Kapitel 3

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This one is not for the folks at home
Sorry to leave, mom, I had to go
Who the fuck wants to die alone all dried up in the desert sun?  

Some Nights ~ FUN


Es war Tag 3.
Tag 3 ohne richtiges Bett, Tag 3 ohne Tankstellenstopp, aber dafür mit Pinkelpausen in der Wildnis, Tag 3 ohne geladenes Smartphone, weil diese Schrottkarrte einfach zu alt für neumodische Technik wie Aufladekabel fürs Auto war und Tag 3 ohne Dusche. Wenn Frances weiterhin die Meinung vertritt, dass meine inzwischen latent verknoteten Haare nach Pfirsich riechen würden, würde sie ebendiese verfaulte Frucht aus den Untiefen unseres Kofferraums in ihr hübsches Gesicht geworfen bekommen. Ich fühlte mich dreckig, schäbig und musste im Übrigen schon wieder auf die Toilette.
Gerade deshalb empfing ich den nächsten Rastplatz mit offenen Armen, rannte förmlich zu den besprayten Toilettenhäusern und ließ meine beste Freundin am Wagen stehen. Der Boden des öffentlichen Ortes war nass, mit sämtlichen Abfällen zugemüllt und es stank bestialisch nach Fäkalien, Schimmel und totem Tier. Mein Weg zu einem der Kabinen glich einer perfekt einstudierten Balletteinlage – bloß nicht den Boden berühren und wenn, dann nur mit den Zehenspitzen. Das kaputte Schloss der Tür zerrte an meinen überstrapazierten Nerven und als schließlich auch noch das Toilettenpapier fehlte, beschloss ich, dass heute wirklich nicht mein Tag war. 

Mal wieder.

Nach einem raschen Gang zum dreckigen Waschbecken mit der stockenden Wasserverbindung trat ich heraus in die helle Märzsonne, die den Asphalt von Harrisburg und den Rest von Pennsylvania erwärmte. Unser Ford stand als einziges Auto in der Parklücke, mit geöffneten Türen und heruntergekurbelten Fenstern, dabei war es gerade mal 13 Grad Celsius. Kaum wärmer als in Deutschland. Deutschland? Deutschland!

„Mist", nuschelte ich undeutlich und fixierte mit meinen Augen die Telefonzelle neben dem Parkplatz. Meine Eltern mögen vielleicht ihr Einverständnis für diesen Roadtrip gegeben haben, aber es galten einige Bedingungen. Bedingungen, welche ich nur bedingt erfüllte. Die Forderung, dass ich mich jeden Tag meldete und meiner Familie von meinen Erlebnissen berichtete, gehörte auf jeden Fall dazu. Frances nahm hinter mir den Rücksitz auf der Suche nach einer ihrer CD's auseinander und das Radio wechselte zwischen einem örtlichen Sender und penetrantem Rauschen. Ich warf all mein Kleingeld in den Schlitz, als mich die monotone Frauenstimme dazu aufforderte. Die Nummer plus Vorwahl war schnell eingegeben und dann wartete ich, mit den Fingernägeln an einem Sticker der Scheibe kratzend. Es dauerte eine ganze Zeit, bis endlich das gewohnte Tuten des Telefons ertönte und die Leitung knackte, als jemand am anderen Ende abnahm.

„O'Kennedy?"
Wie ich meinen Familiennamen doch hasste. Irisch. Mein Großvater kam aus Irland, zog nach Deutschland, verliebte sich dort in meine Großmutter und gründete eine Familie. Und als wäre dieser Nachname nicht schon schlimm, passte ich zudem noch perfekt in das klassische Bild eines irischen Mädchens. Honigblonde bis orange Haare, grüne Augen, Sommersprossen und eine Stupsnase – damit war ich aber auch die Einzige, aus unserer Familie. In der Grundschule dafür gehänselt, in der Realschule regelrecht gemobbt und stets die perfektesten und bloßstellensten Spitznamen aufs Auge gedrückt bekommen. Wundervoll, nicht?

 „Ich bin's."

„Julianna?!"

 „...Charlie?"

Ich stutzte bei dem vertrauten Klang der Stimme meines Bruders. Er war wieder zuhause? Charlie. Charlie O'Kennedy. Stets der kluge aus der Familie, der Student, mit einem Abischnitt von 1,2 und einem so wirtschaftlich wichtigen Job, dass er mehr als unsere Eltern zusammen verdiente. Der große Bruder, der fast nie im Hause war, in seinem todschicken Anzug durch halb Europa hetzte und überall Geschäftstermine, Aufträge und Beziehungen hatte. Der erfolgreiche Businessman, der sich durch all den Erfolg trotzdem nicht einschüchtern ließ. Der Kerl, der mit 26 seine eigene Firma gegründet hatte, die einzige Person, die meinen Namen nicht eingedeutscht hatte sondern mit einem englischen Klang betonte. Der Freund, dessen Verlobte ihn wie Christian Grey aus diesem schrecklichen Buch vergötterte. Charlie, mein liebster Verwandter und Charlie, der Junge, den ich seit mehr als 3 Monaten nicht mehr gesehen hatte und der keine Ahnung von meinem Abenteuer im Ausland hatte.

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