Brief

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⚠TW Selbstmord⚠

Harry pov

"Papa, kannst du den zu Daddy schicken?" fragt Scorpius und hält mir einen Brief hin. Ein wenig verwirrt nehme ich ihn und nicke: "Natürlich, mache ich, mein Schatz." Scorpius jubelt und flitzt zurück in sein Zimmer.

Als ich abends allein in meinem Zimmer bin, hole ich den Brief hervor und reiße ihn auf. Vorsichtig entfalte ich das Papier und beginne die unordentliche Handschrift meines 5-jährigen Adoptivsohns zu lesen:

"Hallo Daddy,
ich hab dich jetzt schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ich vermisse dich so doll. Ich hab Papa gefragt, wo du bist. Papa sagt, du bist in Sicherheit und es geht dir gut an diesem Ort. Jeden Samstag macht Papa dein Lieblingsessen. Er kocht immer zu viel, als würde noch jemand mitessen. Papa ist ein Schussel, sagst du auch immer. Ich esse immer auf. Letzte Woche war dein Geburtstag, Daddy. Voll doof, dass du nicht da sein konntest. Wir haben dich trotzdem gefeiert. Oma Molly hat Kuchen gebacken. Nur Papa war nicht da. Opa Lu hat gesagt, er muss arbeiten, aber ich konnte kurz in sein Zimmer sehen, als Onkel Ron bei ihm war. Papa hat ganz doll geweint. Ich glaube, er war traurig, weil du nicht gekommen bist. Aber ich bin dir nicht böse, Daddy, du hast sicher was ganz Wichtiges zu tun gehabt. Vielleicht kannst du ja zu Weihnachten da sein. Ich hab mir einen Besen gewünscht. Dann kannst du mit mir üben. Ich setze auch einen Helm auf, fest versprochen! Dann kann Papa auch wieder mit dir reden und muss deinem Foto nicht mehr alles erzählen. Ich hoffe, du kommst du bald wieder. Ich vermisse dich, Daddy!
Scorpius H. Malfoy (siehst du, ich hab unterschrieben, wie du es immer gemacht hast, das weiß ich noch)"

Tränen rinnen über meine Wangen und ich hatte große Mühe, die Schrift lesen zu können, die durch die Tränen immer wieder vor meinen Augen verschwamm. Ich hätte es ihm schon längst erklären müssen, aber ich kann nicht. Ich weiß einfach nicht, wie ich es ihm sagen soll. Wie erklärt man einem 5-Jährigen, dass sein Dad nie wieder nach Hause kommt? Aber ich muss es ihm endlich sagen. Ich komme nicht mehr drumherum.

~*~*~

Ich schließe die Schlafzimmertür hinter mir und setze mich dann zu Scorpius auf mein Bett. Vorsichtig hebe ich ihn auf meinen Schoß. "Ich muss dir jetzt etwas sagen, mein Schatz. Versprichst du mir gut zuzuhören?" Scorpius nickt. "Du hast doch Daddy den Brief geschrieben... Das hast du sehr gut gemacht, aber ich konnte Daddy deinen Brief nicht geben. Weißt du, Daddy ging es ganz schlecht..." "Ist er krank?" "Nein, nicht wie du denkst. Daddy war ganz traurig und hatte große Angst vor dem, was passiert ist, als du noch gar nicht auf der Welt warst. Und irgendwann ist es zu schlimm geworden." "Ist Daddy zu dem Drachen aus den Sternen gegangen?" fragt Scorpius und ich sehe, wie seine Unterlippe zu zittern beginnt. Das passiert immer, wenn er gleich anfängt zu weinen. Ich wische mir die Tränen von den Wange und nicke leicht: "Ja, mein Schatz." "Daddy kommt nicht mehr nach Hause?" fragt er und beginnt bitterlich zu weinen. "Nein, Daddy kommt nicht nach Hause. Aber er ist nicht weg, glaub mir. Daddy ist jetzt da oben und passt auf dich auf. Er guckt dir immer zu." "Hat Daddy auch einen Stein von dem Drachen bekommen?" fragt Scorpius schluchzend. "Ja, Daddy hat auch einen Stein bekommen. Willst du mit mir dahin gehen?" Scorpius nickt.

Draco hat Scorpius immer eine Geschichte von einem Drachen erzählt, der in den Sternen wohnt. Und wenn jemand nicht mehr auf der Erde sein kann, dann geht er zu dem Drachen in den Sternen. Dort kann dieser Mensch dann friedlich leben. Und um den Leuten, die diese Person geliebt haben, nicht alles wegzunehmen, hinterlässt der Drache einen Stein, bei dem sich die Menschen erinnern können.

"Komm, wir gehen zu Daddys Stein, okay?" Scorpius nickt. Wir waschen uns beide die Tränen aus dem Gesicht, ziehen uns an und dann gehe ich mit Scorp zum Friedhof. Wir bringen Draco auch Blumen mit. "So, hier ist Daddys Stein." sage ich und gehe vor einem der Gräber in die Hocke. "Hallo Daddy." sagt der Kleine leise. Er stellt eine Steinfigur in Form eines Drachen auf das Grab, welche er im Blumenladen entdeckt hatte. Die Verkäuferin hat uns gesagt, dass wir die einzigen wären, die so einen Drachen je gekauft haben. Daraufhin hat Scorp ihr erzählt, dass sein Dad ein Drache ist und er ihm den deshalb schenken will. Ich habe nicht aufgeklärt, dass Scorp nur die Bedeutung seines Namens meinte. Irgendwie hat er ja recht.

Von dem Tag an durfte Scorpius jeden Samstag in Dracos und meinem Ehebett mit mir schlafen. Und Sonntagmorgen sind wir auf dem Rückweg vom Bäcker immer an Dracos Grab vorbei gegangen und haben von unserer Woche erzählt. Auch als Scorpius dann älter war, blieb das unsere Tradition. Und um nichts, außer Dracos Leben vielleicht, würden wir sie aufgeben.

Drarry OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt