Der Lockdown

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Gerade, als ich mich aufs Sofa setzen will, klingelt mein Handy. Ich stelle meine Schüssel ab und gehe wieder in die Küche, wo mein Handy lädt. Ich nehme es vom Kabel und muss lächeln, als ich sehe, wer mich anruft. Ich fahre mir noch einmal schnell durch die Haare und gehe dann ran. „Hi" Ich lächle in mein Handy. „Heyy!" ruft Luca laut. „Wie gehts dir?" fragt er mich. „Ganz gut, hab mir gerade was zu essen gemacht, ich war heute ziemlich spät hier, die hatten noch einige Fragen heute nach dem Training" erzähle ich. „Bist du grad erst bei Andrzej und Vica angekommen?" Ich nicke. „Ja, so vor 15 oder 20 Minuten" Ich gehe zum Sofa und setze mich. Im Hintergrund läuft der Fernseher. „Und du, wie war dein Tag" Luca lächelt. „Sehr gut, ich hab nen neuen Song! Also bis jetzt nur ne Idee, aber ja, ich glaube das könnte was werden" erzählt er begeistert. „Was denn für ein Song?" will ich wissen. „Das sag ich noch nicht, erst wenn der fertig ist oder zumindest die Rohfassung" meint er. „Jetzt ehrlich?" Er nickt bestimmt. „Ich sag sowas nie vorher" Wir schauen uns an. Irgendwann nicke ich. „Okay, na gut" Ich lege meinen Kopf zurück. „Ich freu mich auf Samstag" Luca lächelt. „Ja, ich mich auch! Das Wetter soll total schön werden, wir können direkt schwimmen gehen, wenn du kommst" Ich nicke und lächle. „Das klingt super" stimme ich ihm zu. Dann fällt mein Blick kurz auf den Fernseher. „Warte mal kurz" Ich nehme die Fernbedienung und schalte ihn lauter. Es laufen gerade Nachrichten. „Die Inzidenzwerte in der Bundesrepublik steigen dramatisch. Drosten rät zu einem sofortigen, harten Lockdown, um das schlimmste zu verhindern" Anbei ist eine Grafik der letzten Woche. „Ja gut, so wie's aussieht fällt mein Unterricht morgen aus" kommentiere ich die Zahlen. „Was ist da denn?" will Luca wissen. „Ich hab grad Nachrichten an, die Inzidenzen in Deutschland steigen ja seit letzter Woche wieder" Luca nickt. „Ja, Cyril meinte auch wir müssen morgen mal überlegen, ob wir die Konzerte in Deutschland absagen müssen" meint Luca. „Ich befürchte die Entscheidung wird euch abgenommen" Ich schaue wieder auf den Fernseher. „Die Bundeskanzlerin ist aktuell in Gesprächen mit den Ministern, sobald es neue Informationen gibt, werden wir Sie informieren, die aktuellsten Informationen sowie die lokalen und bundesweiten Inzidenzen finden Sie jederzeit auf heute.de" Ich schalte den Fernseher wieder leiser. „In der Schweiz ist das irgendwie alles noch entspannter" Ich lehne mich wieder zurück und gucke Luca skeptisch an. „Noch" Er nickt und zuckt mit den Schultern. „Aber vielleicht ist das ja wirklich gar nicht so schlecht mit dem Lockdown, wenn die Zahlen dann wirklich mal runter gehen" Ich nicke. „Ja, das stimmt schon"

Am nächsten Morgen bin ich gefühlt nur am Telefonieren. Ich hoffe das ist alles in Andrzejs und Vicas Sinn... aber mit Vica telefoniere ich eigentlich auch die ganze Zeit. Die Kurse für heute sind auf jeden Fall abgesagt, der Lockdown wird jetzt durchgezogen. Ich bleibe aber trotzdem noch in Stuttgart, sonst könnten Vica und Andrzej das Turnier garantiert nicht in Ruhe meistern, in Italien ist nämlich alles weiter offen. Okay, ich hab alle Schüler und anderen Lehrer informiert, ich hab mit dem von der Stadt gesprochen, ich hab die Mail geschickt und mit Vica gesprochen. Dann kann ich jetzt zum Studio fahren und da aufräumen und so. „Och ne" stöhne ich, als das Telefon in dem Moment schon wieder klingelt. Ach, aber das ist mein Handy. Luca! Ich lächle und gehe ran. „Hi. Vermisst du mich schon wieder?" Wir haben heute morgen erst telefoniert. „Ja, sehr sogar" Ich muss noch mehr lächeln. „Hast du schon gesehen, dass Deutschland die Grenzen zumacht?" Bitte was? Mein Lächeln verschwindet. „Du verarschst mich doch" entgegne ich. „Nein, das war gerade in den Nachrichten, die wollen heute noch alles dicht machen" beteuert Luca. „Was? Aber - das stand doch bis jetzt nirgends" Ich aktualisiere mein Handy. Tatsächlich: eine neue, zusätzliche Regelung, ab heute Abend wird alles dicht gemacht, man darf nicht grundlos ausreisen und nur deutsche Staatsbürger dürfen zurück einreisen. „Aber, also, das können die doch nicht" - „Christina, wenn du kommen willst musst du jetzt los!" erklärt Luca. „Ich kann jetzt nicht los, ich kann hier nicht einfach alles stehen und liegen lassen" entgegne ich. „Aber du willst doch kommen dachte ich?" meint Luca sofort. „Ja, schon" antworte ich zögerlich. „Wenn du jetzt nicht losfährst dauert es wahrscheinlich Wochen, bis wir uns sehen können" meint Luca. „Und was soll ich deiner Meinung nach machen?" frage ich ihn. „Setz dich in den nächsten Zug, damit du vor heute Abend hier bist" Ich überlege kurz... aber ich muss echt nochmal ins Studio und ich kann auch nicht einfach so gehen, Andrzej und Vica vertrauen mir, dass ich hier alles regele bis sie morgen wieder kommen. „Das geht nicht" Gerade als ich das sage, klingelt es. „Wieso denn nicht?" fragt Luca entrüstet. „Luca, mein Taxi ist da, ich muss los" würge ich ihn ab. „Dann lass dich zum Bahnhof fahren!" fordert Luca mich auf. „Ich sag doch, das geht nicht" erkläre ich nochmal, etwas wütend. Wieso versteht er das nicht? „Aber Christina, ich will dich sehen" Ich weiß nicht was ich darauf sagen soll... „Ich dich ja auch, aber ich kann nicht einfach weg" erkläre ich nochmal. „Klar kannst du das, die Tanzschule ist eh zu" meint Luca. „Du hast das nicht zu entscheiden! Ich muss jetzt los, ich ruf dich später an" seufze ich. „Ich hab ein Konzert" antwortet Luca trocken. „Dann ruf an wenn du Zeit hast nach dem Soundcheck" bitte ich ihn. „Ich glaub nicht, dass ich Zeit habe" Ist das sein Ernst? „Luca, was soll das jetzt?" frage ich. „Du kannst ja vorbei kommen" Dann legt er auf. Verwirrt und wütend starre ich auf mein Handy. Ich glaubs nicht! Was für ein Kind.

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