《26》

60 13 40
                                    


Am nächsten Morgen bereute Avan alles. Um fünf Uhr morgens kam Brigitte in sein Zimmer und scheuchte ihn aus dem Bett. Sie hatte ein paar von Berndts Klamotten für ihn mitgebracht, die er sich überzog. Zu seiner Überraschung passten sie sogar.

Müde tappte er in die Küche, doch Brigitte schüttelte nur den Kopf, als sie ihn sah und scheuchte ihn ins Bad. Widerwillig wusch er sich und versuchte seine Frisur einigermaßen anständig zu richten. Als er zufrieden war kam er wieder nach unten geschlurft, nur um dort direkt von Berndt empfangen zu werden.

„Guten Morgen. Ich hoffe du hast gut geschlafen", begrüßte Berndt ihn und Avan nickte etwas grimmig. Gut, ja aber zu kurz.

Brigitte lachte und drückte Berndt zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Zu zweit verließen sie das Haus. Als die Tür sich schloss, empfing sie die kalte Morgenluft und Avan fühlte sich direkt wacher. Berndt stiefelte los und Avan folgte ihm, wenn auch mit weniger Elan. 

Berndt lief einen komplizierten Weg durch die Stadt, bis die Häuser immer weniger wurden. Der Weg wurde schon bald durch einen kleinen Trampelpfad, der nur aus Schlamm zu bestehen schien, ersetzt. Ihre Stiefel machten ein schmatzendes Geräusch, als sie den Weg entlangliefen. Mit der Zeit wucherten kleine Pflanzen und Büsche an den Seiten empor, bis es immer mehr  wurden. Der Weg wurde breiter und Avan meinte im Boden Schuhabdrücke von anderen Leuten zu erkennen.

Nach einigen Minuten Marsch lichtete sich der Wald und sie kamen auf eine große Lichtung, auf der sich ein paar andere Holzfäller tummelten. In einer Ecke stand ein Karren, neben dem sich die Männer und Söhne aufgestellt hatten. Noch unterhielten sie sich, doch Avan konnte sich schon denken, dass sie bald allesamt bis zur Erschöpfung schuften mussten.

Zusammen mit Berndt liefen sie zu den Männern und stellten sich dazu.

„Guten Morgen, ich habe heute Unterstützung mitgebracht", rief Berndt in die Runde hinein und die Blicke der Männer fielen auf Avan. Dieser versuchte möglichst neutral dreinzuschauen und machte ein gelangweiltes Gesicht.

„Wo hast du den denn aufgegabelt?", fragte ein mittel alter Mann, dessen Haut leicht gebräunt war. Sein Gesicht war mürrisch und wies schon ein paar Falten auf. Er trug ein altes Hemd, das früher mal weiß gewesen sein musste, doch mittlerweile vom Dreck gelblich verfärbt worden war. Seine dunklen Haare gingen ihm bis zu den Schultern und hingen in fettigen Strähnen hinunter.

Hinter ihm stand sein Sohn. Er hatte ein ähnliches Gesicht, sogar den selben Gesichtsausdruck, doch seine Statur war deutlich weniger muskulös, als bei seinem Vater. Als Avan seinen Blick in die Runde schweifen ließ, stellte er überrascht fest, dass die Männer alle ähnlich aussahen. Sie waren allesamt muskulös, ihre Klamotten waren dreckig und heruntergekommen und machten nicht den besten Eindruck. Wahrscheinlich stammten sie aus ärmlicheren Haushalten. Avan war plötzlich froh, dass Berndt neben ihm stand und er nicht als einziger saubere Klamotten trug. Wusste Brigitte davon?

„Das ist Frederick", erklärte Berndt in diesem Moment und zeigte mit dem Kopf auf den Mann, der vorhin gesprochen hatte. Frederick hob zum Gruß seine Hand. „Insgesamt sind wir hier zehn Leute, mit dir jetzt elf. Die Söhne werden erst nach der Heirat dazu gezählt", sagte Berndt in knappen Worten.

Avan nickte. „Ich bin Gerald". Frederick musterte ihn.

„Scheinst ja nicht gerade der gesprächigste zu sein". Er klopfte Avan mit seiner Pranke auf die Schulter. Avan wusste nicht was er sagen sollte, deshalb nickte er einfach. Berndt warf einen prüfenden Blick zum Himmel.

