Engel

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„Es tut mir sehr leid", sagte sie aufrichtig und ihre Stimme war brüchig.

Daraufhin legte er die Stirn in Falten und sah sie verwirrt an, so als versuchte er ihre Gedanken zu lesen.

„Weshalb entschuldigst du dich?", fragte er.

„Egal welchen Fehler du auch gemacht hast, eine solche Strafe hast du nicht verdient. Kein Fehler rechtfertigt das... Und irgendjemand sollte sich hierfür entschuldigen. Das ist das mindeste, das du verdient hast", antwortete Sienna und sah ihn dabei eingehend an.

„Du weißt nicht, was ich getan habe", gab er daraufhin zurück.

„Das ist egal. Was du erlitten haben musst... ich kann es mir nicht ansatzweise vorstellen. Ich weiß nur, dass es die Hölle gewesen sein muss. Und das hast du nicht verdient."

Der Mann sah sie lange an, sein Blick schien ihre Haut zu durchdringen und ihr wurde regelrecht warm, während er sie so ansah. Dann spürte sie, wie seine Hand, die sie nach wie vor umfasst hielt, kurz zuckte.

„Du bist das erste Wesen seit Jahrtausenden, das auf diese Weise mit mir spricht", sagte er dann und der Blick, mit dem er sie musterte, wurde sogar noch intensiver.

Sienna war sich sicher, dass er dem noch etwas hinzufügen wollte, doch wider Erwarten sprach er nicht weiter. Seine Augen ruhten jedoch weiterhin mit dieser unglaublichen Intensität auf ihr. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, deshalb schwieg sie ebenfalls und lächelte lediglich.

Dann blickte sie auf die Teller, die immer noch unberührt am Tisch standen. Hierbei kam ihr eine Frage in den Sinn.

„Essen Engel überhaupt?"

„Nein", antwortwortete der Mann und seine Lippen verzogen sich kaum merklich zu einem Lächeln.

Sienna nickte, ließ sich davon jedoch nicht entmutigen. Sie aß dennoch und als sie fertig war, trug sie beide Teller zurück in die Küche. Anschließend begab sie sich wieder zurück zu dem Engel und setzte sich neben ihn auf das Sofa, wo sie noch ein wenig Platz fand. Er schien ihre Gedanken in diesem Moment lesen zu können, während sie ihn so erwartungsvoll ansah und forderte sie auf, ihm ihre Fragen zu stellen.

Von diesem Moment an feuerte sie mit einer Frage nach der anderen auf ihn. Er bewies dabei eine wahre Engelsgeduld und beantwortete jede einzelne, bis sie zufrieden war. So erfuhr sie sehr vieles über die Engel, so auch, dass sie weder essen, trinken, noch schlafen mussten. Sie besaßen große Kräfte, konnten sich und andere heilen, waren der Telekinese mächtig und waren auch in der Lage sich zu Teleportieren, zumindest war letzteres bis zum ihrem Fall so gewesen, nun konnten sie es nicht mehr. Der Mann gab ihr nur ein kleiner Auszug der Fähigkeiten, die Engel besaßen, denn vermutlich war die Liste nahezu endlos.

Richtig interessant wurde es dann bei ihrer wahren Gestalt. Der Mann erklärte ihr, dass Engel in die Körper von Menschen fahren mussten, um sich auf der Erde bewegen zu können. Der Engel, der nun in ihrer Wohnung war, steckte im Körper eines Mannes, der in einer nahegelegenen Bar arbeitete und sehr gottesfürchtig war. Nicht jeder war jedoch dazu geschaffen, eine Hülle für einen Engel zu sein. Außerdem konnten Engel nicht ohne die Erlaubnis des Menschen in ihn fahren, wie es beispielsweise Dämonen tun konnten. An diesem Punkt schluckte Sienna und ihre Augen weiteten sich.

Der Engel klärte sie über all das auf, was so auf der Erde wandelte. Dämonen waren nur eine Spezies der Finsternis, die die Hölle ausgespuckt hatte. Es gab auch jegliche Art von Monster, von der Sienna je gehört hatte. Sie brauchte einen Moment, um all diese Informationen verarbeiten zu können. Als der Mann diese Reaktion bemerkte, stockte er mitten im Satz und richtete sich auf, er setzte sich neben sie und nahm dann ihre Hand sanft in seine. Ohne Zweifel hatte er sich diese Geste von ihr abgeschaut, doch Sienna war dankbar dafür. Sie sah ihn an und lächelte etwas hilflos, bevor sie ihren Blick wieder senkte.

„Du steckst also im Körper von jemandem", stellte Sienna dann fest und sah ihn fragend an, „wie ist das? Ist derjenige... anwesend? Bekommt er alles mit, oder schläft sein Verstand?"

„Er weiß, dass ich hier bin, denn ohne seine Erlaubnis hätte ich gar nicht von ihm Besitz ergreifen können. Aber nein, er ist nicht anwesend. Ich kann es kontrollieren, beispielsweise könnte ich ihm das Steuer übergeben, sodass er wieder er ist und ich wäre ein stiller Mitbewohner in seinem Körper", antwortete der Mann.

Sienna nickte. Dann, als sie erneut etwas sagen wollte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich. Er sah direkt durch sie hindurch in die Leere. Sienna drehte sich zuerst um, aus Angst, dass ein anderer Engel, der Jagd auf ihn machte, hinter ihr aufgetaucht war. Doch da war nichts. Und sie war sich nicht sicher, ob das eine bessere oder schlechtere Alternative zu dem war, was wirklich gerade vor sich ging. Dieser Ausdruck verweilte etwa eine Minute lang in seinem Gesicht. Dann blickte er zur Seite.

„Was ist passiert?", fragte Sienna unsicher.

Verliebt in einen EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt