KAPITEL 6

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Samstagmorgen im Café L'amour

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Samstagmorgen im Café L'amour

„Gideon ist da", sagt meine beste Freundin, als sie an die Theke kommt. Sie gibt Lucas die Bestellung, der damit in die Küche verschwindet. Ohne meine Arbeit zu unterbrechen, drehe ich mich zu ihr um. „Okay", sage ich.

Noelia zieht die Augenbraue hoch. „Nur okay?", hakt sie empört nach.

Seufzend lege ich das Küchentuch zur Seite, mit dem ich ein Glas abgetrocknet habe. Ich fahre mir unschlüssig durch die Haare.

„Ja", gebe ich zurück, obwohl ich selbst unsicher bin.

Meine beste Freundin schüttelt den Kopf. „Komm mir nicht so, Ellie. Ich weiß ganz genau, dass du dich freust, ihn wiederzusehen", meint sie. „Und deswegen bringst du ihm und seinen Freunde die Getränke", grinst sie. Noe ist total begeistert von ihrer Idee – im Gegensatz zu mir. Das ist die schlechteste Idee des Jahrhunderts.

„Auf keinen Fall."

„Oh doch!"

„Mädels? Ihr seid hier, um zu arbeiten", erinnert uns Mom, die aus der Küche kommt.

„Tut uns leid", lächelt Noelia entschuldigend. „Allerdings war es wichtig. Ellie will Gideon und seinen Freunden nicht die Getränke bringen."

Mit offenem Mund schaue ich sie an. Ich kann nicht fassen, dass sie so ein Drama macht und es dann auch noch Mom erzählt. Mom seufzt und sofort kann ich ihren Gedanken erahnen: Meine Tochter ist wirklich ein hoffnungsloser Fall.

Irgendwie hat sie ja recht. So, wie ich mich verhalte, werde ich nie den Richtigen treffen, aber ich kann nicht anders. Dad hat Mom verlassen, obwohl er ihr immer wieder versichert hat, dass er sie liebt. Dieser elende Heuchler. Und auch wenn Mom und Granny immer wieder betonen, dass nicht alle Jungs und Männer so sind, kann ich das nicht vergessen. Was, wenn mir das Gleiche wie meiner Mom passiert? Ich möchte nicht so sehr verletzt werden. Wieso können sie nicht verstehen, dass ich mich nur schützen möchte?

Genau weiß ich nicht, wie es damals für Mom war, immerhin war ich noch ein Baby, aber natürlich wurde mir irgendwann klar, dass sie verletzt wurde – auf die schlimmste Art und Weise. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn mein Dad vielleicht irgendwann vor mir steht.

„Jetzt geh schon, Ellie", drängt Mom. Auch sie scheint Noelias Idee super zu finden. Wieso interessiert es die beiden kein Stück, das mir die Idee nicht gefällt?

Gequält sehe ich sie an. Können die beiden mich nicht einfach in Ruhe lassen?

„Genau, geh", stimmt meine beste Freundin sofort zu und drückt mir das Tablett mit den Getränken in die Hand. Sie schenkt mir ein Lächeln und verschwindet mit Mom in die Küche. Die Tür knallt zu und weg sind sie. Die beiden haben mich eiskalt hier stehengelassen.

„Du schaffst das" versuche ich mir selbst Mut zu machen, aber ich habe keinen Erfolg. Trotzdem mache ich mich höflich lächelnd auf den Weg zum Tisch. Es wird schon nicht schlimm werden.

„Eure Getränke", sage ich, als ich am Tisch zum Stehen kommen. Sie sitzen an meinem Lieblingsplatz. Alle schauen neugierig zu mir, während ich die Getränke verteile, allerdings nicht, ohne zu fragen, wer was bestellt hat. Nur bei Gideon weiß ich sofort, was er hat: Kaffee.

„Du hast es dir gemerkt?", fragt er lächelnd.

Stumm schaue ich ihn an und spüre, wie ich rot werde, so verlegen bin ich. Es war keine gute Idee, ihnen die Getränke zu bringen. Trotzdem nicke ich und gehe einfach, ohne ein Wort zu sagen. Na gut, vielleicht bin ich eher geflüchtet, aber ich habe keinen anderen Ausweg gesehen.

Sein Blick folgt mir, das merke ich, aber ich drehe mich nicht um. Angespannt und vollkommen aus der Bahn geworfen, atme ich hinter der Theke erstmal tief durch.

„Ruhig, Ellie", murmle ich mir selbst zu.

„Ellie, alles okay?"

Erschrocken drehe ich mich zu Granny um, die mit einigen Gerichten aus der Küche kommt. Ich nicke, auch wenn es offensichtlich nicht so ist.

Granny schüttelt den Kopf. „Du kannst mich nicht anlügen, Ellie", sagt sie, „das weißt du." Eindringlich schaut sie mich an.

Wieder nicke ich. Lügen – ich hasse Lügen und wahrscheinlich kann ich deswegen auch nicht lügen. Dad hat Mom angelogen und es hat sie verletzt. Aber in dieser Situation grade, habe ich es einfach getan. So kenne ich mich nicht. Was ist nur mit mir los? Alles ist so anders seit Gideon in meinem Leben aufgetaucht ist. Er hat meine Welt auf den Kopf gestellt, nur weil wir ein Interview miteinander geführt haben. Dabei kenne ich ihn gar nicht richtig. Die Gefühle, die ich grade fühle, sollten nicht da sein, und auch die Gedanken in meinem Kopf sollten nicht da sein.

„Habe nur die Getränke zu Gideon und seinen Freunden gebracht", erzähle ich ihr.

Mehr brauche ich nicht sagen, sie versteht sofort. Seufzend stellt sie die Teller ab und kommt auf mich zu, um mich in eine ihrer berühmten Umarmungen zu ziehen, die die Welt jedes Mal ein bisschen besser erscheinen lassen. So auch jetzt.

Ich lächle leicht und genieße die Umarmung. Grannys altbekannter Duft nach Rose schwebt mir in die Nase.

„Ist schon okay, Ellie. Nur überwinde deine Angst, stelle dich ihr, lass ihr nicht die Überhand", flüstert sie mir zu und gibt mir danach einen liebevollen Kuss auf die Stirn.

Ich schaue ihr nachdenklich hinterher. Vielleicht hat sie recht. So wie eigentlich immer.

In Gedanken versunken merke ich gar nicht, wie Raphael, der beste Freund meiner Mom, an der Theke erscheint. Erst als ich mich umdrehe, sehe ich ihn. Lächelnd sieht er mich an.

„Raphael", rufe ich erschrocken, was ihn lachen lässt.

Ich mag ihn. Er ist immer gut gelaunt und ist für mich da, wenn es mir nicht gut geht. So als ob ich seine Tochter wäre. Es gibt Momente, in denen wünsche ich mir, er wäre mein Vater. Aber nein, es muss Andrew Lewis sein.

„Hey, Ellie" grüßt er mich, nachdem er aufgehört hat zu lachen.

„Hallo", antworte ich und gehe vor die Theke, um ihn kurz zu umarmen. Leicht erwidert er diese.

„Mom ist in der Küche", sage ich zu ihm und schnappe mir den Lappen von der Spüle, um über die Theke zu wischen.

„Danke", sagt Raphael und geht durch die Küchentür.

Kurz danach erscheinen neue Gäste im Café und ich gehe zu ihrem Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Dies getan, sehe ich, dass Gideon und seine Freunde aufgegessen haben. So beschließe ich spontan, meine Angst zu überwinden, so wie Granny es gesagt hat.

„Ich hoffe, es hat euch geschmeckt", sage ich.

„Ja, auf den Fall", antwortet Gideon lächelnd. Seine Freunde stimmen dem zu.

„Das freut mich", lächle ich. Und dieses Mal ist es nicht das höfliche Lächeln, das ich jedem Kunden schenke, sondern ein ehrliches und echtes Lächeln.

„Wollt ihr noch etwas?", frage ich schließlich und greife nach meinem Notizblock und meinem Stift.

„Noch einen Kaffee, bitte", kommt es von Gideon, was mich zum Lachen bringt.

„Das hätte ich mir ja denken können", sage ich und notiere mir seine Bestellung. Der Junge neben Gideon sagt noch, dass er ein Wasser möchte. Danach sammle ich die leeren Teller ein und gehe wieder. An der Theke steht meine lächelnde Granny. Es ist ein stolzes Lächeln, was mich sehr freut. Es fühlt sich gut an, die Angst überwunden zu haben. Vielleicht sollte ich dies öfter tun.

𝚆𝚒𝚎 𝚎𝚛 𝚖𝚒𝚛 𝚑𝚊𝚕𝚏 𝚣𝚞 𝚕𝚒𝚎𝚋𝚎𝚗Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt