𝐸𝑙𝑒𝑎
Ich zwängte mich durch eine Menschentraube, die sich unpraktischerweise mitten auf meinem Weg gebildet hatte. Es war eine wahre Ansammlung älterer Leute, vereinzelt auch Jüngere, die sich alle vor Frau Masiks Laden drängten. Aufgeregtes Getratsche übertönte jedes andere Geräusch. Satzfetzen, die ich vereinzelt aufschnappte, verrieten mir, dass heute scheinbar eine neue, spezielle Teesorte in ihr Sortiment aufgenommen wurde. Wie ich eher unfreiwillig mitbekam, wurde sie vom südlichen Kontinent aus importiert, dem Reich Selatan. Das war ziemlich weit weg, was wohl den Tee so besonders machte, dass dutzende Menschen darum Schlange standen. Sehr zu meinem Ärgernis, da sie den Durchgang zur Gasse blockierten, die zum Hafen führte. Meine Mutter, die gerade beim Bäcker Baro einkaufte, hatte mich dorthin geschickt, um meinem Vater und Kei zu helfen. Um die Mittagszeit lagerten sie stets ihren bisherigen Fang ein, damit er länger frisch blieb, bevor sie sich nach einer kurzen Pause wieder in die Fluten wagten. Und da Ru, wen überraschte es, nicht auffindbar war, musste mal wieder ich einspringen. Wenn ich ihn nicht so gerne hätte, hätte ich meinen ältesten Bruder schon längst den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Oder ihn den weithin verrufenen Meermenschen ausgeliefert, die angeblich Kinder, die sich zu weit ins Wasser gewagt hatten, ertränkten. Mit seiner Geisteshaltung konnte man Ru locker als Kind ausgeben.
Nachdem ich endlich durch die eher langsam ausweichende Menge gekommen war, atmete ich tief durch. Meine eher unterdurchschnittliche Geduld war bereits überstrapaziert, weshalb ich beinahe durch die Gasse rannte, um schnell am Hafen zu sein. Dabei übersah ich leider einen Eimer Wasser, der am Wegesrand abgestellt war. Ich stolperte darüber, was den Eimer natürlich umwarf. Mit einem metallenen Klirren schlitterte er über die Pflastersteine. Damit war das Chaos aber noch nicht komplett, nein. Der Inhalt musste sich auch über eine friedlich vor sich hindösende Katze ergießen, die daraufhin fauchend und mit gesträubtem Fell aufsprang und pfeilschnell wegrannte. Hastig bückte ich mich und stellte den Eimer wieder an seinen ursprünglichen Platz. Dann machte ich mich eilig daran, weiterzugehen.
Missmutig steckte ich meine Hände in die Hosentaschen. Heute schien nicht mein Tag zu sein. Wie so oft. Immer lief irgendetwas schief. Manchmal war es, als könnte ich nichts richtig machen. Öfter als ich wollte, fühlte ich mich wie die Enttäuschung, die meine Mutter insgeheim in mir sah. Ich wollte weder einen Ehemann finden, was meiner Mutter definitiv das Liebste wäre, noch war ich in irgendeinem Beruf gut. Natürlich gab es ein paar Dinge, die ich ganz gut händeln konnte. Wie Fischfang, was wohl aufgrund meines Vaters wenig überraschend war. Doch ich wollte nicht irgendetwas machen, in dem ich bloß mittelmäßig und noch dazu nicht glücklich war. Auch wenn es vermutlich völlig bescheuert klang, wünschte ich mir manchmal, dass irgendwo da draußen eine Bestimmung auf mich wartete. Ein großes Schicksal. Und seit der seltsamen Begegnung mit der Paigha wagte ich Dummkopf tatsächlich, einen Schimmer Hoffnung zu haben. Die Hoffnung, dass mich irgendetwas aus dieser Stadt holen würde und mit auf ein Abenteuer nahm. Wie in den Büchern, die ich las, wenn mir die Realität zu viel wurde. Aufgrund dieser „albernen Träumereien", wie meine Mutter zu sagen pflegte, durfte ich nur selten lesen. Laut ihr brachten mich Bücher nur auf dumme Gedanken. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht sollte ich meine Träumereien aufgeben und endlich erwachsen werden. Entmutigt ließ ich die Schultern hängen. Ich konnte nicht ewig auf etwas warten, das wahrscheinlich nie kommen würde. So sehr ich auch wollte.
Plötzlich prallte ich unsanft gegen jemanden. Ich wurde zurückgestoßen und strauchelte kurz. „Pass auf wo du hingehst, Kleine!", wies mich eine tiefe, raue Stimme schroff zurecht. Normalerweise hätte ich aufgesehen und mich wenigstens entschuldigt, aber heute hätte die Meeresgöttin persönlich auftauchen können und ich hätte mit keiner Wimper gezuckt. Deshalb brummte ich nur ein knappes „Jaja", ohne mich auch nur umzudrehen. Prompt packte mich jemand grob am Handgelenk und riss mich hart zurück. Schon zum dritten Mal an diesem Tag geriet ich ins Stolpern. Die Hand, die mich erst in diese missliche Lage gebracht hatte, bewahrte mich vor einem Sturz.
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Storm in the Deep
FantasyZwei Mädchen, die sich in ihrem Leben eingesperrt fühlen. Ein Sturm, der in den Tiefen lauert. Elea war aufgrund ihrer wilden, impulsiven Art schon immer eine Außenseiterin. Das Leben in der kleinen Hafenstadt Koula könnte für sie nicht langweiliger...