Kapitel XVI

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Yoongi

Zu meiner Überraschung war es kaum anstrengend gewesen Jimin den ganzen Weg von der Schule zu mir zu schleppen. Der Junge war so dünn, dass er wohl nur um die 50 kilo auf die Waage brachte.

Als ich mit Jimin auf dem Rücken Zuhause ankam, sagte mein Vater erst mal gar nichts, als er die Tür öffnete. Er warf mir lediglich einen fragenden Blick zu und flüsterte ein leises »erklär es mir einfach später«. Ich mochte diese Eigenschaft an ihm schon immer; Er war kein aufdringlicher Mensch und konnte warten.

Ich sah aus dem Fenster und seufzte, Jimin schlief nun schon 4 Stunden und ich verharrte reglos mit Maske und Kapuze auf einem Stuhl vor dem Bett.

Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Beinahe wie ein Kind, ohne Sorgen oder Probleme; Er wirkte nicht wie ein Jugendlicher, der innerlich so kaputt war, dass man ihn wohl nie wieder gänzlich reparieren konnte.
Sanft strich ich ihn einige verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht, seine vollgekotzte Kleidung hatte ich bereits gegen saubere eingetauscht.

»Was machst du nur für Sachen.«, murmelte ich leise.
Sein Körper regte sich und ich zog meine Hand schnell zurück, während ich ihn weiter beobachtete. Er richtete sich auf und blinzelte in die Sonne, dann fiel sein Blick auf meine Spieluhr, die mir meine Mutter aus Amerika mitgebracht hatte. Ich hatte sie schon sehr, sehr lange und fand sie zugegebenermaßen eigentlich ziemlich kitschig. Jedoch war ich als kleiner Junge restlos begeistert von der wunderhübschen Tänzerin gewesen und außerdem erinnerte sie mich an meine Eomma, die aufgrund von Geschäftsreisen fast nie Zuhause war.

Jimin betrachtete die Ballerina aus Porzellan und ich sah Bewunderung in seinen Augen, als sein Blick über ihr Kleid und die darauf glitzernden Strasssteinchen schweifte.
»Sie ist hübsch, nicht wahr?«, fragte ich ihn. Verwirrt sah Jimin zu mir auf.

»Suga?«

Erleichterung zeichnete sich in seinem Gesicht ab, genauso wie ein anderer Ausdruck, welchen ich jedoch nicht einem konkreten Gefühl zuordnen konnte.
»Wie geht es dir?«, fragte ich ihn sanft, worauf er nur müde schnaubte.
»Hab schon bessere Tage gehabt. Aber wie komme ich hier her? Ist das deine Wohnung? Wie hast du mich gefunden?«
Er bombardierte mich mit Fragen worauf ich abwehrend die Hände hob und lachte.
»Wow ganz langsam! Also ich war einkaufen und als ich an der Schule vorbei kam, hab ich dich dort liegen sehen. Ich hab dich dann gleich mitgenommen und hierher gebracht, damit du dich ausruhen kannst. Und nein, die Wohnung gehört meinem besten Freund, aber ich wohne hier gelegentlich, weshalb ich ein Zimmer habe.«, faselte ich nervös daher und geriet somit schon ins nächste Lügennetz. Shit.

»Danke«, flüsterte Jimin leise und ich hob meine Hand um die seine zu berühren. »Ich werde für dich da sein.«, versprach ich ihm ernst, worauf er begann zu weinen. Tränen rannen über seine Wangen und ich drückte seine Hand fester, Jimin musste wohl für eine sehr lange Zeit einsam und allein gewesen sein.

»Wann hat dich das letzte mal jemand vor etwas beschützt?«, sprach ich meinen Gedanken laut aus, worauf Jimin mich verzweifelt ansah und ein leises »nie« seine Lippen verließ.

Aufmunternd lächelte ich ihn an, auch wenn es mir scheiße weh tat ihn so zu sehen. Es tat weh, weil ich ihn in kurzer Zeit irgendwie ins Herz geschlossen hatte, aber vor allem schmerzte der Gedanke daran, dass ich mitschuldig an der Misere Jimins war. Ich war so ein verdammtes, egozentrisches und dummes Arschloch gewesen.

»Hey, alles wird gut, okay?«, flüsterte ich beruhigend, anschließend erhob ich mich von meinem Stuhl und setzte mich zu ihm ans Bett. Jimin erwiderte mein Lächeln kurz, jedoch schien ihm plötzlich etwas einzufallen, denn er brach den Blickkontakt abrupt ab.
»Was ist los?«, fragte ich ihn besorgt, worauf er zu zittern begann. »Ich habe deine Jacke kaputt gemacht.«, antwortete er mit bebender Stimme.»Es tut mir so leid, ich werde dir eine neue kaufen, ich wollte das nicht...«

Ich sah ihn ungläubig an, worauf sein Blick von Sekunde zu Sekunde verängstigter wurde und ich schließlich erleichtert seufzte. »Und ich dachte schon jetzt kommt was Schlimmes.«, gab ich ehrlich zu und deutete gelassen auf meinen Schrank. »Ich habe genug andere Klamotten, die Jacke war mir nicht wichtig.«, erklärte ich ihm, auch wenn es nicht gänzlich der Wahrheit entsprach. Ich mochte die Jacke sehr, sie war mein absolutes Lieblingskleidungsstück, jedoch war das Ganze nicht Jimins Schuld, weswegen ich ihm das auch nicht unter die Nase reiben musste. Baek und Chanyeol würden dafür jedoch aufs Maul kriegen, das schwor ich mir.

»Trotzdem tut es mir leid!«, beteuerte Jimin und katapultierte mich damit zurück in die Realität. »Ich besitze zwar keine schöne Kleidung, aber ich werde es schon irgendwie wieder gut machen!«, versprach er mir ernst. Ich winkte jedoch bloß ab. »Lass gut sein.«

Er schwieg kurz, dann gähnte er ausgiebig. »Ich bin noch so müde.«, nuschelte er, worauf ich erst wieder seine tiefen Augenringe und das ausgemergelte Erscheinungsbild generell bemerkte.
»Leg dich noch etwas hin, wenn du möchtest. Ich mache dir was zu essen.«
Er sah mich verwundert an und legte den Kopf schief. »Mich würde echt interessieren wer du bist und warum du das machst.«, meinte er und musterte mein vermummtes Gesicht aufmerksam, worauf ich unter meiner Maske leise lachte; Kein fröhliches Lachen, sondern eher eines der verzweifelten Sorte. »Das geht noch nicht, tut mir leid.«, entschuldigte ich mich bei ihm. Bitterkeit stieg in mir hoch, ich war selbst schuld an der ganzen Scheiße.

»Shit«, hörte ich Jimin leise fluchen, als er auf meinen Wecker starrte. »Wie lange habe ich bitte geschlafen?!«
»Vier Stunden«, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß, worauf er vom Bett aufsprang und sich hektisch verbeugte. »Danke für alles, ich muss gehen.«, erklärte er gestresst und wollte schon aus der Tür stürmen, als ich mich genau vor dieser platzierte und ihn fragend ansah. »Was ist los?«
»Ich muss meine kleine Schwester von der Schule abholen!«, erklärte er. »Sie ist zwar schon 10, aber in der Gegend in der ich wohne will ich sie nicht alleine Nachhause gehen lassen.« Sein Blick wird panisch, ich will mir gar nicht vorstellen was für Szenarien er sich gerade ausmalen könnte.

Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. »Wie viel Zeit bleibt dir?«, fragte ich ihn und er wirkte darauf nur noch verzweifelter.
»Nur noch 5 Minuten. Das schaffe ich nie!«

Ich überlegte nicht lange, schmiss mir eine Jacke über und zog Jimin aus dem Zimmer die Treppen hinunter. Und da kam auch schon das nächste Problem auf mich zu...

Mein Vater stand im Eingangsbereich und sah uns fragend an.

Ich sah panisch zu Jimin der den Kopf schief legte.
»Ah, das ist mein Mitbewohner.. ähm.. Minjun. Ihm gehört diese Wohnung.«, stammelte ich sofort drauf los und ignorierte meinen Vater, der zum Protest ansetzen wollte. »Wir reden später, ja? Wir müssen uns beeilen!«, unterbrach ich ihn schnell, als er bereits seinen Mund öffnete und warf ihm einen flehenden Blick zu. Er sah mich daraufhin zwar missbilligend an, jedoch beließ er es dabei und stampfte richtung Küche. »Er ist etwas seltsam... und alt.«, entschuldigte ich meinen Vater und hörte darauf ein lautstarkes, beleidigtes Räuspern aus dem anderen Raum.

»Was hast du vor?«, fragte mich Jimin vorsichtig, als ich ihm einen Helm auf den Kopf setzte, die Tür aufriss und ihn zu unserer Garage zerrte.
»Ich fahre dich.«, erklärte ich kurzerhand und ging auf mein schwarzes Motorrad zu.

Als ich mich zu Jimin umdrehte sah dieser mit großer Bewunderung auf die Maschine. »Steig auf.«, forderte ich ihn auf und er leistete dem sogleich folge. Als er hinter mir saß klammerte er sich an mich und ich konnte seine Wärme spüren. Und das... fühlte sich irgendwie gut an.

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