreht sich die Mutter zu Pia um. „Ja klar, Mama! Das Haus hat mich an eine Szene in einem Film erinnert. Vielleicht wurde der Film dort gedreht. Leider kann ich mich an den Namen des Films nicht mehr erinnern. Aber das kann ich im Hotelzimmer mal recherchieren. Ich bin nur ein wenig müde. Die Nacht ist durch die Sommerhitze sehr warm gewesen für mich und Tom macht es mir auch nicht leicht neben sich wenn er schnarcht und fast das ganze Bett einnimmt." Sie sieht zu Tom, der sie grinsend unschuldig anguckt. „Jaaaa, aber deswegen wurdest du ja heute zur Abkühlung mit zwei Becher Wasser geweckt!" „Haha, sehr lustig! Da habe ich ja glatt vergessen zu lachen. Ich dachte, dass das Zimmer ein Leck hatte?! Man... Danke, jetzt habt ihr mich aus meinen Gedanken gerissen." Genervt guckt Pia wieder aus dem Fenster. 'Wenn ich doch nur gewusst hätte, dass das Anwesen in Verona gewesen ist... in der gleichen Stadt in der auch Romeo und Julia gelebt haben. Ich hätte Zara fragen sollen wo das Haus stand. Ach aber naja, ich konnte ja gar nicht wissen, dass das Haus noch so gut erhalten ist. Was sagte der Reiseleiter zu uns? Er war gar nicht adelig, sondern hat sich das Haus einfach unter den Nagel gerissen? Ja, das sieht ihm ähnlich. Stefano ist so ein dreckiges, dämliches Arschloch! Ich muss mich unbedingt so schnell wie möglich mit Zara unterhalten.' "Papa, wann sind wir da?"

Die Turmuhr schlägt das erste mal zwölf Uhr als Zara das große Eisentor des Friedhofes öffnet und schnell zum Grabstein von Zara huscht. "Zara? Bis du da?" "Ja Pia, hier bin ich!" Pia dreht sich nach Zara um und lächelt. "Hallo, ich... ich muss dringend mit dir reden." "Ja? Wieso?" Pia räuspert sich und sieht Zara ernst an. "Ich bin heute beziehungsweise gestern mit meiner Familie in Verona gewesen." Zaras Gesichtausdruck wird ernst und sie dreht sich weg. "In Verona also... und was hast du dir dort angeguckt?" "Naja wir wollten uns eigentlich die Altstadt angucken und die Gräber von Romeo und Julia. Schon in meiner Kindheit wollte ich schon immer mal nach Verona. Allerdings kamen wir anschließend noch an einem Anwesen vorbei..." "Ja?" "Ja und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Anwesen von Stefano gewesen ist. Es ist zwar sehr zerfallen, aber man erkennt es noch. Der Mann, der uns heute durch Verona herumgeführt hat, hat uns erzählt, dass er sich das Anwesen einfach genommen hat, nachdem er den früheren Besitzer ermordete. Und er hat dort mit seinen Ehefrauen gelebt. Stimmt das alles?" In Zaras Augen schießen Tränen in die Augen. "Ja, Pia du hast recht! Du hast ihn ja ein wenig kennengelernt und weißt wie unberechenbar er ist. Er hat nicht nur ihn, meine Schwester und meine Freunde und alle anderen im Waisenhaus abgefackelt, sondern noch so viele andere Menschen." Sie schluckt kurz, wischt sich die Tränen weg und sieht dann Pia lange an. „Mich auch!" Fassungslos sieht Pia Zara an und es entsteht ein Schweigen zwischen den Beiden.

Pia unterbricht die Stille. Sie hat eine Weile überlegt, was sie sagen könnte, aber hat nichts passendes gefunden, was in der Situation passen könnte. „Das tut mir leid, Zara." Zara lächelt leicht und wischt sich die Tränen weg. „Danke, dass du für mich da bist und meiner Geschichte zuhörst. Das hat mir echt all die Jahrhunderte gefehlt und hilft mir sehr. Früher habe ich meine Schwester Violetta gehabt. Wir haben wirklich alles miteinander geteilt. Aber jetzt..." Sie schweigt kurz. „Möchtest du heute wieder mit in die Vergangenheit oder ist dir heute nicht so wohl dabei? Vor allem nachdem ich das letzte Mal die Kontrolle über mich verloren habe, kann ich es durchaus verstehen." Doch Pia nickt und nimmt ihre Hand. „Ich bin bereit. Doch zuvor, hab ich eine kurze Frage an dich, die mich schon eine den ganzen Tag quält." „Ja?" „Wie bist du eigentlich mit deiner Schwester in das Waisenhaus gekommen? Sind deine Eltern gestorben?" Unsicher sieht Pia zu Zara. „Also, du musst mir das nicht beantworten, wenn es dir dadurch emotional nicht gut geht." „Nein, nein, das ist ja nicht die schlimmste Geschichte von mir. Ich kann es dir ruhig erzählen! Als meine Schwester Violetta geboren wurde, starb meine Mutter an zu hohen Blutverlust. Ich war damals erst vier Jahre alt gewesen. Ich habe nicht viele Erinnerungen an sie, aber ich weiß, dass sie die wunderschönste Frau auf Erden gewesen ist. Mein Vater musste ein paar Wochen später in den Krieg ziehen... und er kam nie zurück. Aus diesem Grund kamen meine Schwester und ich in das Waisenhaus bei Rom. Ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich immer auf Violetta aufpassen werde und ich habe jeden Abend für uns gebetet. Naja... hat wohl nicht so gut geklappt." „Quatsch Zara, der Tod deiner Schwester ist doch nicht deine Schuld gewesen. Du darfst so etwas auf gar keinen Fall denken. Ach, das abgebrannte Waisenhaus ist also bei Rom gewesen? Hier in der Nähe?" Zara nickt und fährt fort. „Genau, allerdings ist es schon zu meinen Lebzeiten nach dem Brand nicht mehr erkennbar zu sehen gewesen." Pia denkt nach. „Es kann sein, dass dort nun etwas bebaut ist, aber ich könnte versuchen den Ort zu finden und vielleicht etwas herauszufinden. Rom hat sich in den Jahrhunderten auch verändert und gewachsen." „Was möchtest du denn herausfinden?" „Naja, erstmal wieso ausgerechnet ich dich sehen kann und vor allem wer Stefano war und wieso er euer schönes Waisenhaus einfach abgefackelt hat. Gerade in einem euer Schlafgemächer stand doch an einer Wand ein sehr schöner Spruch geschrieben." Zara nickt. „Ja... der Spruch... er hat mich bis zu meinem Tod begleitet. Das ist aus dem Gedicht wovon ich dir erzählt habe. Allerdings habe ich nie erfahren wieso es immer der gleiche Spruch des alten, italienischen Gedichts ist, da es ja auch noch die zweite Hälfte des Gedichtes gibt. Vielleicht kannst du darüber etwas suchen!" „Ja, ich kenne das Gedicht auch. Das Gedicht haben wir in der Schule im Italienischunterricht gelernt und es wunderte mich, dass ich es in eurem Waisenhaus fand. Es ist wohl ein traditionelles Gedicht. Ich werde es versuchen. Du kannst dich auf mich verlassen." Zara lächelt dankbar. „Alles klar, dann führ ich dich jetzt zum Tag meiner Hochzeit mit Stefano. Ist das in Ordnung?" „Ja, ich bin bereit." „Wundere dich nicht, dass ich jetzt so einen großen Sprung mache, denn es ist acht Wochen später nach meiner Ankunft auf seinem Anwesen." Pia nickt, greift Zaras Hand und eh sie sich versieht, befindet sie sich in einen sehr großen edlen Schlafgemach, mit einem sehr großen Himmelbett in der Mitte des Zimmers. Sie sieht sich um und erschrickt als sie an der Wand den gleichen Spruch wieder findet, der auch im Waisenhaus an der Wand stand. Es steht auf einem großen samtroten Tuch in goldener Schrift. Doch diese Verbindung zueinander kann Pia nicht verstehen. Die Tür wird auf einmal aufgeschmissen und ein dreckig grinsender, schick gekleideter Stefano tritt ein. Nach ihm Zara, die ein sehr elegantes Hochzeitskleid anhat und ihre langen Haare sind schick hochgesteckt. Sie könnte wie die perfekte, glückliche Braut aus einem Bilderbuch aussehen, aber in ihrem Gesicht ist alles andere als Glück zu sehen. Unsicher sieht sie sich im Schlafgemach um und ihr Blick fällt auch stirnrunzelnd auf das Wandgemälde. Stefano dreht sich schwungvoll zu ihr um. „Liebste Zara, endlich ist meine lang ersehnte Hochzeitsnacht mit dir angetroffen. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich darauf gewartet habe. Hach, unsere Buben werden hinreizend sein." Er beginnt sich schon mit dem Ausziehen, doch Zara zögert noch bevor sie sich dann selbstbewusst äußert. „Nein Stefano, ich möchte ganz sicher nicht mit dir schlafen!" Pia lächelt stolz und sieht zufrieden zu Stefano. Mit solch einer Aussage ist sie ihrer Zeit weit voraus. Er hingegen dreht sich zu Zara um und geht mit bösen Blick auf sie zu. „Wie war das? Du möchtest nicht?" Es sieht so aus als würde er sie schlagen wollen, doch er stoppt, nimmt seine Hand und streichelt gierig ihren Oberkörper. Zara wimmert, aber trotz ihrer Angst bleibt sie vor ihm standhaft und sieht ihm mutig in die Augen. „Du wirst wollen müssen, meine teuerste Zara! Viel zu lange schon habe ich mich zurückgehalten damit ich dich nicht zu einer Hure mache. Ich habe seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, nie mehr mit einer anderen Frau geschlafen." Er hebt sie hoch und trägt sie aufs Bett. Erschrocken sieht Pia die weinende Zara an, die wehrlos auf dem Bett liegt. „Wer sagt denn, dass es keine kleinen Mädchen werden?" Pia seufzt. 'Na wenn das ihr einziges Problem ist. Dieses Arschloch denkt doch wirklich, dass sie sich dafür bedanken sollte.' Die offen gelassene Schlafzimmertür wird von einem Diener geschlossen, aber Pia schlüpft noch schnell hinaus. 'So etwas muss ich mir nicht angucken. Fuck, dieser Stefano ist ekelhaft!' Ihr Blick fällt auf den jungen Mann, der die Tür geschlossen hat und sie erinnert sich an ihn. Es ist Alessio, der bei der Ankunft von Zara mit ihr intensive Blicke ausgetauscht hat. Traurig und leicht wütend lauscht er kurz an der Tür bevor er schnell den langen Gang entlang geht und in einen anderen Raum verschwindet. Pia folgt ihm neugierig. Als sie an einer Wand vorbeikommt sieht sie auf ein großes Gemälde mit einem kleinen, süßen Jungen vorbei, der Pia erstaunlich bekannt vorbeikommt. Sie hört Alessio mit einer Frau leise reden, als würden andere Leute sie belauschen können, wenn die Stimmen zu laut sind. „Ja Maria! Heute muss meine liebste Zara mit ihm Liebe machen um einen Nachfolger für dieses Anwesen zu bekommen, wenn Stefano einmal tot ist. Ach, hätte ich doch den Mut gehabt und sie von ihm befreit. Aber die Hochzeit hat mich so versteinert. Wie gerne würde ich noch einmal ihre weichen Lippen, auf meinen spüren und ihr meine tiefste Zuneigung geben." Die junge Zofe namens Maria sieht Alessio nachdenklich an. „Alessio... ich... darf ich mir erlauben etwas zu sagen?" „Natürlich, du kannst mir alles sagen." „Nun gut, deine Liebe zu Fräulein Zara scheint groß zu sein und ihr werdet sicherlich sehr schöne Stunden verbracht haben. Es ist zu bedauerlich, dass eure Liebe durch ihren jetzigen Gatten brechen musste. Allerdings denke ich mir, dass Zara es über sich ergehen lassen muss, denn ich frage mich, ob es sein kann, dass sonst eure Liebe bald auffallen wird. Und ich spreche nicht nur von der Heirat mit Stefano, da sie jetzt als Gattin sein Verlangen befriedigen muss. Es wird für uns alle das Beste sein, wenn ihr euch in Zukunft nicht mehr treffen würdet." Misstrauisch sieht Alessio sie an. „Wie meinst du das mit auffliegen?" „Das junge Fräulein Zara hat in diesem schönen Juni noch nicht geblutet!" Alessio wirft ihr einen fragenden Blick zu, bis er die Aussage von Maria zu verstehen beginnt und sich auf einen Stuhl setzen muss. Auch Pia wird ohne eine weitere Erklärung klar, was sie Alessio damit sagen will. Zara ist schwanger!

ZARA - Der Tod liegt auf dem FriedhofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt