Kapitel 32 - Heilung

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Einige Tage später

Die Sonne glänzte wie roter Lack auf dem plätschernden Wasser der Springbrunnen. In der Luft lag ein süßlicher Duft von blühenden Blumen, die ihre Köpfe den ersten Strahlen entgegenreckten. Der Kies unter Junes Halbschuhen knirschte zufrieden, als sie zum ersten Mal seit Tagen wieder durch den Palastgarten spazierte.

Soweit sie es von Merena und Malik mitbekommen hatte, war Frieden zwischen Asgard und Svartalfheim eingekehrt und Malekith und seine Berater versauerten nun im Palastverlies. June war mehr als erleichtert über diesen Kriegsausgang, obwohl ihre gute Laune der Gedanke an die gefallenen Soldaten trübte. Sie konnte nur heilfroh sein, dass nicht auch noch Malik eingezogen worden war.

In den vergangenen Tagen hatte sie zwischen Schläuchen und kühlen Wände Zeit gehabt, über das Geschehene nachzudenken. Thor hatte ihr bei einem seiner Besuche versichert, dass Loki nie die Absicht gehabt hatte, sie umzubringen. Ein dumpfes, schmerzliches Gefühl in ihrem Bauch wollte ihr jedoch etwas anderes vermitteln. Wenn Loki nur bereit gewesen wäre, mit ihr zu reden, hätte sie seinen plötzlichen Ausbruch vielleicht besser verstehen können.

Klar war er sauer gewesen, als er von der ungewissen Abstammung ihres Sohnes erfahren hatte, aber deshalb sie gegen eine Säule schleudern? Das ging doch selbst für ihn zu weit.
Seufzend ließ sich June auf eine Holzbank zwischen ein paar Oleanderbüschen nieder, dessen Zweige sie vor ungebetenen Blicken schützten. Trotzdem legte sie ihr Kleid so zurecht, dass man die leichte Wölbung ihres Bauches nicht sehen konnte. Auf neugierige Fragen konnte sie wirklich verzichten. Die wissbegierigen Blicke der Krankenschwestern hatten ihr gereicht, die stets in ihrer Nähe herumgelungert hatten, als auch Thor bei ihr gewesen war. Bald würde es Gerüchte geben von wegen: der Prinz hat ein Kind mit einem Zimmermädchen, was ja leider auch die bittere Wahrheit war.

Kopfschüttelnd lehnte sie sich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer blassen Haut, die sie in eine sanfte Umarmung schlossen. Die frische Luft und die angenehme Ruhe waren wie Balsam für ihren geschwächten Körper. Es hätte so perfekt sein können, wären da nicht diese eiligen, herannahenden Schritte gewesen, die sie aus der Idylle rissen.

Und zu allem Überfluss war es auch noch Loki, der sie aus ihrem kleinen Paradies reißen musste.
„June", keuchte er atemlos, als wäre er den gesamten Weg zu ihr gerannt. Wahrscheinlich war er das auch. „Wie geht es dir?"
Das Zimmermädchen betrachtete den Prinzen misstrauisch und setzte sich in eine geradere Position, wobei sie genauestens darauf achtete, dass ihr Kleid nicht verrutschte.
„Ganz gut", antwortete sie knapp und konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Wieso musste er auch immer so gut aussehen? Wieso schlugen sie seine grünen Augen immer von neuem in den Bann und wieso ließ sie sich von seinen rosigen Lippen und seinen scharfen Gesichtszügen immer wieder betören?

„Das freut mich", antwortete Loki und ließ seinen Blick an ihrer Gestalt hinabschweifen. Bei ihrem Bauch, der eigentlich durch ihr weites, rosa Kleid verdeckt war, blieb sein Blick am längsten hängen.
„Und wie geht es...ihm?" Loki fiel es sichtlich schwer, danach zu fragen, was June zum Lächeln brachte.
„Ihm geht es auch gut", erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln und legte unwillkürlich die Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch.

Loki tat einen Schritt auf sie zu, nur um mitten in der Bewegung innezuhalten.
Sein Mund klappte auf und zu, als wolle er etwas sagen, doch kein Wort verließ seine Lippen. Sein unruhiger, fast hilfloser Blick verriet seine Gefühlslage. Und aus einem inneren, natürlichen Impuls heraus rutschte June auf der kleinen Bank zur Seite, klopfte auf die Stelle neben sich und wies Loki mit einem auffordernden Blick an, sich neben sie zu setzen.

Der Prinz zögerte kurz, bevor er sich einen Ruck gab und sich unter den Oleanderzweigen duckend zu June auf das Bänkchen setzte. Mit klopfendem Herzen bemerkte June, dass sich ihre Knie fast berührten und sie nur eine Hand hätte ausstrecken müssen, um seine Haut auf ihrer zu spüren.

Was soll das June? Gerade hat er dich fast umgebracht und jetzt himmelst du ihn an? Blöde Schwangerschaftshormone. Aber vielleicht steckte da noch etwas anderes hinter.

„Es ist zu viel zwischen uns passiert, als dass es plötzlich wieder normal sein könnte", fing Loki an und inspizierte die umherlaufenden Käfer auf dem Kiesboden so genau, als wären sie das Interessanteste auf Asgard.
„Ich weiß", murmelte June. Sie konnte nicht verhindern, dass sich eine schwere Traurigkeit in ihre Stimme schlich.

„Es tut mir Leid."
June blickte auf. Das hatte sie nicht von ihm erwartet. Verblüffung und Freude verdrängten die Traurigkeit in ihr und malten ein breites Lächeln auf ihr Gesicht, das seit Langem wieder ihre Augen erreichte.

„Als ich erfahren habe, dass du schwanger bist, war mein Zorn auf dich verschwunden. Schon vorher ist mir klar gewesen, dass alles nur ein großes Missverständnis gewesen ist, doch ich war viel zu verletzt, als dass ich ein vernünftiges Gespräch hätte mit dir führen können. Danach blieb nur noch die Angst...Ich wollte nicht schon wieder allein gelassen werden. Nicht, nachdem ich mich dir geöffnet habe."

June wusste nicht mehr was sie sagen sollte. Lokis Worte waren ein Wunder, das nur alle paar Jahrhunderte statt fand. Niemals hätte sie eine Entschuldigung erwartet, geschweige denn eine Erklärung.
„Ich...", stotterte June, ihre Augen immer noch weit geöffnet, „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich...ich bin dir unendlich dankbar für das, was du gesagt hast. Du brauchtest dich nicht zu entschuldigen!"
„Aber ich wollte, weil ich weiß, wie viel Gram ich dir mit meinem Verhalten verschafft habe."
„Naja, es war ja auch begründet."
„Du hattest auch deine Gründe", gab Loki zu und löste seinen Blick von den Käfern, um in Junes grüne Augen zu sehen, „und ich hatte meine, aber ein ewiger Streit wird keinen von uns zu Glück führen."

In Junes Herz entzündete sich der Funken Hoffnung, der so lange erloschen gewesen war und fügte ihr gebrochenes Herz grob zusammen. Die lang brennende Sehnsucht nach dem Prinzen führte ihre Hand zu ihm und lege sie zögerlich auf sein Knie.
„Und wie geht es weiter?", flüsterte June, sie wagte kaum zu fragen.

Loki löste seinen Blick nicht von den wunderschön leuchtenden Augen Junes, die so lange eine dumpfe Traurigkeit ausgestrahlt hatten.
Mit einem Lächeln auf seinen wohl geschwungenen Lippen hob Loki Junes Hand ein Stückchen an, um einen winzigen Kuss auf ihre Fingerknöchel zu hauchen.

„Wir fangen von vorne an".

Der Prinz stand auf und schenkte June ein Lächeln.
„Mylady, wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet."

Dann verschwand er mit einem letzten, versöhnlichen Blick hinter den Oleanderbüschen.

His deepest desire [Loki FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt