Verschwinden

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„Ich muss los", antwortete der Mann und seine Stimme klang nun wieder völlig sachlich.

„Was? Aber warum?"

Inzwischen war er aufgestanden, auch wenn er etwas das Gesicht verzogen hatte. Er begab sich bereits in Richtung der Haustür, doch Sienna erhob sich ebenfalls und stellte sich ihm in den Weg.

„Es würde zu lange dauern, dir das zu erklären. Ich habe vielleicht einen Weg gefunden, wie ich mich besser schützen kann", sagte er dann.

„Aber du bist in keiner guten Verfassung. Was auch immer du vorhast, dein Zustand wird dir dabei sicher nicht behilflich sein", meinte Sienna dann.

„Möglicherweise. Doch ich muss es versuchen. Ich kann diese Gelegenheit nicht einfach ungenützt verstreichen lassen."

„Aber..."

„Sienna", unterbrach der Engel sie sanft.

Er sah sie eindringlich an und seine Augen wanderten zwischen ihren hin und her. Dann legte er plötzlich den Kopf schief, sein Blick wurde noch intensiver. Er trat noch einen Schritt näher, hob die Hand und legte sie ihr zögerlich auf die Wange. Seine Bewegungen und der Ausdruck in seinen Augen wirkten, als täte er es zum ersten Mal. Seine Hand auf ihrer Wange fühlte sich warm an.

„Ich bin dir sehr dankbar, für alles, was du für mich getan hast. Aber ich muss gehen. Und wenn du erlaubst, dann... werde ich irgendwann zurückkommen", sagte der Mann und seine Stimme war weich.

Sienna sah ihn an und war sich ihres klopfenden Herzens aufgrund seiner Nähe sehr wohl bewusst. Sie hob ihre Hand und legte sie auf seine, hielt sie an ihrer Wange fest, als könnte sie so verhindern, dass er ging. Es führte allerdings kein Weg daran vorbei, das war ihr klar. Also nickte sie lediglich, unfähig irgendetwas zu sagen.

Der Engel sah sie weiterhin an. Sein Blick wanderte über ihr gesamtes Gesicht und er blieb für einen Moment an ihren Lippen haften. Sienna beobachtete ihn genau, achtete auf jedes noch so kleine Detail. Als er schluckte, hüpfte sein Adamsapfel. Dann ließ er seine Hand sinken. Sienna jedoch wollte sich von ihm verabschieden. Sie trat noch einen Schritt näher, sodass ihr Körper den seinen streifte, legte ihre Hände auf seine Brust und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie bemerkte die Anspannung des Mannes, als ihre Lippen auf seine Haut trafen. Trotzdem verweilte sie für einen kurzen Moment.

Gerade als sich ihre Lippen von seiner mit kurzen Bartstoppeln übersäten Wange lösten und sich von seinem Gesicht entfernten, zuckten die Sehnen am Kiefer des Mannes. Als sich Sienna zurückzog und sich wieder normal hinstellte, folgte der Engel ihrer Bewegung und schließlich drückte er seinen Mund sanft auf ihren. Seine Lippen lagen für einen Moment auf ihren und Sienna wagte kaum, zu atmen oder sich gar zu bewegen. Stattdessen stand sie wie erstarrt da und hoffte, dass dieser Moment nicht enden würde.

Doch natürlich endete er. Als sich die Lippen des Engels von ihren lösten, öffnete Sienna die Augen und sah ihn beinahe schon verzweifelt an. Er erwiderte ihren Blick und erneut schluckte er.

„Ich komme wieder", sagte er dann mit rauer Stimme.

„Okay", antwortete Sienna tonlos.

Der Engel nickte, dann ging er an Sienna vorbei und zur Tür hinaus. Sie selbst blieb an Ort und Stelle stehen wie zur Salzsäule erstarrt und versuchte das zu verarbeiten, was gerade passiert. Nicht nur, dass Engel tatsächlich existierten, sie war auch gerade von einem geküsst worden. Wie von selbst bewegte sich ihre Hand zu ihrem Gesicht, bis ihre Fingerspitzen ihren Mund berührten, wo kurz zuvor noch die Lippen des Engels gelegen hatten.

Verliebt in einen EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt