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5. Oktober 1998

Er weiß es.

Er muss es doch inzwischen wissen. Genauso wie sie jetzt weiß, dass das das Letzte ist, was sie hätte tun sollen. Eine Grenze, die sie nicht hätte überschreiten sollen.

Sie verbrachte die ganze Nacht damit, es durchzublättern, und nach weniger als drei Einträgen wusste sie, dass es etwas war, das sie nicht sehen sollte. Es war zu persönlich. Zu nah.

Und es machte verdammt nochmal zu viel Sinn.

Auf den ersten paar pastellfarbenen, lavendelfarbenen Seiten hatte sie Hinweise auf Alkoholismus, Missbrauch, Selbstverletzung und Bedauern gefunden. So, so viel Bedauern. Unfähige Eltern. Drogenüberdosen. Tod.

Sie hatte es sich zusammengereimt: Das war der Muggelbewährung nicht so unähnlich. Er musste diese Einträge wöchentlich - oder vielleicht sogar täglich - bei einem psychiatrischen Heiler abgeben. Diese schwachsinnigen Drittklässler hatten die Situation nicht ganz falsch eingeschätzt.

Aber jetzt sitzt sie in der Falle.

Sie kann es ihm nicht zurückgeben. Er wird wissen, dass sie es genommen hat. Sie kann es nicht vor ihm verheimlichen. Er wird verhaftet werden, weil er die Einträge nicht einreicht. Sie kann nicht ungesehen machen, was sie gesehen hat.

Es ist zu, zu persönlich.

Was lediglich ein kleinlicher Racheversuch war, ist heftig nach hinten losgegangen.

Ich würde gerne weg sein. Ich würde alles dafür geben, weg zu sein. Lass mich weg sein.

Die Schräglage seiner Handschrift ist die Art, die man bei Psychopathen sieht. Die Tinte ist überall verschmiert. Sie ist fast so chaotisch wie sein Leben, und sie ist durchsetzt mit Dingen, die sie bei seinem Anblick nie erkannt hätte.

Es ist auch gespickt mit Meinungen über sie - Meinungen, auf die sie nicht vorbereitet war.

...Schlampe...

...Schlammblut...

Nein, auf die war sie vorbereitet gewesen. Aber nicht auf solche, die Dinge sagten wie "verwirrend"... und "ablenkende Locken"... und "überall, wo ich hinschaue, ist sie da"...

Diese Einträge waren von seltener Natur, und sie waren zum Ende hin irgendwie geronnen - der jüngste. Sie hatte seine Meinung über sie geändert.

Aber sie hat sich den Eintrag vom 3. Oktober immer wieder durchgelesen, und nichts.

Nichts über den Kuss.

Es ist kindisch von ihr, von ihm zu erwarten, dass er darüber schreibt. Schließlich hat es doch nichts bedeutet, oder? Aber wenn sie darüber nachdenkt, erinnert sie sich an seine Eskapaden auf der Knutschbank, und ein unwillkommener Schauer läuft ihr über den Rücken.

Vor allem hasst sie ein Rätsel, das sie nicht lösen kann.

Der lila Einband fühlt sich heiß an in ihren Händen - als würde er sie vor Schuldgefühlen verbrennen. Sie lässt es auf die Laken zwischen ihren Knien fallen. Mit ihrem Zauberstab prüft sie die Zeit. Sechs Uhr morgens.

Sie hat nicht geschlafen.

Wie könnte sie das? Wenn die Vergangenheit und die Zukunft in ihrem Kopf kollidieren? Denkt sie an die Berührungen, die er bereits gegeben hat, und den Hass, den er geben wird, wenn er es herausfindet?

Es ist das erste Mal, dass sie zugibt, dass sie nicht will, dass er sie hasst.

Es ist auch das erste Mal, dass sie anerkennt, dass ihn zu küssen... anders war. Nichts von der Schlampigkeit und Klebrigkeit, die sie von Ron kannte. Nichts von den fummelnden Händen und klopfenden Zähnen. Ihn zu küssen war sauber - knackig und prägnant, jede Bewegung hatte eine Bedeutung, jede Berührung war dort, wo er sie haben wollte - und doch gleichzeitig völlig unrein. Dunkel. Fordernd. Sinnlich. Mit seiner frechen Zunge und seinen abenteuerlichen Fingerspitzen. Sie hätte nie gedacht, dass Malfoy so küssen konnte.

Breath Mints / Battle Scars deutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt