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Nach einem halben Tag Kutschfahrt erreichten sie allmählich die Grenze des Feuerreichs. Die Häuser wurden immer weniger und wichen großen Feldern und leeren Flächen. Die Landschaft wurde immer karger, weniger besiedelt und die Kutsche hatte Mühe sich einen Weg durch die holprigen Wege zu bahnen. Immer öfters blieben sie stecken und der Kutscher mühte sich ab sie wieder auf Vordermann zu bringen. Die Wiesen, durch die sie Anfangs gekommen waren wichen einer kargen Felslandschaft und nur vereinzelt sah man den ein oder anderen kränklichen Baum. Avan kniff die Augen zusammen, um weiter in die Ferne blicken zu können.

„Dort hinten ist das Kriegsgebiet", murmelte Lian und anhand seiner bedrückten Stimme, wusste Avan, dass er auf ein sensibles Thema stieß.

„Warst du dort schon einmal?"

„Ich war der Offizier der Wasserlegion."

„Warum führen die Länder Krieg?",

Lian zuckte mit den Schultern. „Wir wissen es nicht." Avan seufzte und ließ sich an die bequeme Rückenlehne sinken.

„Wo sollen wir eigentlich die Pferde herbekommen?", fiel ihm plötzlich auf.

Lian blickte zu ihm auf. „Hier draußen ist nichts. Sind wir nicht zu weit gefahren?" Beide wandten sich zu Sahid, der mit verschränkten Beinen dasaß. „Keine Sorge. Der Kutscher bringt uns zu dem letzten Haus hier draußen. Dort gibt es auch Pferde, die wir uns leihen können." „Wer baut ein Haus, hier mitten im nichts?", fragte Lian und anhand seiner Stimme konnte Avan seine Ungläubigkeit hören.

Sahid schüttelte ahnungslos den Kopf. Wahrscheinlich für Reisende, genau wie wir es sind." Lian wandte sich ungläubig ab und sein Blick huschte wieder zu Fenja, die noch immer kein Lebenszeichen von sich zeigte. „Immer noch nicht?",

Lian schüttelte besorgt den Kopf. „Wie lange kann ein Mensch bewusstlos sein bevor er stirbt?"

„Was ist in dem Kerker geschehen, dass sie bewusstlos geworden ist?", antwortete Sahid stattdessen mit einer Gegenfrage.

Avans Gesicht verdüsterte sich und er spürte die Blicke der beiden anderen auf sich. „Sie war mehrmals beim Kaiser. Er hat sie berührt und dann ist sie umgefallen". Lian sah ihn verwirrt an, doch Sahid nickte. „Ja, das macht Sinn. Der König besitzt eine starke Gabe, es kann sein, dass ihr Körper einfach nur geschwächt davon ist und eine Weile braucht, um wieder zu genesen." Avan zog die Augenbrauen hoch. „Das hat aber nicht danach ausgesehen. Er hat irgendetwas mit ihr gemacht." Sahid sah zu ihm und in seinen Augen blitze etwas auf, doch er erwiderte nichts. Irgendwie wurde Avan die Vorahnung nicht los, dass Sahid mehr wusste, als er preisgab.

In diesem Moment machte die Kutsche einen Satz nach vorne und Avan musste sich an der Türklinge festhalten, damit er nicht vorne überkippte. Verärgert erhob sich Sahid, der anscheinend keinen Schaden genommen hatte und riss die Seitentür auf.

Man hörte ihn eine Weile mit dem Kutscher diskutieren bevor er wütend zurück kam. „Na los, packt eure Sachen. Wir sind da!", schnauzte er und marschierte vor der Kutsche umher. Avan wechselte einen Blick mit Lian, doch schnell beeilten sie sich aus der Kutsche zu kommen. Als Avan die Wärme der Kutsche verließ, schlug ihm eine Woge aus kalter Luft entgegen. Neugierig blickte er sich um und musste sich beherrschen, damit man ihm sein Erstaunen nicht ansah.

Um sie herum war nichts.

Nichts war nicht der richtige Ausdruck. Sie befanden sich in einer endlosen Steppe. Die Landschaft lief geradeaus und erstreckte sich über mehrere hundert Kilometer weiter nach vorne. In der Ferne konnte Avan gewaltige Berge erkennen und der Boden war über und über mit kleinen Flechten und anderen kleinen Gestrüpp bewachsen. Lian, der mit Fenja auf den Armen hinter ihm aus der Kutsche geklettert kam, pfiff staunend durch die Zähne. „Na, wenn das mal kein beeindruckender Anblick ist", meinte er und lief an Avan vorbei zu Sahid.

„Wohin müssen wir?" Er hörte die beiden miteinander reden, doch Avan war noch zu sehr erdrückt. Die gewaltige Landschaft war einfach atemberaubend und plötzlich fühlte sich Avan so unbedeutend klein.

Vorsichtig hockte er sich auf die Knie und strich mit der Hand über den Boden. Er blickte ungläubig auf und ließ seinen Blick in der endlosen Ferne verweilen. Noch nie hatte er etwas anderes gesehen, als die endlosen Häuser und Straßen. Ein einziges Mal hatte er einen Ausflug des Waisenheimes mitmachen dürfen. Sie sollten reiten lernen, doch Avan war nur ein einziges Mal mitgekommen. Und das war auch eins der wenigen Momente, wo er nicht in der Stadt gewesen war. Doch dies war etwas ganz anderes. Dass es solch großes, atemberaubendes gab hätte er sich nicht mal zu träumen gewagt. Schnell riss er sich aus seinen Gedanken und erhob sich. Er wollte nicht, dass die anderen ihn so verletzlich sahen. Schnell drückte er den Rücken durch und blickte der Kutsche hinterher, die mit rumpelnden Rädern in die Gegengesetze Richtung fuhr. Die großen, holzigen Räder waren das einzige was zu hören war.

Schwere Fußstapfen näherten sich ihm. Er spürte eine große Hand auf seiner Schulter. „Na los gehen wir. Wenn wir noch vor Anbruch der Dunkelheit ankommen wollen müssen wir zusehen, dass wir schnell vorankommen."

Avan blickte zu Sahid und nickte. „Okay, gehen wir."

Zu dritt bahnten sie sich einen Weg durch die flach bewachsene Landschaft. Kaum war die Kutsche hinter dem Horizont verschwunden wurde es still und ihre Schritte war das einzige was zu hören war. Keiner von ihnen sagte etwas.

Lian, mit Fenja auf den Armen schritt voraus, seine Miene war Ernst. Sahid folgte ihm und blickte immer wieder Norden, um das gewünschte Ziel nicht zu verpassen. Hinter Sahid lief Avan. Er war noch immer erdrückt von dem gewaltigen Naturschauspiel um sie herum. Sein sonst so ernstes Gesicht hatte sich verändert. Auch, wenn die Stimmung gedrückt war, war Avan noch immer fassungslos. Er konnte es schwer glauben, dass er sein ganzes Leben in dieser Stadt eingesperrt gewesen war. Etwas in ihm hatte sich von ihm gelöst plötzlich war es so, als könne er endlich wieder frei einatmen.

Verschwunden waren die lauten Geräusche der Stadt, der ständige Geruch nach Schweiß und Urin. Stattdessen war weit und breit nichts und Avan fühlte sich so frei, wie schon lange nicht mehr. Er hatte gedacht die Dächer wären alles gewesen was er liebte, doch diese Art von Freiheit war etwas viel bedeutsameres. Fast hätte er gelacht und aufgeschrien, doch er behielt seine Gedanken für sich. Er wollte sich nicht mit den anderen auseinander setzen. Seine Füße schmerzten von dem langen Marsch, doch keiner der Männer protestierte. Sie alle wussten, das die anderen nichts daran ändern könnten. Avan ließ seine Blicke wieder und wieder über die Landschaft gleiten und fast hätte er gelächelt. Doch im selben Moment verstarb seine gute Laune. Wann hatte er zuletzt gelächelt? Wann war er fröhlich gewesen? War dies überhaupt schon mal in seinem Leben passiert? Er wünschte sich sehnlichst Ragnar wäre bei ihm. Wahrscheinlich hätte sein Freund die Landschaft genauso genossen wie er. Sie beide hatten nichts anderes gekannt außer die Stadt, die schlechte Seite des Lebens und Überlebens. Sein Blick schweifte über das leichte Gestrüpp, dass sich an der kargen Landschaft angesiedelt hatte. Plötzlich verharrte sein Blick auf einem kleinen Punkt in der Ferne. Er ließ seinen Blick schon weiter fahren, doch dann fiel ihm erst auf was er gesehen hatte und sein Blick huschte zurück. In der Ferne, kaum größer als sein Daumen haftete ein schwarzer Fleck in der kargen Landschaft. Er kniff die Augen leichter zusammen, um es besser erkennen zu können. Tatsächlich wurde das, was sich als dunkler Fleck kennzeichnete, beim näherkommen zu einer Hütte. Avan klopfte Sahid, der vor ihm ging auf die Schulter und deutete in die Ferne zu der Hütte.

„Ich glaube wir haben unser Ziel erreicht."

Ancore of BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt