𝐴𝑣𝑎𝑛𝑚𝑜𝑟𝑎
„Ava, hörst du mich?", fragte mich Venilia laut und mit Nachdruck von irgendwo neben mir. Ich zuckte kaum merklich zusammen. „Ja, kein Grund so laut zu sein.", beschwerte ich mich, mein Tonfall schärfer als gewollt. Dabei wandte ich mich zu ihr. Venilia erhob abwehrend die Hände. „Ich frag ja nur! Nachdem du schon dreimal nicht reagiert hast..." Sie blickte mich an und machte einen Schmollmund. Wenn sie mich so ansah, konnte ich einfach nicht anders als zu Lächeln.
„Also, wo warst du mit den Gedanken? Sicher nicht bei der Geschichtestunde, die übrigens bereits vorbei ist." Um eine Antwort hinauszuzögern, starrte ich betont in eine andere Richtung und kniff die Lippen zusammen, als ob ich damit das Gespräch irgendwie vermeiden könnte. Bis jetzt hatte ich es noch nicht übers Herz gebracht Venilia zu erzählen, dass ich in wenigen Tagen der Armee beitreten musste. Oder deswegen abhauen würde. So oder so, das Ergebnis war das Gleiche: Ich war weg. Und das sicher für eine lange Zeit.
„Oh, ich verstehe.", meinte Venilia plötzlich. Verwirrt sah ich sie an. „Was verstehst du?" „Das!" Sie deutete in die Richtung, in die ich vorher sehr betont gestarrt hatte, um Blickkontakt mit ihr zu vermeiden. Dort redete gerade mein Mitschüler Nerio mit der Lehrperson, die wir bei deren Vornamen Lidye nannten. Lidye war fast bei allen Schülern beliebt, da jeder von deren Begeisterung an Geschichte förmlich mitgerissen wurde. Nerio unterhielt sich nach dem Unterricht oft noch mit denen, da er Geschichte liebte und oft darauf brannte, mehr über den jeweiligen Lernstoff zu erfahren. Heute hatten wir über die frühe Entwicklung unserer Zivilisation aus weit verstreuten Stämmen gelernt und immer noch existierende Überbleibsel dieser. Das war zumindest das, was ich in meinen Gedankenspiralen mitbekommen hatte. Was das aber mit meiner Unaufmerksamkeit zu tun haben sollte, verstand ich immer noch nicht.
Venilia seufzte resigniert, als sie meinen ratlosen Blick sah. „Du stehst offensichtlich auf Nerio!" „Was?!", rief ich so entsetzt, als ob sie mich gerade beleidigt hätte. „Warum solltest du denn sonst so schmachtend zu ihm hinüberstarren?" Nun sah sie ihrerseits etwas beleidigt aus. Bockig verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich meine, er sieht absolut umwerfend aus." Sie deutete energisch auf ihn. Dabei sah sie mich an, als ob ich verrückt wäre, wenn ich mich nicht unverzüglich an ihn heftete. Natürlich sah Nerio objektiv gesehen nicht schlecht aus. Hellbraunes Haar, das nicht ganz schulterlang war, einen durchtrainierten Oberkörper, eine schön tieforangene Flosse und einen Hautton, der dem hellhäutiger Menschen ähnelte. Aber er hatte nichts, was mich dazu veranlassen würde, ihn hingerissen anzustarren.
„Ja.", sagte ich in einem diplomatischen Tonfall. „Ja? Das ist alles?" Venilia sah nun fassungslos aus. „Du weißt, dass dir der Typ schon seit einer Ewigkeit völlig verfallen ist!" „Ja!", entgegnete ich nun mit etwas Nachdruck. „Und du willst ihm keine Chance geben?", fragte sie fast schon verurteilend. Allerdings schwang noch etwas in ihrer Stimme mit. Etwas, das ich nicht ganz beurteilen konnte.
Ich antwortete nicht. Ein Teil von mir wollte ihr alles erzählen. Dass mich nur der Gedanke, mit ihm zusammen zu sein, beklemmt machte. Dass ich seine verdammte Aufmerksamkeit nicht wollte. Er war nett, aber nicht mehr.
Doch ich sagte nichts. Venilia würde mich nicht verstehen. Sie sah mich immer noch abwartend an, ihr Gesichtsausdruck gedankenverloren. Fieberhaft dachte ich nach. Aber mir wollte partout keine Ausrede einfallen, die weder die Wahrheit, noch Nerio involvierte. Warum musste immer genau dann meine Denkfähigkeit aussetzen, wenn ich sie tatsächlich brauchte?Bevor ich jedoch selbst einen Ausweg aus diesem Dilemma finden konnte, berührte mich sanft eine Hand an der Schulter. Ich zuckte heftig zusammen und fuhr aufgeschreckt herum, nur um in die orange-braunen Augen von Nerio blicken.
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Storm in the Deep
FantasyZwei Mädchen, die sich in ihrem Leben eingesperrt fühlen. Ein Sturm, der in den Tiefen lauert. Elea war aufgrund ihrer wilden, impulsiven Art schon immer eine Außenseiterin. Das Leben in der kleinen Hafenstadt Koula könnte für sie nicht langweiliger...