Kapitel 5

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Erleichtert sieht sich Pia wieder um, als sie merkt, dass sie wieder auf dem Friedhof in Rom ist. Ihr Herz klopft noch ein wenig vor Aufregung und sie sieht sich nach Zara um. Sie kann immer noch nicht glauben, dass sie wirklich in der Vergangenheit gewesen ist. So etwas kennt sie sonst nur aus irgendwelchen Filmen oder Büchern. Doch dies ist die Realität. „Na... suchst du mich?" Pia wirbelt erschrocken herum und sieht in Zaras Augen. Zara lächelt und sieht sie neugierig an. „Wieso hast du jetzt schon ˋStopˋ gesagt?" Pia fässt sich wieder. „Äh was? Achso sorry, ich..." Sie schweift ab. „Kennst du eigentlich dieses Wort? ˋSorryˋ ist die englische Variante von ˋEntschuldigungˋ. Ähmmm, es ist ja auch egal. Was ich eigentlich sagen wollte... dieser Stefano...ich konnte ihn nicht länger ertragen. Was ist das denn für ein ekelhafter, dreckiger Typ?" Sie bemerkt trotz der Dunkelheit, dass Zaras Gesicht noch viel bleicher wird und nach kurzem Schweigen sagt sie: „Ja ich weiß. Stefano ist echt kein toller Mann und ich kann ihn dir trotzdem in meinem Leben leider nicht entnehmen. Er ist, beziehungsweise war, mein Ehemann... Bitte frage mich nicht, wieso ich den Mann geheiratet habe, denn aus Liebe bestimmt nicht. Ich hatte keine andere Wahl. Viel lieber hätte ich Massimo oder einen Mann geheiratet, aber er konnte ihm nie sagen was ich für Massimo fühle. Und das was er den Kindern und unseren Aufsehern des Waisenhauses angetan hat, ist mehr als schrecklich. Ich würde es dir gerne zeigen, aber ich glaube es ist besser wenn ich es dir erspare." „Wieso? Ist er so schlimm? Was hat er den getan? Jetzt hast dz mich schon so neugierig gemacht. Ich will es sehen!" Zara atmet tief durch und sieht sie zögernd an. „Nun gut. Wenn du das so unbedingt willst. Dafür trage ich dann aber keine Verantwortung. Ich nehme dich wieder mit in die Vergangenheit. Aber wundere dich nicht, dass du dich an einen anderen Ort wieder finden wirst, denn so spannend ist die Zeit dazwischen nicht. Die Kinder sind alle noch da und auch unsere Kindermädchen und Köche sind noch angestellt. Wenn wir in der Vergangenheit sind, ist es jetzt genau zwei Wochen später nachdem Stefano in meinem Leben getreten ist." Sie macht eine Sprechpause. „Pia, bist du wirklich dafür bereit? Du wirst Stefano noch mehrere Male begegnen müssen und ich weiß nicht ob du ihn wirklich ertragen kannst. Mir selbst wird immer wieder bei einen Gedanken an ihm schlecht." Unsicher sieht Pia Zara an, doch dann nickt sie kräftig und streckt ihr ihre Hand bestimmend hin, damit Zara sie anfassen kann. Sie spürt, dass Zara sich eigentlich weniger um Pia Sorgen macht, sondern vielmehr um sich selbst. Der Gedanke an Stefano zerreißt sie innerlich. Zara greift seufzend ihre Hand und Pia schließt wieder die Augen.

Als sie die Augen wieder aufmacht, findet sie sich in einer Art von Büro wieder. Sie hat damit gerechnet, dass sie wieder in einen der Schlafsäle befindet. Allerdings sagte Zara ja, dass sie sich an einem anderen Ort befinden wird. Das Büro ist sehr klein und minimalistisch eingerichtet, hat aber alles was ein zeitgemäßes Büro im 18. Jahrhundert haben muss. Dort steht ein Tisch mit einem Federkiel und einer angezündeten Kerze. Über dem Tisch hängt ein stattliches Gemälde von Stefano auf einem Pferd, welches er in der Woche auf gehangen hat oder er hat es sich wohl eher aufhängen lassen. An der anderen Wand steht ein Bücherregal mit vier Bücher drinnen und einen Stapel Blätter und Briefumschläge. Plötzlich hört sie bekannte Stimmen und trotz der Gewissheit, dass sie eh keiner sehen kann, erschrickt Pia und geht ein Stück von der Tür weg. Stefano schmeißt eine Sekunde später grob die Tür auf und tritt ein. Sein Bart ist inzwischen rasiert, aber die Haare sehen noch genauso ungepflegt aus wie beim ersten Treffen vor einer Woche. Allerdings sehen seine Anziehsachen für das damalige Verhältnis wieder sehr gut aus und auch seine Stiefel glänzen vor Sauberkeit. Er hat Zara mit sich an der Hand und beide diskutieren. „Was soll das heißen wir müssen los? Es ist mitten in der Nacht! Das kann doch jetzt nicht so wichtig sein." „Doch, mein liebes Fräulein. Es ist wichtig." „Wo ist meine kleine Schwester? Wo sind meine Freunde? Sie sollen uns begleiten! Eher gehe ich nicht aus dem Haus!" Stefano verdreht genervt die Augen. Zu viele Fragen auf einmal sind ihm lästig und bringen ihn Kopfschmerzen. „Zara! Liebes! Vertrau mir einfach!" „Nenn mich nicht Liebes, du Teufel!" Zara funkelt ihn böse an, doch Stefano grinst nur, während er ein paar Sachen zusammen sucht und sie in einen alten Sack aus Leder stopft. „Oh ich liebe es, wenn du so böse auf mich bist. Dann bist du unwiderstehlich attraktiv. Doch natürlich warte ich auf unsere Hochzeitsnacht. Ich bin schließlich ein ehrwürdiger Mann. Und du möchtest doch nicht wegen Hurerei in die Geschichte eingehen. Jetzt komm und mach bitte keinen Aufstand, sonst kann ich mich auch ganz schnell zu einem bösen Mann verwandeln!" Er nimmt die Sachen in die eine Hand und greift Zaras Handgelenk. Widerwillig muss Zara ihm folgen. Pia folgt ihnen durchs Haus bis zum Ausgang. Zara sieht es nicht, da sie nach draußen sich schon ängstlich die Kutsche anguckt, aber Pia sieht es: Kurz bevor beide das Haus verlassen, nickt Stefano einen älteren Mann, der ihnen die Tür aufhält, mit einer kleinen Kopfbewegung zu und der Mann geht grinsend in die Richtung der Schlafräume. „Zara! Nein! Geh nicht mit! Hier stimmt etwas nicht." Panisch versucht Pia Zara zu sagen, dass es ein Fehler ist mit zugehen. Doch vergebens, denn Zara kann sie nicht hören. Im Garten bei der Kutsche angekommen, blickt sich Zara noch einmal über ihre Schulter und wirft einen melancholischen Blick auf das Waisenhaus. Auch Pia dreht sich um und staunt nicht schlecht als sie das Waisenhaus sieht. Das Waisenhaus ist das wohl prunkvollste und wunderschönste von ihnen, welches sie jemals gesehen hat. Vermutlich ist es vor seiner Zeit ein Schloss von mächtigen Familien gewesen. Stefano führt Zara widerwillig in die bereitstehende Kutsche und steigt dann als sie sitzt selber ein. Pia folgt ihm kurz bevor er die Tür schließt in die Kutsche. „Du kannst froh sein, dass ich dich wenigstens mitnehme, meine Teuerste. Dir wird es bei mir an nichts fehlen werden." Stefano grinst wieder ekelhaft und legt eine Hand auf Zaras Oberschenkel. Die Kutsche fährt langsam los und Zara guckt nochmal schweigend aus dem Fenster, bis das Waisenhaus nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne ist. Sie ahnt nicht, dass das der letzte Blick auf das Waisenhaus, denn sie wird es so in dem guten Zustand nie wieder zu Gesicht bekommen. Am liebsten möchte Pia wieder schreien und Zara damit warnen, aber sie weiß mittlerweile, dass das nichts bringen würde, da sie die Vergangenheit nicht ändern kann und so muss sie stumm mit angucken wie Stefano sie betatscht, als wäre die wehrlose Zara bereits sein Eigentum. Pia schüttelt entsetzt den Kopf. Im 21. Jahrhundert hätte Zara Stefano wegen sexueller Belästigung anzeigen dürfen. Doch zu dieser Zeit? Pia weiß, was die Menschen zu solch einer Anzeige sagen würden: Warum sollte sie ihren baldigen Ehemann anzeigen, wenn er sich mit ihr vergnügt. Das Weib sollte wohl froh sein, dass er ihr die ganze Aufmerksamkeit schenkt.

Nach einer Stunde der schweigenden Fahrt sind sie am Ziel von Stefano angekommen. Pia musste immer wieder an das Waisenhaus und an den komischen Mann, der ihr nicht ganz geheuer schien denken. Es dämmert schon, als sie aus der Kutsche aussteigen. Zara sieht sich um. Vor ihr steht ein gewaltiges Anwesen. Es ist zwar nicht so groß, wie das Waisenhaus, aber die Außenfassade ist sogar noch prunkvoller. „Willkommen in deinem neuen Zuhause!" Stefano möchte ihren Arm nehmen und Zara reinführen, aber sie zieht den Arm weg und tritt selber ein. Ein junger Diener verbeugt sich bei ihrem Eintritt und weicht zurück. Zara mustert ihn ein wenig verwirrt und sie lächelt ihn freundlich an. „Du musst dich doch nicht vor mir verbeugen." Der junge Mann lächelt leicht und nickt ihr zu. Als sich die Blicke von ihm und Zara streifen, scheint es Pia so, als würde  sofort ein Gefühl von Liebe zwischen den beiden sein. Auch Stefano bemerkt, dass sie sich zu lange ansehen und schreitet wütend ein. „Alessio! Erspare uns dein hässliches Lachen und bringe die Koffer meiner Braut sofort auf mein... auf ihr Zimmer!" Alessio gehorcht seinen Herrn und bringt die Koffer nach oben. Zara sieht verwundert sich um. „Ich... ich dachte wir bleiben im Waisenhaus wohnen. Du hast es doch gekauft!" Stefano grinst nur böse und führt Zara in einen Raum. Widerwillig geht Zara hinterher und auch Pia folgt ihnen. Nachdem Stefano die Tür geschlossen hat, sieht er Zara an. „Welches Waisenhaus?" „Na das Waisenhaus, in dem ich gelebt habe. Stefano, stell dich nicht noch dümmer als du bist! Du weißt das doch!" Verwirrt sieht Zara ihn an. Eines muss Pia ihr lassen. Zara ist verdammt mutig in ihrer Wortwahl. Anscheinend ist ihr bewusst, dass Stefano sie niemals bestrafen würde. „Achso ja.... das Waisenhaus... ich erinnere mich. Ja es wäre in der Tat ein schönes Zuhause für unser Kinder zum aufwachsen. Doch leider muss ich dich enttäuschen, denn das gibt es ab jetzt nicht mehr." „Wie? Das gibt es nicht mehr? Stefano! Was soll das heißen? Was hast du bloß getan?!" Tränen schießen in Zaras Augen. Stefano geht fies grinsend auf sie zu, ganz nah an ihr Ohr und flüstert dann: „Ich habe es einfach abbrennen lassen!" Total geschockt sieht Zara ihn an und auch Pia steht unter Schock. Der Mann hinter der Tür hat auf Stefanos Befehl das Haus abgebrannt? „Du Teufel der Hölle! Was ist mit den armen Kinder... mit meiner Schwester und... und mit meinen Freunden und meinem Massimo?" „Ach Zaralein... dein Massimo, phe. Erst machst du ihm schöne Augen und jetzt auch noch meinem treuen Diener. Vergiss den Gedanken einer Hurerei, denn du gehörst mir! Ich hatte keine Wahl gehabt. Das Waisenhaus hat eine gute Lage gehabt, aber ich liebe es, wenn ich Unheil errichten kann. Das wirst du eines Tages verstehen können, als meine Ehefrau! Sei doch froh, dass ich dich sehr gerne habe und ich dich vor dem fiesen Feuer gerettet habe. Du kannst ja in ein paar Jahren unseren Kindern von der Untat ihres Vaters erzählen. Sie werden sicherlich sehr stolz sein, dass sie so einen mächtigen Vater haben und sich solch eine Tat leisten kann." „Ich werde dich niemals lieben können und du wirst niemals der Vater meiner Kinder sein." „Deine Meinung und deine Bedürfnisse sind nicht gefragt, denn du bist nur das Weib und musst deinem baldigen Gatten gehorchen." Zara möchte noch etwas sagen, aber ihr Blick geht plötzlich erschrocken zur Tür und ehe sich Pia versieht, entsteht um ihr herum wieder ein Sturm und sie befindet sich zurück auf dem Friedhof.

„Hey... Zara was sollte das? Ich habe doch noch gar nicht ˋStopˋ gesagt. Ich wollte mir das noch weiter angucken!" Pia sieht sich nach Zara um, die plötzlich vor ihr auftaucht. Ihr schönes Gesicht ist voller Tränen. „Oh... Zara.... was ist los? Wieso weinst du?" Zara atmet tief durch und wischt sich die Tränen schnell weg. „Tut mir leid Pia. Die Stelle gerade war zu emotional für mich. Ich höre ja trotzdem alles mit was du hörst und siehst. Doch der Schmerz und dir Trauer um meine geliebten Menschen war zu groß und deswegen konnte ich die Verbindung nicht mehr halten und ich musste dich zurück holen, sonst hätte nicht nur ich dich gesehen, sondern auch Stefano. Das wäre nicht gut ausgegangen." „Wie... du hast mich gesehen? Ich dachte ich bin unsichtbar." Mit einem bösen und irritierten Blick sieht sie Zara an. Diese nickt schuldbewusst. „Ja... ich habe deinen Schatten an der Wand gesehen. Ich war einfach für einen kleinen Moment unkonzentriert. Keine Angst Pia. Ich verspreche dir, dass das nicht wieder vorkommen wird. Von nun an bleibe ich standhaft. Versprochen!" Unsicher sieht Pia zu Zara. Sie brauch einen kleinen Moment um sich zu beruhigen, doch dann sieht sie Zara an. „Hmmm, okay, ist schon in Ordnung... ich bin nur furchtbar müde. Wäre es in Ordnung, wenn ich morgen wieder komme?" Zara nickt verständnisvoll. „Ja klar! Aber komme auch wieder, ja? Denn sonst muss ich wieder jahrelang auf eine Person warten, die mir helfen kann und du gefällst mir als Hilfe sehr gut, Pia." „Ja natürlich Zara, keine Sorge, ich werde zur gleichen Uhrzeit wieder kommen. Versprochen!" Pia dreht sich lächelnd um und geht durch die Dunkelheit schnell zurück zum Hotel. Das schimmernde Licht von vorhin, welches sie zum Friedhof geführt hat, ist nun verschwunden, aber darauf achtet Pia vor Müdigkeit jetzt auch gar nicht mehr.

ZARA - Der Tod liegt auf dem FriedhofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt