𝐸𝑙𝑒𝑎
Nach ein paar Minuten, in denen Artemia weiterhin die Holzbretter des Decks mit ihrem Fuß traktierte und ein paar mehr oder weniger gewalttätige Wege beschrieb, die Nachzügler an Deck zu holen, öffnete sich die Luke im Boden erneut. Zuerst erhob sich eine kurvige, breit gebaute, dunkelhäutige Frau daraus. Ihre langen schwarzen Haare waren noch stärker gekräuselt als jene von Artemia. Sie redete gerade auf jemanden hinter ihr ein. Dabei erschien der Ausdruck in ihrem Gesicht selbstsicher, ja beinahe erhaben.
„Yngwar, wann wirst du lernen, dass man mit roher Gewalt keinen Krieg gewinnt? Nur Idioten ohne einen Hauch von Ahnung über jegliches strategisches Basiswissen konzentrieren all ihre Energie auf die Front und vernachlässigen ihre Verteidigung komplett!", belehrte sie besagten Hünen, mit dem ich gerade erst vor ein paar Stunden ein eher ruppiges erstes Zusammentreffen gehabt hatte. Sie begann ein paar bessere Strategien zu erklären, von denen ich ungefähr so viel verstand, wie ein Fisch vom Gehen versteht. Dabei funkelten ihre dunklen Augen förmlich vor Leidenschaft. Sie brannte wohl sehr für dieses Thema.
Da erhob sich auch schon Yngwar aus der Luke. Er schaute eher brummig drein, mit einer Spur von Verdrossenheit darin. Wobei ich mir noch nicht sicher war, ob der brummige Gesichtsausdruck dem belehrenden Vortrag der Frau geschuldet war, oder ob das einfach sein üblicher Gesichtsausdruck war. Ich würde es wohl bald erfahren. Hinter ihm erschien ein schlanker, hochgewachsener Mann, dessen Haut noch dunkler als jene der mir noch unbekannten Frau war. Seine Haare waren so kurz geschoren, dass ihre krause Struktur fast nicht bemerkbar war. Mit seinen beinahe schwarz erscheinenden Augen schenkte er Yngwar einen liebevollen Blick. Sanft legte er ihm eine Hand auf die Schulter.
„Ich finde wir haben uns gut geschlagen, Schatz. Aber gegen eine begnadete Strategin und einen ehemaligen Soldaten haben wir einfach keine Chance.", redete er Yngwar gut zu. Dieser gab nur ein zustimmendes Brummen von sich. Er wirkte immer noch nicht sonderlich glücklich über die Niederlage. Schatz... Ich erinnerte mich an die Unterhaltung von Yngwar und Artemia, in der er erklärt hatte, dass nur sein Mann ihn so nennen durfte. Das war also sein Mann. Gerade legte er einen Arm um Yngwar. Das schien ihn mehr aufzuheitern als die vorangegangenen Worte, denn ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Und obwohl er immer noch so aussah, als könnte er jemanden wie mich mit einer Hand leicht einige Meter weit schleudern, wirkte er in diesem Moment ganz lieb und harmlos.
Die nächste Person kam an Bord. Im Gegensatz zu den anderen schien er sich beim Hochklettern schwerer zu tun. Als er schließlich auch den Klettergang überwunden hatte, dauerte es nicht lange, bis ich sehen konnte warum. Ich musste nur ein paar seiner Schritte beobachten, um festzustellen, dass er hinkte. Er belastete seinen rechten Fuß weniger. Nachdem ich meine Aufmerksamkeit von seinem Gang weglenkte, musterte ich seine ganze Erscheinung eingehender. Seine Arme waren von unzähligen Narben gezeichnet. Yngwar's Mann hatte vorhin etwas von einem ehemaligen Soldaten gesagt... Es war nicht schwer zu erraten, dass damit dieser Mann gemeint sein musste.
Nicht nur seine Arme waren narbenübersät. Auch sein Gesicht war gezeichnet. Am auffälligsten war eine dicke, lange Narbe, die senkrecht über sein Gesicht und durch das linke Auge zog. Dieses Auge war von einem milchigen Schleier getrübt, während sein rechtes Auge ein klares, helles Blau aufwies. Seine kurzen Haare waren großteils dunkelgrau, aber wie der Rest seines Körpers waren auch diese nicht ungezeichnet. Feine, hellgraue Strähnen schienen hier und da hervor. Obwohl er noch keinen alten Eindruck machte, schien sein Körper frühzeitig gealtert zu sein. Nicht verwunderlich bei einem ehemaligen Soldaten, der von Kämpfen so offensichtlich gezeichnet war.
Bevor ich mehr Details aufnehmen konnte, räusperte sich Artemia. Die Nachzügler wurden aus ihrem Gespräch gerissen und richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihre Kapitänin. Und damit auch auf mich, schließlich stand ich direkt neben ihr. Die stämmige Frau und der ehemalige Soldat musterten mich eingehend, während Yngwars Mann mir ein freundliches Lächeln schenkte. Unter den prüfenden Blicken richtete ich mich unwillkürlich etwas gerader auf.
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Storm in the Deep
FantasyZwei Mädchen, die sich in ihrem Leben eingesperrt fühlen. Ein Sturm, der in den Tiefen lauert. Elea war aufgrund ihrer wilden, impulsiven Art schon immer eine Außenseiterin. Das Leben in der kleinen Hafenstadt Koula könnte für sie nicht langweiliger...