Die Grenze

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„Und wenn du irgendwen zu nem Turnier in die Schweiz begleitest?" schlägt Andrzej vor, während wir den Frühstückstisch abräumen. „Nicht mal der Kader der Nationalmannschaft darf im Moment ausreisen" entgegnet Vica. „Das ist echt süß, dass ihr da die ganze Zeit drüber nachdenkt, aber ich" - „Du weißt nicht mal, ob du überhaupt noch in die Schweiz willst" unterbricht Andrzej mich. „Schon klar, wissen wir" Ich nicke. „Hast du Luca denn nochmal geschrieben oder ihn angerufen?" Ich schüttle den Kopf. „Er wollte sich melden" erkläre ich. „Hat er aber noch nicht?" Ich schüttle meinen Kopf und schaue nach unten. „Wär auch wahrscheinlich dumm daran zu glauben, dass das noch passiert" antworte ich. „Das weißt du nicht. Vielleicht ist er gestern ja einfach schnell eingeschlafen oder so?" Ich zögere. In dem Moment klingelt mein Handy. Wir schauen uns an. „Und?" Ich schaue auf mein Handy und gehe ran. „Hallo Mama" Vica verdreht die Augen und ich gehe zum Sofa. „Hallo, mein Schatz, wie geht's dir?" fragt sie mich. „Ganz gut" lüge ich. „Wie ist es in der Schweiz?" Ich stocke kurz. „Ich, ähm, ich bin in Stuttgart, bei Andrzej und Vica" erzähle ich. „Was? Wieso das denn?" fragt sie besorgt. „Ich hab, ähm, also, Luca und ich, wir haben uns gestritten" verrate ich. „Was ist denn passiert?" Ich lasse mich aufs Sofa fallen. „Ich, ähm, ich weiß nicht so recht, es war einfach, ähm, also, mir geht's gut, es war ein kleines Missverständnis, dann bin ich zu Andrzej und Vica gefahren und hab sie ein bisschen in der Tanzschule unterstützt" erzähle ich. „Was hat Luca gemacht?" fragt sie. „Nichts, nichts, ich hab nur, ähm, es war einfach nicht der richtige Moment" Ich versuche ein Lächeln zu erzwingen, auch wenn sie das gar nicht sieht. „Das tut mir leid, mein Schatz" Ich nicke. „Danke, Mama" Einen Moment lang sagt keiner von uns was. „Du, ich muss jetzt Schluss machen, aber ich meld mich nochmal, okay?" verabschiede ich meine Mama. „Okay, ich hab dich lieb" Andrzej guckt mich vorwurfsvoll an. „Was??" frage ich und lege mein Handy auf den Tisch. „Mit wem musst du Schluss machen?" fragt er amüsiert. „Nicht lustig" entgegne ich. „Dir gehts ganz gut?" hakt Andrzej nach. Ich nicke und schaue zur Seite. „Ja, nein, keine Ahnung" Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was ich ihr erzählen soll, also lass mich" Andrzej hebt die Augenbrauen und nickt.

Nachdem Andrzej und Vica alle nötigen Anrufe für ihr Tanzstudio getätigt haben, sitzen wir im Wohnzimmer und starren aneinander vorbei. Ich lasse meine Gedanken schweifen. Was für ein Chaos! Irgendwann seufze ich. „Was für ein Chaos" sage ich laut. „Was meinst du?" fragt Vica. „Mein Leben" erkläre ich. „Ich war verlobt, ich war Tanzprofi, ich war an der Weltspitze, alles vor ein paar Monaten" Ich schüttle den Kopf. „Kurz dachte ich das ist gar nicht so schlimm, aber jetzt - bin ich arbeitslos und alleine" Vica legt ihre Hand an meinen Arm. „Bist du nicht" entgegnet sie. „Wir sind für dich da und du kannst jederzeit bei uns anfangen" stimmt Andrzej ihr zu. „Aber" Ich zögere. „Das ist was anderes, ihr wisst, was ich meine" Ich lege meinen Kopf zurück und blinzle. Jetzt nicht heulen, Christina. „Komm, Bambi" Andrzej deutet neben sich aufs Sofa. Ich setze mich neben ihn. Er legt seinen Arm um mich und ich fange an zu weinen. „Ganz ruhig" beruhigt er mich. „Wir sind für dich da" Ich nicke. „Ja, ich weiß" seufze ich. Dann putze ich mir die Nase und atme einmal tief durch. „Bambi, du musst dir darüber klar werden, was du willst, wegen Luca. Unsere Ideen in die Schweiz zu kommen hast du abgelehnt, aber du sagst auch nicht, dass du nicht in die Schweiz willst" Ich zögere. „Ich will, dass die Schmetterlinge weg gehen" schniefe ich. „Ich bin sauer auf ihn, vielleicht auch eher enttäuscht als sauer, aber trotzdem hab ich ein Kribbeln im Bauch, wenn du ihn erwähnst und ich muss lächeln, wenn ich jetzt von ihm erzähle" Ich schaue Andrzej an. „Dann solltest du wohl in die Schweiz" Ich zucke mit den Schultern. „Aber was wenn" Ich schaue zwischen Andrzej und Vica hin und her. „Wenn das alles schief geht?" Andrzej umarmt mich. „Ich verstehe, dass du Angst hast und das ist echt alles nicht soo super gelaufen bis jetzt, aber wenn du eine Chance willst, dann musst du zu ihm" Ich schaue Vica an, die vor mir kniet. „Ich weiß nicht" Ich schüttle den Kopf. „Wahrscheinlich will Luca gar nicht, dass ich komme" zögere ich. „Der will bestimmt, dass du kommst" meint Andrzej. „Woher willst du das wissen?" frage ich. „Ich bin heute du, was den Optimismus angeht" Ich muss lachen. „Danke" Er nickt. „War das ein Ja?" fragt Vica. „Ich, ähm" Ich schaue in ihr motivierendes Gesicht. „Okay, ja, na gut" Ich nicke.

Butterflies fly awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt