𝐸𝑙𝑒𝑎
Ich starrte Artemia fassungslos an. Ganz sicher hatte ich mich verhört. Oder sie machte Witze. Artemia schien mir der Typ Mensch zu sein, der gerne Witze machte. Das musste es sein. Ja, es gab keine andere Möglichkeit. Immerhin gab es keinen Grund, warum diese unbeschreibliche Piratenkapitänin ausgerechnet mich, ein jämmerliches Nervenbündel, mitnehmen sollte. Ich suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen, dass sie mich hineinlegte. Doch da war nichts außer etwas, dass doch tatsächlich wie Vorfreude aussah. Artemia freute sich darauf, dass ich sie begleiten würde? Vielleicht träumte ich gerade. Ja, das musste es sein. Wahrscheinlich wachte ich gleich in meinem Bett auf.
Doch nichts dergleichen geschah. Artemia betrachtete mich zusehends besorgt. „Geht es dir gut?" „Jaja, alles bestens! Ich muss nur, äh. Ich muss...", stammelte ich, unfähig einen sinnvollen Satz zu bilden. Es war real. Noch heute Abend würde ich Koula verlassen. „Ich muss noch ein paar Dinge erledigen!", beendete ich schließlich den vorhin begonnen Satz. „Natürlich. Ich erwarte dich heute punktgenau nach Sonnenuntergang.", erinnerte mich Artemia. „Aye aye!", rief ich. Dann drehte ich mich um und ging davon. Meine Schritte fühlten sich leicht an, es war, als würde ich schweben vor Glück. „Das war ein Witz!", schrie mir Artemia hinterher.
Ich stockte und für eine Sekunde sah ich mein Leben an meinem inneren Auge vorüberziehen. Es war wohl doch zu schön, um wahr zu sein. Als Artemia begriff, was sie gesagt hatte, setzte sie eilig hinterher: „Ich meine das mit punktgenau nach Sonnenuntergang. Komm einfach irgendwann am Abend, wir sind doch keine verklemmten Aristokraten. Ohne dich fahren wir nicht los!"
Meine Anspannung löste sich so plötzlich, dass ich kurz befürchtete, zu einer Pfütze am Boden zu schmelzen. Artemia schien nicht die Beste in der Hinsicht zwischenmenschlicher Kommunikation zu sein. Sie war zwar sehr charmant, aber sie hatte ungefähr so viel Taktgefühl wie ich. Nämlich gar keins. Das machte sie mir nur noch sympathischer, falls das überhaupt noch möglich war. Eins war klar: Mein Leben würde ab heute um einiges interessanter werden.
Ich wollte mich schon auf den Heimweg machen, wie ich es Artemia gesagt hatte, als mir einfiel, dass ich ja ursprünglich meinem Vater und Kei helfen sollte. „Verdammt!", fluchte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Warum konnte nicht ein einziges Mal Ruakin seinen faulen Rumtreiber-Arsch hochbequemen, um zu helfen? Warum musste ich ständig hinhalten, nur weil er jeden Tag mit einem anderen Mädchen rummachte? Es wäre schön, wenn ich ausnahmsweise mal jeden Tag mit einem anderen Mädchen rummachen könnte und er sich mit den Unmengen an Fisch beschäftigen könnte. Warte, was?
Nein. Ich schüttelte den Kopf, als würde ich dadurch die Bilder vertreiben können, die meine Fantasie mir ungebeten zeigte. Keine Ahnung, woher dieser Gedanke plötzlich gekommen war. Wahrscheinlich war es das, was Artemia gesagt hatte. Ich war einfach nur verwirrt. Ihre Lehrstunde galt für andere, nicht für mich. Ich beschleunigte meine Schritte, um möglichst rasch zum Steg zu gelangen. Sobald ich beschäftigt war, würden mich hoffentlich diese unsinnigen Gedanken in Ruhe lassen.
Schon kurze Zeit später erspähte ich den Fischkutter meines Vaters. Er und Kei waren bereits dabei, den Fang des Tages vom Boot zu holen. Hastig rannte ich zu ihnen. Als mich Kei erspähte, verdrehte er die Augen und bedachte mich mit einem missbilligenden Blick, der sonst für Ru reserviert war.
„Wo warst du denn, junge Dame?", fragte mich mein Vater, der nun auch meine Ankunft bemerkt hatte. Ich verzog das Gesicht bei den Worten „junge Dame". Ich mochte den Ausdruck nicht. Warum konnte ich mir selbst nicht erklären. Es fiel mir einfach schwer, mich als Dame zu sehen. Ich war einfach ich.
Das alles sagte ich natürlich nicht. Es klang ja schon in meinem Kopf unsinnig. „Ich... Äh, ich wurde... aufgehalten.", stammelte ich stattdessen. Warum hatte ich heute so verdammt viele Schwierigkeiten, mich klar auszudrücken? Hatte Artemia etwas mit mir gemacht? Ich kam jedoch zu dem Schluss, dass ich schon immer sozial inkompetent gewesen war. Heute war ich eben besonders inkompetent.
DU LIEST GERADE
Storm in the Deep
FantasyZwei Mädchen, die sich in ihrem Leben eingesperrt fühlen. Ein Sturm, der in den Tiefen lauert. Elea war aufgrund ihrer wilden, impulsiven Art schon immer eine Außenseiterin. Das Leben in der kleinen Hafenstadt Koula könnte für sie nicht langweiliger...