Prolog (II)

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Der König hatte die Augen geschlossen, als sein Sohn vor ihn trat, den Kopf gesenkt, wie es sich für ihn geziemte. Das blonde Haar wie verblichenes Gold teilte sich in seinem Nacken und gab den Blick auf eine schmale Kette frei, die von der Machart der Menschen war.
Aragorn, Arathorns Sohn hatte sie ihm gegeben, als Abschiedsgeschenk, nach ihrem ersten Zusammentreffen.
Sie war Erinnerung und Versprechen zugleich gewesen, dass sie sich eines Tages wieder sehen würden, ob zwischen den Fronten einer Schlacht, allein im Wald unter geheimnisvoll anmutenden Fichten oder auf einer einsamen Brücke, die seit hunderten von Jahren niemand mehr betreten hatte.
Sie würden sich wiedersehen.
Und das hatten sie getan, wieder und wieder, sie hatten gemeinsam gekämpft gemeinsam gelacht und schließlich hatte Aragorn nach der Hand des Elben gegriffen, ihre Finger miteinander verschränkt, sich zu ihm geneigt und dann hatte Legolas die Lippen des Waldläufers auf seinen eigenen gespürt, während das Blut des Orks, dessen Klinge für Aragorn hätte bestimmt sein sollen, im Waldboden versickerte.
"Legolas Thranduilion", sagte der Waldlandkönig und öffnete nun seine Augen, die blau waren wie die Gemmen seiner Königin vor einem dämmernden Himmel.
"Adar" Er hob den Kopf und das Haar, welches geteilt gewesen war, fiel wieder zusammen wie ein Vorhang nach dem ersten Akt.
"Hast du gefunden, wen zu suchen ich dir aufgetragen hatte?" Thranduils Stimme klang wie Wasser, wie Wasser, dass sanft vor sich hin rollte, einsam, allein und kalt.
"Ich bin viele Meilen mit ihm gewandert, Adar", sagte er.
"Was führt dich her?"
Legolas schluckte. "Eine Bitte"
Sein Vater hob eine Augenbraue. "Eine Bitte?"
"Ja. Eine Bitte. Ich bitte dich um deinen Segen als Vater und König für eine Verlobung von Aragorn, Sohn von Arathorn, und mir"
Stille.
Es war ihm, als könnte er Tauriel am anderen Ende der Halle atmen hören, als könne er die Regentropfen hören, die weit, weit über ihm den von Nadeln bedeckten Boden durchtränkten, das Schlagen der Flügel eines Falken, der irgendwo über dem Wald kreiste.
Die Gedanken seines Vaters jedoch blieben ihm verborgen, als hätte jemand ein schwarzes Tuch aus schwerem Samt über sie geworfen, sodass jeder Laut gedämpft war.
"Er ist ein Mensch", sagte Thranduil schließlich, ohne den Blickkontakt zu seinem Sohn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu unterbrechen.
"Er ist der Erbe eines Königs" Legolas war es, als würde er zittern, aber Elben zitterten nicht, höchstens in ihrem Innern, tief drin in ihrer Seele. Dort, und nur dort, konnten sie vor Angst zittern.
"Das bist du auch, und hat es dich jemals vor Dummheit geschützt?"
Eine Ohrfeige. Seine Worte waren wie eine Ohrfeige, herablassend, seine eigene Macht, seine eigene Stärke demonstrierend. Und er, Legolas, war nur ein Prinz. Der einzige Sohn, die einzige Hoffnung, und die einzige Enttäuschung.
Er senkte den Blick, wie ein geprügelter Hund wohl den Schwanz eingezogen hätte.
"Er ist ein Mensch", wiederholte Thranduil.
Legolas' Mundwinkel zuckte. "Wäre es dir lieber, wenn es ein Zwerg wäre?" Er hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Das war alles andere als ein gutes Thema und es auszusprechen töricht.
Nein, der Sohn eines Königs zu sein, hatte ihn noch nie vor Dummheit geschützt.
Thranduil schwieg.
"Er wird König werden, der König von Gondor. Und eines Tages wird er das alte Königreich, was ihm zusteht, zurückfordern und wiedervereinigen, und in diesem wiedervereinigten Königreich wird es Frieden geben und die erste große Blütezeit nach Saurons endgültigem Fall, die erste große Blütezeit seit tausenden von Jahren", sagte Legolas leise.
"Und das alles ist dir egal, mein Sohn" Thranduil erhob sich und stieg die Stufen seines Throns hinunter, den langen Mantel aus Fell hinter sich her ziehend. Stufe für Stufe fiel der Saum herab, bis der König endlich vor seinem Sohn stand. "Es ist dir gleichgültig. Es geht dir um ihn, nicht um das Königreich"
Legolas nickte.
"Welche Fähigkeiten sind es, die einen Elben überzeugen, dass ein Mensch der Richtige für ihn sei? Welche Fähigkeiten sollte er haben, die Haldir oder Elladan oder gar Elrohir nicht hätten?"
Legolas biss sich auf die Lippe. "Er...er ist perfekt, Adar"
"Unsinn, Menschen können nicht perfekt sein, niemand kann das" Eine Spur Zorn fand sich nun in seinen Worten, ein feiner roter Faden, der sich um die Silben wand und sie für sich einnahm.
"Ich will nicht Haldir heiraten, nicht Elladan und nicht Elrohir, Adar" Es war gut, dass die Verzweiflung der Elben ihre Seele nicht verließ, sonst wäre seine Stimme wohl gebrochen. "Sie liebe ich nicht, wie ich ihn liebe" Die letzten Worte versanken in einem Flüstern.
Thranduil trat noch einen Schritt näher, sah auf ihn herab.
"Falls Aragorn diesen Krieg überlebt, werdet ihr dennoch getrennt sein. Falls Sauron besiegt und Aragorn König ist und alles worauf du hofftest sich erfüllt hat, wird er dennoch bitter das Los der Sterblichkeit erfahren.
Ob durch das Schwert oder langsamen Verfall, eines Tages stirbt Aragorn"
War das eine Träne, die die klar umrandete Iris des Königs verschwimmen ließ?
"Der Tod eines geliebten Menschen ist grausam, mein Sohn. Ich weiß, wovon ich spreche"
"Meine Mutter..."
"Sprich nicht von ihr, Legolas. Alles, was du sagen könntest, wäre falsch"
Da war etwas, tief in seiner Seele, eine gläserne Phiole voll Hoffnung, dass seine Mutter ihn verstanden hätte, ihn lieben würde, ihm geholfen hätte, wäre sie denn noch am Leben. Die törichte Hoffnung eines Kindes, etwas über sein Elternteil zu erfahren, die das Erwachsenwerden und die Schrecken der Realität überdauert hatte.
Er fühlte, wie mit jedem Wort seines Vaters ein neuer Riss sich den Weg durch das Glas bahnte, wie die Hoffnung durch die winzigen Linien sickerte und von den Sorgen, den Ängsten und den allzu blutigen Erinnerungen erdrückt wurde.
"Ich will die Zeit, die ihm gegeben ist, an seiner Seite verbringen, Adar" Das Glas zerbrach.
"Bitte"
Und dann, kaum merklich, nickte der König.
"Du hast meinen Segen, Legolas, mein Sohn"

Aralas- Schau nicht zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt