Kapitel 25 ~ Fühle mich deshalb beschissen

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~ Katherine Jackson ~

Ich war immer der Überzeugung, dass es nicht so sehr darum geht zu lernen, dass das Leben Scheiße ist. Es geht eher darum zu lernen, dass das Leben weh tun kann. Verstehst du, was ich meine? 

Heute war so ein Tag, wo man sich einfach beschissen fühlt. Einfach grundlos. Alles was in den letzten Tagen, Wochen geschehen ist, prasselte plötzlich auf einen ein. Wie große Hagelkörner, welche sich bei jedem Aufschlag auf deinem Körper in die Haut bohrten. Wenn man seelischen Schmerz sehen könnte, wäre ich geziert mit tausenden Schnitten und Hämatomen. Von dem Hagel meiner Gefühle.
Ich habe die letzte Nacht höchstes eine Stunde geschlafen. Den Rest der Zeit lag ich meist regungslos in meinem Bett und starrte die Decke an. Dementsprechend müde war ich auch. Obwohl ich mir nicht sicher sein konnte, ob ich müde vom Schlafentzug war, oder Müde vom Leben. Nichts konnte mich heute begeistern und nichts konnte mir heute eine Freude bereiten. Ich fühle mich, als wäre ich nur ein Beobachter. Ein Beobachter meines Lebens. Man kann es sich so vorstellen, als wäre man in seinem eigenen Körper versunken. Ein kleines Wesen, welches tief in einem hockte, so tief vergraben in seinem eigenen Körper,  dass es kaum eine Chance hatte etwas mitzubekommen was außerhalb vom ihm geschah.

Heute war ich in der Stadt gewesen. Eigentlich um mich abzulenken. Doch ich nahm kaum etwas wahr. Ich sah die Menschenmassen, welche sich um mich herum befanden, aber nahm sie nicht richtig wahr. Ich fühlte mich eingeengt, auch wenn nur eine einzelne Person neben mir stand. Ich konnte es grade einfach nicht ertragen glückliche Menschen zu sehen, Menschen die lachten, wenn es mir selbst so beschissen ging. Ich erkannte mich selbst nicht in den Schaufensterscheiben. Ich sah hinein und dachte, dass eine andere Frau mein Spiegelbild trägt. Ich fühlte mich plötzlich in meinem eigenen Körper, in meinen eigenen Klamotten fremd. Wenn nicht sogar unwohl. Ich schaute an mir herab und fand tausend von Gründe, welche mir sagten 'Du bist hässlich'. Mir gefiel nichts an mir. Nichtmal meine Augen, die ich sonst so liebte.

Schneller als gedacht, fand ich mich in meinen vier Wänden wieder. Es war grade mal 16 Uhr, aber ich fühlte mich, als wären schon mehrere Wochen an mir vorbeigezogen. Ein großes Loch klaffte in meinem Herzen und wahrscheinlich auch in meiner Seele. Dieses Loch sog alles ein. Alles, was mir früher eine Freude bereitet hatte. Sogar die Arbeit konnte mich nicht mehr ablenken. Ich fühle mich einsam. Und all das wegen einer einzigen Frau. Ich fragte mich, wann ich angefangen hatte Regina zu lieben. Ich musste mir eingestehen, dass all die Streitereien, welche ich mit Regina die letzten Jahre geführt habe, nur dazu da waren, um ihr nah zu sein. Ich hatte mir immer einen banalen Grund einfallen lassen, um sie für irgendetwas anzuschnauzen. Wenn ich jetzt drüber nachdenke, war das ganz schön lächerlich. Warum hatte ich gedacht, dass Streitereien der richtige Weg ist, um jemanden nah zu sein. Oder eher gesagt der richtige Weg ist, um mit Regina Zeit zu verbringen.   Warum hatte ich nicht früher bemerkt, was ich für sie empfand? Oder eher gesagt, was für Gefühle sich langsam aber sicher in mein Bewusstsein schlichen. Ich glaube nicht daran, dass all das erst durch die Seminarwoche entstanden ist. Ich glaube nur daran, dass die Entscheidung, Regina mit auf das Seminar zunehmen, eine Entscheidung war, die ich getroffen hatte, um herauszufinden was Regina für mich war.

Auch die Scheidungspapiere hatte ich immer noch nicht verschickt. Ich schaffte es irgendwie einfach nicht. Irgendetwas hindert mich daran. Ich wünsche mir mein normales und auch heiles Leben zurück, welches vor wenigen Wochen noch existierte. Vielleicht war dies auch der Grund dafür, dass die Scheidungspapiere immer noch auf meinem Küchentisch lagen. Obwohl ich nie ganz glücklich mit Sebastian war und es auch nie sein werde, vermisste ich ihn sehr. Er war mein wie mein Boot, welches mich vor dem Ertrinken schützte. Nun war das Boot weg, und ich fand mich alleine im offenen Meer wieder. Ich drohte langsam zu ertrinken, weil mir die Kraft fehlt über Wasser zu bleiben.

Nun saß ich in meiner Küche und stocherte in meinem Salat herum. Gegessen hatte ich die letzten Tage auch kaum. Ich hatte einfach keinen Hunger.
Plötzlich schlug ich mit der flachen Hand auf den Tisch. Mich durchzog ein pochender Schmerz. Im gleichen Atemzug schrie ich „So kann es nicht weiter gehen!".
Entschlossen ließ ich den Salat stehen und verschwand in meinem Schlafzimmer, nur um kurze Zeit später mit einer Reisetasche wieder herauszukommen. Im selben Moment wählte ich die Nummer von Sebastian. Es tutete einmal, zweimal und einige weitere Male, bis die Mailbox anging. Nach dem Piepen hinterließ ich Sebastian eine Nachricht.
„Hi Sebastian, ich bin's. Schade, dass ich dich nicht persönlich erreichen konnte. Ich werde für ein paar Tage zu meinen Eltern fahren. Die Scheidungspapiere liegen auf dem Küchentisch. Meine habe ich bereits unterschrieben. Du kannst es mir gleich tun, oder es lassen. Aber bitte schau einmal im Haus vorbei. Auf dem Tisch wirst du noch einen weiteren Brief finden. Ich bitte dich darum ihn zu lesen. Vielleicht hilft es dir mich zu verstehen."

Bei den Gedanken an meine Eltern wurde mir schlecht. Naja, eher an den Gedanken an meine Mutter. Mein Vater stand immer auf meiner Seite und hatte mich immer unterstützt. Jedoch war er leider zu schwach sich gegen meine Mutter aufzulehnen. Immer wenn er bei mir war fühlte sich das Leben ein bisschen besser an. Doch da er früher viel auf Geschäftsreise war, war ich die meiste Zeit meiner Mutter ausgeliefert.
Ich bekam Panik bei dem Gedanken, was meine Mutter nur dazu sagen wird, dass ich mich von Sebastian geschieden habe. Ich werde es ihr erstmal nicht sagen. Diese Auseinandersetzung sparre ich mir für später auf.

Jetzt saß ich wieder am Küchentisch. Diesmal schrieb ich jedoch den Brief für Sebastian. Ich versuchte mich in diesem zu erklären. Ich versuchte all das zu sagen, was ich schon vor Jahren hätte tun sollen. Ich legte so viel Gefühl in den Brief, dass ich ab der Hälfte anfing zu weinen. Unter Tränen schrieb ich Zeile für Zeile.
„Es tut mir alles so leid!", schrie ich, als ich auch die letzten Worte auf Papier gebracht hatte.

The Anderson Story (gxg) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt