Ich stehe in der Küche am Fenster und trinke den letzten Schluck meines mittlerweile lauwarmen Kaffees. Der bittere Nachgeschmack liegt mir noch leicht auf der Zunge. Dann packe ich mir noch einen Apfel ein, gehe schon mal in den Flur, ziehe mir meine weißen Air Force an und streife mir meinen schwarzen Hoodie über, da es heute zu warm für eine Jacke, aber zu kalt nur für ein T- Shirt ist. Also ziehe ich einfach Hoodie über mein T-Shirt.
Heute Morgen habe ich wieder meine Wecker verflucht und mich zwingen müssen das Bett zu verlassen. Aber die Vernunft in mir hat die Oberhand gewonnen und hat mich vom Schwänzen abgehalten. Also habe ich mich fertig gemacht, stehe jetzt vor der Haustür und warte darauf von Sophia abgeholt zu werden.
Mein Vater ist wie erwartet gestern nicht mehr aufgetaucht.
Es ist bewölkt und der Geruch von Regen hängt in der Luft.
Ich trage wie schon gesagt den schwarzen Hoodie, eine blaue Jeans und Tennissocken. Hoffentlich wird es nich regnen.
Dann sehe ich endlich das rot-weiß lackierte Motorrad von meiner Freundin in meine Straße biegen.
Meine Freundin? Es ist extrem ungewohnt Sophia als meine Freundin zu bezeichnen, aber es fühlt sich richtig an, auch wenn sie mit Ryan befreundet ist. Sie hält vor mir und reicht mir den zweiten Helm, der bis eben am Lenker hing. Schon um einiges geschickter und flüssiger als beim ersten Mal streife ich mir den Helm über und verschließe ihn. Daraufhin schwinge ich mich hinter Sophia und lege meine Arme um sie. Kaum halte ich mich fest, höre ich das gewohnte Klicken, das auftritt sobald man schaltet.
Und schon rollen wir aus der Auffahrt auf die Straße.*************************************************************************************
Wenig später steige ich auf dem Schulparkplatz wieder von dem Motorrad ab und öffne den Helm. Sophia hat ein wenig abseits gehalten, wofür ich ihr dankbar bin.
Sobald ich den Helm von meinem Kopf habe streife ich mir mit einer geschickten Bewegung meine Kapuze tief in das Gesicht. Ich warte noch kurz, bis Sophia soweit ist, dann machen wir uns auf den Weg Richtung Schulgebäude. Die ersten beiden Stunden habe ich Physik und somit passe ich nicht wirklich auf. Den ganzen Tag über kann ich Ryan erfolgreich aus dem Weg gehen. Als ich ihn in der Caféteria treffe ignoriere ich ihn einfach.
In der Woche passiert nichts besonderes und ich lebe mein Leben weiter. Sophia holt mich so oft ab wie sie kann und nimmt mich auch wieder mit nach Hause. In der Schule kommt sie ein zwei Mal zu mir, aber sonst bleibt sie bei ihrer Clique, was ich absolut verstehen kann.
Samstags kommt mein Vater wieder und erwähnt kurz bei dem sonst schweigend verlaufenden Abendessen irgendetwas von einer Veranstaltung seiner Firma in drei Wochen, auf die ich mit soll. Naja, aber da es ja angeblich noch Zeit hat bis zu dieser ist der Gedanke daran ganz schnell wieder verschwunden.
Sonst verbringe ich das Wochenende damit auf Instagram rumzuhängen und Filme zu schauen. Ich telefoniere auch einmal mit Celine aus South Dakota und ich höre alte deutsche Lieder die ich mit ihr gehört habe.
Sie hat deutsche Vorfahren und so kann ich auch ein wenig davon sprechen, da wir oft aus Spaß deutsche Lieder gehört haben.*************************************************************************************
Mittlerweile ist es schon wieder Donnerstag und ich bin weiterhin sehr erfolgreich darin, Ryan aus dem Weg zu gehen. Mehrmals hat er schon versucht mit mir zu reden doch ich blocke es immer ab, drehe mich um und gehe oder flüchte auf die nächste Mädchentoilette.
Es gehen Gerüchte um, dass man Ryan besser nicht zu nahe kommen sollte da er im Moment sehr fies und eiskalt ist, aber bis jetzt hab ich das noch nie erlebt.
Bis jetzt.
Ich verlasse den Klassensaal und ziehe mir wieder die Kapuze meines Hoodies tief ins Gesicht. Als ich gerade den Flur entlang gehe, höre ich laute und leicht aggressive Stimmen.
Eine ist auf jeden Fall höher, daraus schließe ich, dass es jemand jüngeres sein muss, aber die anderen gehören... Ryan und Tristan, einem aus der Clique von Ryan.
Langsam schaue ich um die Ecke und erstarre schockiert. Ich beobachte wie Ryan gerade einen Jungen mit einem Krachen brutal gegen die Spinde drückt. Bevor ich die Situation wirklich einschätzen kann bewegt sich meine Beine von selbst. Meine Tasche rutscht mit einem dumpfen Geräusch von meiner Schulter und landet auf dem Boden.
Alles um mich verschwindet, was ich sehe ist Ryan und wie er einem wehrlosen Jungen wehtut. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen.
Keine Ahnung, woher der Mut und mein Selbstbewusstsein kommen, aber es ist da und dann kann ich es ja auch benutzen!
Meine Schritte sind groß und energisch und kaum habe ich geblinzelt stehe ich knapp hinter Ryan. Dieser hebt gerade die Faust und richtet sie auf den Kopf des Jungen, welchen er immer noch am Hals an die Spinde drückt. Ich erlebe im Bruchteil einer Sekunde einen Flashback von der Situation mit meinem Ex Freund.
Er stöhnt schmerzvoll auf und würde Ryan ihn nicht festhalten, würde er in sich zusammensacken.
Ohne zu überlegen schießt meine Hand nach vorne und krallt sich am Arm , mit dem Ryan den Jungen immer noch an die Spinde drückt, in den Stoff des Hoodies und reißt daran herum. Verwirrt von meinem Auftauchen und meinem Handeln lässt Ryan wirklich los.
So schnell ich kann schiebe ich mich zwischen den zusammengesackten Jungen und Ryan. Böse funkele ich ihn an. Er erwidert meinen Blick verwirrt und auch etwas verletztes scheint in seinen Augen aufzublitzen. Der Junge rappelt sie auf und verschwindet.
„Wenn du sauer auf mich oder Gott weiß wen bist, MUSST DU DAS NICHT AN ANDEREN RAUSLASSEN!... Verdammt! Du bist so ein scheiß Idiot! Wie konnte ich jemals deinen Kuss erwidern, ich weiß es beim besten Willen nicht!"
Das hat gesessen, sein Gesichtsausdruck entgleist für eine Millisekunde, aber er fängt sich recht schnell wieder. Sein Blick ist abweisend und arrogant.
Ohne auf eine Reaktion seinerseits zu warten, mache ich einen Schritt auf ihn zu und blicke ihm standhaft in seine so klaren und verdammt kalten Augen.
Wie um alles in der Welt können die selben Augen in einem Moment so weich und wunderschön und im anderen so kalt und abweisend sein?
Dann wende ich meine Blick ab, rempele Ryan an und verlasse den Gang.*************************************************************************************
Die nächsten Tage verlaufen relativ ruhig. Ryan und seine Freunde kommen wieder regelmäßig zu spät, wir schreiben einige Klausuren die eigentlich ganz gut laufen und ich ignoriere Ryan weiterhin.
Mein Vater ist öfter abends zu Hause und langsam beginnt die Spannung zwischen uns abzufallen. Wir essen meist gemeinsam und unterhalten uns über belangloses und aus meiner Sicht unnötiges Zeugs. Aber was soll's? Ein Fortschritt zu am Anfang ist es auf jeden Fall.
Ich fahre öfters abends zum Strand, setze mich in den Sand und genieße das Rauschen der Wellen und die Salzluft. So etwas hatten wir in South Dakota nie. Doch wenn ich manchmal die Augen am Strand schließe und einfach nur den Wind spüre, könnte es auch die Prairie meines Heimatstaates sein.
So wie an diesem Abend. Der Wind erfasst meine Haare und spielt sanft mit ihnen. Und wieder gehen meine Gedanken zu Ryan und dem Streit. Was ist wenn er die Narbe gesehen hat? Er wird bestimmt Fragen stellen. Shit? Warum passiert mir immer sowas?
Als ich an die Narbe denke, schießen mir auf einmal die Bilder in den Kopf.Von meinem Ex Freund.
Wie er vor mir steht mit erhobener Hand.
Ich— zusammengekauert in der Zimmerecke.
Mein Körper zittert vor Schmerz. Er holt aus, immer und immer wieder. Meine Beine geben unter mir nach und ich pralle unsanft auf den Boden. Alles wird schwarz.
Ich kann mich nicht währen und mittlerweile schreie ich auch nicht mehr.
An einem Tag war es besonders schlimm, er ist betrunken bei mir aufgetaucht, als meine Mutter Nachtschicht hatte. Seine Augen waren hasserfüllt und er ging erst mit der Faust auf mich los bis ich am Boden lag. Verschwommen sah ich wie er seinen Gürtel in die Hand nimmt. Keine Sekunde später durchzuckte ein so starker Schmerz meinen Körper, dass alles schwarz wurde.
Als ich meine Augen aufschlug, brannte mein Rücken mitsamt des linken Schulterblattes. Ich schleppte mich, unter starken Schmerzen nach oben ins Badezimmer und betrachtete meinen Rücken im Spiegel.
Ein langer roter blutender Striemen zog sich über mein Schulterblatt bis zu meiner Wirbelsäule quer über meinen Rücken.
Was mir bis heute von diesem Tag geblieben ist, ist die lange Narbe, die sich über meinen Rücken zieht.Während dieser Erinnerung rollt mir stumm eine Träne über die Wange. Sie kommt an meiner Lippe an und ich schmecke den leicht salzigen Geschmack.
In der weiteren Wochen konzentriere ich mich auf die Schule und versuche meine schmerzhafte Vergangenheit zu verdrängen.
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Hey... ich weiß, dass jetzt länger nix kam. Sorry, hier mal wieder ein längeres Kapitel. Viel Spaß beim weiter lesen<3
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Small Town Girl
RomanceKyras Mutter ist vor kurzem gestorben. Da sie keine anderen Verwandten in ihrer Nähe hat, wird sie von jetzt auf gleich aus ihrer vertrauten Kleinstadt in South Dakota gerissen und muss von nun an bei ihrem Vater in Oakland leben, welchen sie seit...