13 - Aussprache

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Es mag komisch klingen, aber wäre ich heute nicht in die Schule gegangen, hätte das Schwäche gezeigt. Ich kann und möchte meinen Freundinnen nicht zeigen, wie sehr mich unser Streit verletzt hat. Vor allem Leia hat mich zutiefst enttäuscht. Niemals hätte ich gedacht, dass in ihr ein Teufel steckt.

Obwohl ich es noch gar nicht richtig realisieren kann, muss ich mich so langsam damit abfinden, dass ich die Personen verloren habe, die mein gesamtes Leben geprägt haben.

„Lucienne, kannst du mir die Frage beantworten?", reißt mich mein Biologielehrer in die Realität zurück. Seine Augen ruhen auf mir, während er abwartend mit seinen Fingern auf die Tischplatte klopft und mich damit nervös macht. „Ähm. Könnten sie die Frage eventuell noch einmal wiederholen?", bitte ich ihn und versuche dieses Mal, seinen Worten Gehör zu schenken.

„Was ist der Unterschied zwischen der hormonellen und der neuronalen Informationsübertragung?" Mein Kopf schnellt wie von selbst hilfesuchend zu Mayleen, ehe mir wieder einfällt, dass sie mir heute nicht helfen wird. Sonst hat sie mir immer aus der Patsche geholfen, doch das hat nun ein Ende. „Tut mir leid, aber ich weiß es nicht."

Dass ich Roxana, Leia und Mayleen verloren habe, wird mir nochmals in der Pause und im Sportunterricht bewusst. Jeder von uns verbringt die Pause alleine und auch im Sportunterricht suchen wir uns andere Partner. Ohne meine Freundinnen fühle ich mich verdammt hilflos und alleine.

Mir wird erst jetzt bewusst, dass ich außer Roxy, Lee und May niemanden in meinem Leben habe.

Außer Blake.

„Na, wie war dein Schultag?", begrüßt mich ebendieser, als ich mich seufzend auf dem Beifahrersitz seines Autos niederlasse. Nachdem er mich gestern nach Hause gebracht hat, hat er angeboten, den heutigen Nachmittag gemeinsam zu verbringen und diesen Vorschlag konnte ich unmöglich ablehnen. Wahrscheinlich ist es egoistisch von mir, aber eigentlich habe ich nur zugesagt, um mich nicht mehr so alleine zu fühlen.

„Super", antworte ich schließlich sarkastisch. „Erst verdonnert mich mein geliebter Biolehrer zu einer Strafarbeit, dann hat mir jemand seinen Eistee über die Hose geschüttet und zum krönenden Abschluss habe ich im Sportunterricht einen Basketball gegen den Kopf geworfen bekommen."

„Oh man. Dann hast du es dir also verdient, deinen roten Pumuckl zu hören", lacht Blake und verbindet sein Handy mit der Musikanlage. Wenige Sekunden später dröhnen die sanften Töne meines Lieblingssängers aus den Boxen. Es ist ungewohnt, dass der Blondschopf wieder so nett zu mir ist.

Aber es gefällt mir.

„Kann ich dir ein paar Fragen stellen?", wende ich mich unsicher an ihn. Unsere Blicke begegnen sich im Innenspiegel, während der Blauäugige nickt.

„Warum hast du mich in jener Nacht nicht einfach vor das Auto laufen lassen?" Blake war mir nichts schuldig und dennoch hat er mich gerettet. „Das hätte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können", antwortet er und stoppt den Wagen an einer roten Ampel. Er dreht seinen Kopf zu mir und mustert mich eindringlich. „Bereust du es, dass ich dich gerettet habe?"

„Was für eine Frage, natürlich nicht!", beeile ich mich zu sagen. Einerseits ist es gut, dass er mich gerettet hat, aber andererseits hat das eine Menge Probleme mit sich gebracht. Wären wir uns in der Nacht nicht über den Weg gelaufen, hätte mein Leben eine ganz andere Richtung eingeschlagen.

„Wusstest du in der Nacht schon, wer ich bin?" Blake nickt. „Und warum hast du dann die ganze Zeit nach meinem Namen gefragt, obwohl du ihn bereits kanntest?"

„Ich wollte, dass du dich wertlos fühlst", gibt er zu und spannt seinen Unterkiefer an. „Ich wusste ja schließlich, dass du das Mädchen bist, das mir meinen besten Freund weggenommen hat – wenn auch unbewusst." Automatisch schleicht sich ein Bild von Shane vor mein inneres Auge. Ist er wirklich in mich verliebt? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.

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