Kapitel 2

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Gotta make a plan
Gotta do what's right
Can't run around in circles if you wanna build a life
And I don't wanna make a plan for a day far away
While I'm young and while I'm able all I wanna do is...  

J.A.R (Jason Andrew Relva) ~ Green Day

„Pfirsich"

„Tolles Stichwort, Frances. Im Ernst, es sieht mir eher aus wie...Orange"

Ich konnte da keinen Pfirsich entdecken. Der Himmel färbte sich erst zart rosa und schließlich knallig orange, die Sonne ging auf. Die Bäume um uns herum wurden in das sanfte Licht getaucht und warfen leichte Schatten auf die Lichtung. Ja, ich war dem blonden Monster hinterher gelaufen, hatte mich neben sie auf die Motorhaube gesetzt, mit ihr in die Sterne geguckt und über Gott und die Welt geredet. Lästereien über zurückgebliebene Freunde, der erste Schwarm aus der siebten Klasse und eine Diskussion, inwiefern sich ein Haarfarbenwechsel auf die allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkt, hielten mich beinahe die ganze Nacht wach. Los Nummer Vier war erledigt - unnötig zu sagen, dass ich jetzt schon Angst vor dem nächsten hatte.

„Nein, nein. Nicht der blöde Sonnenaufgang. Deine Haare. Du. Du riechst nach Pfirsichen. Und Wassermelonen."

Ich kletterte auf meine Knie und warf einen besorgten Blick in Richtung Autodach, auf welchem sich meine beste Freundin niedergelassen hatte und genüsslich an einem Glimmstängel zog. Es war morgen. Früh am Morgen. Mein Handy spuckte noch die Zahlen 06:34 AM aus, ehe es mit einem nervigen Piepen herunterfuhr. Der Akku war leer und wir saßen mitten in der Pampa, war das nicht total klassisch? Ich würde anfangen Beifall zu klatschen, wenn unser Wagen jetzt auch noch auf mysteriöse Weise an Treibstoff verlor.

„Du hast sie nicht mehr alle", nuschelte ich, schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase und rückte das Kissen hinter meinem Kopf zurecht.

„Kann schon sein", war ihre kurze Antwort, ehe sie sich neben mich fallen ließ, so ein lautes, blechernes Rumpeln verursachte und sich wieder in ihren Schlafplatz kuschelte.

Kaum landete sie neben mir, nahm ich den beißenden Geruch von Rauch war und rümpfte die Nase.

„Zahnputzzeug ist im Kofferraum, bei der Kühlbox"

„Hm...und der Topf steht auf der Rücksitzbank"

„Ein Glück, dann bleiben wir wenigstens einen Tag lang von diesen dämlichen Aufgaben verschont!", grinste ich streckte mich wie eine Katze.

Ein leises Kichern verließ den Mund von Frances, ehe sie auf die Beine sprang, ihre zerrissene Strumpfhose zu Recht rückte und schließlich ein schmales Röllchen aus ihrer Hotpants zog.

„Nicht ganz, hier fang!"

„Ich will deinen gebrauchten Tampon nicht, weißt du."

Meine Reflexe am Morgen ließen mich getrost im Stich und ein versiegeltes Papier traf meinen rechten Oberarm. Nur mit großer Mühe konnte ich ein Aufstöhnen unterdrücken. Dieses Biest hatte doch tatsächlich daran gedacht, ein Los mitzuschleppen! Gedankenverloren beförderte ich den Papierstreifen in meine Hand und drehte ihn zwischen meinen Fingern.

„Ich hab noch nicht rein gesehen, ich schwöre!", ihre Stimme nahm einen naiven und kindischen Klang an und sie faltete die Decken zusammen.

Kopfschüttelnd zerrte ich mit den Fingernägeln an dem Verschluss herum und rollte das Los ganz auf: „Nummer 5. Ein Tattoo stechen lassen."

Ich begnügte mich mit einem unzufriedenen Grunzen und schleuderte den Schnipsel in Richtung meiner besten Freundin, welche Plastik knirschen ließ und zwei Sandwiches aus dem Kofferraum zog. Sich zu beschweren würde nichts bringen, der Blondschopf wusste schon immer, wie es seine Ideen durchbrachte. Bei dem Gedanken in einem gammligen Tattooschuppen zu sitzen und meine beste Freundin mit dem Tätowierer flirten zu sehen, während eine hauchdünne Nadel wiederholt in ein Körperteil meiner Wahl gestoßen wurde, wurde mir schlecht und ich biss mir auf die Zunge. Frances würde sich nicht mit einem kleinen Kringel zufrieden geben, sie würde am liebsten ihren kompletten Arm verunstalten lassen und erwartete von mir dasselbe.

„Was sagt unsere Karte?", wollte ich also wissen, um meine panischen Gedanken an diese Aufgabe zu vertreiben.

„Google Maps?", ertönte ein Nuscheln von der Rücksitzbank und eine verwuschelte Haarmähne tauchte zwischen den zwei Vordersitzen auf: „Du meinst Google Maps? Im Moment,...", ein weiteres Verschwinden zwischen den Sitzbänken folgte, bevor Frances mit einem Keuchen aus dem Auto stieg und ihr Handy in den Händen hielt: „...haben wir Verbindungsprobleme"

„Warum können wir uns nicht eine Karte kaufen? So eine echte Karte! Mit einer roten Linie, die wir nachfahren wollen, mit verschiedenen Stecknadeln, die in die Nähe großer Städte gesteckt werden und sowas eben. Richtig klassisch", sagte ich und räumte den Rest unserer Sachen zurück zu Frances in den Wagen.

„Die Idee ist toll, Julianna. Wenn wir mal von der Tatsache absehen, dass wir kaum Geld haben, deshalb teilweise in unserem Auto schlafen und uns nur äußerst selten ein Hotel gönnen – ja. Super Idee", war die Antwort meiner Begleiterin ehe sie sich auf den Fahrersitz fallen ließ und den Motor startete.

Als ich sicher war, dass wir nichts vergessen hatten, stieg ich neben sie und schnallte mich an.

„Wohin geht's jetzt, Captain Frances?"

„Interstate 67 – nach Hellertown. Dauert noch ein ganzes Stück"

Ein schwaches Nicken meinerseits war ihr Antwort genug und sie konzentrierte sich darauf, den Ford von der abgelegenen Straße auf die Siebenundsechzigste zu bringen. Unter den Reifen knirschte der Kies und Frances balancierte eine CD auf ihrer Handfläche um sie in das Radio zu schieben. Als wenig später ein mir unbekanntes, aber sicherlich altes Lied aus den Boxen tönte, lehnte meinen Kopf gegen das geschlossene Fenster. Hellertown. Hellertown lag meines Wissens nach bereits im US-Bundesstaat Pennsylvania. Von Jersey nach Pennsylvania war es nur ein Katzensprung, für uns war es aber dennoch ein riesiger Schritt. Und Frances hatte Recht. In unserem Portmonee befanden sich nur noch knapp 500 $ und davon mussten wir uns Lebensmittel und eine Unterkunft beschaffen. Auf Dauer würden wir mit diesem spärlichen Betrag nicht weiterkommen, ein Job war mehr als dringend nötig. Wir hatten zwar ein Visum, aber keine Greencard und waren damit sehr eingeschränkt.

„Du denkst. Du denkst schon wieder viel zu viel, Julie. Sollte es nicht um eine Idee für dein zukünftiges Tattoo gehen, lass es gut sein", meldete sich Frances von rechts zu Worte und seufzte.

Mit einem kurzen Blick bog sie um die Kurve und lenkte den Ford auf die Interstate 67. Müde schüttelte ich den Kopf – sie wusste einfach alles. Kaum zu glauben, dass solch ein Wirbelwind aus puren Glücksgefühlen auch eine ernste Seite hatte. Aus dem Nichts schoss eine Hand in mein Sichtfeld und griff neckisch nach einem meiner orangen Locken. Frances' unangenehme Angewohnheit, mich aufmuntern zu wollen, obwohl sie genau wusste, wie sehr mich das nervte. Meine Haarfarbe war dämlich. Mein ganzer Kopf war dämlich. Meine kleine Stupsnase, umrahmt von vielen einzelnen Sommersprossen und verziert von einem Septum zwischen meiner Nasescheidewand, meine grünen Augen, denen ich oft mit einer Nerdbrille nachhelfen musste, wenn meine Kontaktlinsen versagten und zu guter Letzt meine Naturhaarfarbe. Ein unmögliches Gemisch aus blond und orange, genannt honigblond, in der Sonne aber mehr orange als hell. Ginger. Frances war viel hübscher. Das war sie schon immer. Schulterlange, strohblonde Haare, zwei blitzblaue Augen, stets umrahmt von einer dicken Schicht aus Eyeliner und Kayalstift, eine süße Nase und volle Lippen.

„Pfirsich", wiederholte sie ihre Worte von vor einigen Minuten und mein Blick glitt automatisch zum Horizont, welcher sich babyblau mit einzelnen roten Strichen gefärbt hatte.

„Nicht der Himmel, Dummerchen. Und nein, auch nicht deine Haare. Ein Pfirsich. Warum lässt du dir keinen Pfirsich stechen?"

Auf meiner Stirn erschien eine Falte - was für eine Bedeutung sollte denn bitte ein Pfirsich haben? - und ich murmelte: „Ich will eine Gitarre"

Meine Roadtrip-Partnerin zog eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch und deutete nach hinten: „Da hinten. Gibson Les Paul."

Das laute Lachen von mir vermischte sich mit dem Geplärr von Guns N' Roses' – Sweet Child O' Mine. Innerhalb von Sekunden hatte ich alle meine Lieblingssongs im Kopf durchgespielt und suchte nach der Zeile, die mich am meisten ansprach.

„Nein. Ich will ein Tattoo von einer Gitarre. Darunter eine Schriftrolle oder sowas Ähnliches mit ‚It's something unpredictable, but in the end it's right'"

„Klingt...tiefgründig. Ich will einen Pinguin"



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