„Es ist schon fast hell, wir können anfangen", warf er ein und unter den Männern hob sich Gemurmel. Avan merkte, dass die Männer keine Lust aufs Arbeiten hatten und musste trotz seiner Bemühungen irgendwie schmunzeln. Berndt holte von dem Karren die Werkzeuge und verteilte sie an die Männer. Auch Avan bekam eine Axt.

„Geh mit Frederick und seinem Sohn, der wird dir zeigen wie es geht, ich komme später nach", befahl Berndt und verteilte dem nächsten seine Axt. Avan nickte und eilte Frederick hinter her.


Nach ein paar Stunden, als Avan unermüdlich gearbeitet hatte legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter und er fuhr erschrocken zusammen. Er wirbelte Kampfbereit herum, doch zu seiner Erleichterung war es nur Frederick.

„Junge, mach mal ne Pause", sagte er zu Avan und dieser nickte. Zusammen mit Frederick ging er zu dem Karren, wo die anderen Männer standen und nahm einen Schluck Wasser aus dem Trinkbeutel. Zum Glück hatte Berndt dran gedacht, dass er heute Gesellschaft hatte und hatte für Avan extra einen zweiten Beutel mitgenommen. Mit der Hand fuhr er sich durch sein verschwitztes Haar. Er hatte gar nicht bemerkt, wie anstrengend es war. Nachdem er sich fünf Minuten Pause gegönnt hatte kehrte er voller Eifer zu seiner Arbeit zurück. Er hob seine Axt und schlug sie in das Holz. Es war anstrengend und kräftezehrend, doch Avan fand die Arbeit beruhigend. So konnte er seine Gefühle hinaus lassen, sich an dem Baum rächen, auch wenn dieser nichts getan hatte.

Er schlug tiefe Kerben in die Rinde und betrachtete sein Werk grimmig. Er versuchte krampfhaft nicht an die eine Sache zu denken, doch er konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken immer zu Ragner zurückkehrten. Es lastete auf ihn wie eine zusätzliche Last. Ja, es war seine Schuld gewesen. Er war nur wegen ihm gestorben. Es war leider eine Tatsache und irgendwie musste er damit klar kommen. Er hatte so viele Menschen auf dem Gewissen. Einer mehr. Aber Ragnar war nicht irgendwer gewesen. Er holte zum nächsten Schlag aus. Er hasste seine ganze Vergangenheit. Am Liebsten hätte er es jemanden erzählt, doch es war zu viel, um es irgendjemanden aufzubürden. Selbst wenn er gewollt hätte, es gab niemanden, dem er sich anvertrauen hätte können. 

Seine Arme brannten und seine Muskeln spannten sich bei jedem neuen Schlag an, doch er genoss das Gefühl. Endlich hatte er die Chance jemanden zu beweisen, dass es ihn gab und dass er keinesfalls so nutzlos wäre. Jemand achtete auf ihn. Er war nicht mehr alleine. Zumindest vorzeitig. Auch, wenn es nur Bäume waren, die ihm zum Opfer fielen. 

Irgendwann fuhr er aus seiner Arbeit hoch und merkte, dass die Sonne am Himmel entlang gewandert war. Es war kälter geworden und die meisten hatten aufgehört zu arbeiten. Erschöpft ließ er seine Axt sinken und entspannte seine Arme, die von der langen Arbeit zitterten. Er spähte zwischen den Bäumen hindurch und sah, dass sich die meisten Männer wieder zusammengefunden hatten. Er packte seine Axt und stapfte zu den Männern zurück. Als er dort ankam, blickten die Männer zu ihm auf und er merkte, dass sie ihn anders ansahen, als zuvor.

„Was ist los?", fragte Avan und sah sich in der Runde um. Berndt nahm ihn die Axt aus der Hand und legte sie auf den Karren zurück.

„Und wie viele Bäume hast du geschafft?", fragte er mit einem hämischen Grinsen im Gesicht. Avan legte den Kopf schief. „Keine Ahung".

„Wie du hast nicht drauf geachtet?", fragte Berndt und zog die Augenbrauen hoch.

„Er hat vier geschafft", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Die Männer drehten sich erstaunt um und rückten zur Seite, um Frederick platz zu machen.

„Er hat vier geschafft?", fragte Berndt überrascht. Frederick nickte und klopfte Avan auf die Schulter.

„Der Bursche hat gute Arbeit geleistet".  Avan sah zu dem Mann und nickte dankbar und bemerkte dabei, wie viele der Männer ihn mit bemerkenswerten Blicken musterten.

Ancore of BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt