Kapitel 10

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Mein Körper fühlt sich taub an. Ich bin komplett nass. Mein Atem steigt in fast unsichtbaren Wolken auf und ich nehme alle Geräusche um mich nur gedämpft war. Die Luft ist klar wie nach einem Gewitter, dennoch scheint sie mich zu erdrücken. Meine Gedanken— ich kann sie nicht hören, obwohl es um mich herum still ist. Meine Gefühle— keine Ahnung, aber es kristallisieren sich Trauer und Einsamkeit deutlich heraus.
Die Beerdigung meiner Mutter müsste jetzt zweieinhalb Monate her sein und eigentlich sollte ich einen Neuanfang hier haben. Die Trauer bricht nur selten aus mir heraus, aber innerlich frisst sie mich auf. Ich will das nicht mehr, ich kann nicht mehr! Warum ich... oder besser gesagt warum meine Mutter?! Sie war die beste, ehrlichste und liebenswerteste Person die ich kannte.
Das Schicksal ist eine Bitch! Das hat auch immer Celine gesagt, meine beste Freundin. Erneut treten mir Tränen in die Augen.
Mittlerweile regnet es nicht mehr, dafür dämmert es jetzt. Ich habe keine Ahnung wie lange ich hier schon liege. Meine Gedanken schweifen von meiner Trauer um meine Mutter zu Ryan. Warum hat er mich ausgezogen? Warum hat er mich geküsst und dann gesagt, ihm bedeutet der Kuss einen Scheiß? Warum hat er mich auf der Party vor diesem Nathan beschützt?
Alles Fragen auf die ich keine Antwort habe aber ich stelle fest: Ryan ist ein Arschloch!
Halt der typische Fuckboy, mit allem was dazu gehört. Warum zur Hölle habe ich mich auf ihn eingelassen?!

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Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist aber, auf einmal höre ich rennende Schritte auf der nassen Straße.
Dann lässt sich jemand neben mich fallen und rüttelt an mir. Mühsam drehe ich mein Kopf und blinzele mehrmals bis sich mein Blick scharf stellt. Ich schaue geradewegs in ein schockiertes Gesicht.
In Sophia 's Augen spiegelt sich die pure Sorge. In mir keimt ein winziges Stück Hoffnung auf, vielleicht bin ich doch nicht jedem egal. Auch wenn Sophia und ich keine Freundinnen sind, könnten wir das doch werden.
Sie hilft mir auf und bringt mich zu der nächsten Bushaltestelle. Wir steigen ein und nach knapp 10 Minuten wieder aus.
Mit zitternden Händen schließe ich meine Haustür auf und betrete das Haus. Sophia folgt mir nach oben, dort hilft sie mir aus meiner nassen Kleidung und ich schlüpfe eine Jogginghose und ein oversize T-Shirt, dann gehen wir in das gegenüberliegende Badezimmer und sie föhnt mir meine Haare.
Ich sitze auf dem Badewannenrand. Ich bin zwar körperlich anwesend aber geistlich nicht so wirklich. Mein Körper ist schlapp und mir ist immer noch kalt. Ich würde sagen ich bin etwas apathisch, aber wer weiß das schon.
Ein wenig später sitzen Sophia und ich in dem Wohnzimmer und reden. Wir haben uns Tee gemacht und Snacks geholt.
„Hey, alles gut bei dir?", fragt Sophia leise. Soll ich sie anlügen damit sie nicht weiter fragt... Nein, sie war immer für mich da und hat sich angestrengt mit mir etwas zu machen. Sie verdient die Wahrheit!
Mein Zögern bleibt nicht unbemerkt. „Du musst es mir nicht erzählen. Ich will nur das du weißt wenn irgendwas ist, du kannst immer zu mir kommen. Ich bin doch deine Freundin." „Sophia....Warum bist du so nett zu mir?" Das war die Frage die mir schon ewig auf der Zunge lag. Sofort fällt sie mir um den Hals. „Weil ich dich von Anfangen an faszinierend fand. Du bist anders und das ist gut." Leise flüstere ich: „Danke."
Ich bin erleichtert und gleichzeitig am Boden. „Und um auf deine Frage zurück zu kommen... mir gehts beschissen." Jetzt kann ich die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie laufen mir mein Gesicht herunter und tropfen mit leisen, gleichmäßigen Geräuschen auf das Sofa. Stille.
„Ryan, oder?", fragt Sophia „Wegen dem Kuss nicht wahr?" „Ähm... wie... woher?"ich bringe keinen geraden Satz mehr heraus. „Ich war bei Ryan weil ich dich gesucht habe und nachdem ich dich bei dir nicht gefunden habe... tja bin ich halt zu ihm und er... ach auch egal. Was ist passiert?"
Ich atme tief ein und aus und lasse den neuen Sauerstoff in meiner Lunge kurz auf mich wirken, dann fange ich an zu erzählen.
Von der Nacht als Ryan verprügeltes wurde und dann einfach vor meinem Haus stand, dem nächsten Morgen und dem Kuss.
Während der ganzen Zeit sagt Sophia kein einziges Mal etwas. Nur anhand ihrer veränderten Mimik kann ich erraten was sie denkt. Ich bin auf jede einzelne Regung ihrerseits fixiert. Am Ende bitte ich sie, noch keinem davon zu erzählen und erst einmal alles für sich zu behalten. Sie nickt und fragt, ob sie noch irgendetwas für mich tun kann?
Ich tue es nur mit einem schwachen Kopfschütteln ab. Wir unterhalten uns noch und dann begleite ich sie zur Haustür.
„Sicher das du nicht hier schlafen willst? Ich meine es ist schon echt spät." „Hey, Kyra alles gut. Ich muss nach Hause sonst darf ich mir was von meinen Eltern anhören. Wir sehen uns morgen in der Schule." Dann umarmt sie mich, dreht sich zum gehen und ruft noch: „Ich hol dich um halb acht ab. Keine Widerrede."
Bevor ich irgendetwas erwidern kann ist sie auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Ich schließe die Tür. Mein Vater wird wahrscheinlich heute nicht mehr kommen, also gehe ich hoch und mache mich fertig.
Schlaf könnte ich jetzt gut gebrauchen. Nach kurzer Zeit falle ich auch schon in einen traumlosen Schlaf. Ich war doch erschöpfter als angenommenen.

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